Der Gläserne Bürger

Bundesrat will einschneidende Gesetzesänderung im Datenschutz

Zugriffsmöglichkeiten der Behörden auf Kundendaten sollen drastisch erweitert werden
Von Christian Horn / dpa

Der morgige Freitag könnte als schwarzer Tag in die Annalen des deutschen Datenschutzes eingehen. Es gilt als wahrscheinlich, dass der Bundesrat einen Gesetzentwurf absegnen wird, der den staatlichen Datenfahndern eine drastische Erweiterung ihrer Zugriffsmöglichkeiten auf die Kundendaten der Nutzer von Internet- und Telekommunikationsdiensten ermöglichen soll.

Der Vorstoß des Bundesrates, der bei den Datenschutzbeauftragten einen Proteststurm ausgelöst hat, ist raffiniert verpackt in einem Gesetzesentwurf zur "Verbesserung der Ermittlungsmaßnahmen wegen des Verdachts sexuellen Missbrauchs von Kindern." Das Argument, das verbrecherisches Treiben von Pädophilen im Internet verfolgen zu wollen, dient als Deckmantel für einen umfassenden Angriff auf das Grundrecht auf unbeobachtete Kommunikation.

Wenn der Bundesrat dem Gesetzentwurf morgen tatsächlich zustimmt, würde Wirklichkeit, wogegen sich die Verteidiger einer freien Informationsgesellschaft lange und bisher auch erfolgreich zur Wehr gesetzt haben: Der Gesetzesvorschlag sieht vor, Internet- und Telekom-Provider zwangsweise zur Protokollierung und "Vorratsspeicherung" sämtlicher Nutzungs- und Verbindungsdaten ihrer Kunden zu verpflichten. Die Provider müssten diese Daten langfristig speichern. Damit wäre das derzeit geltende Recht, dass nur für Abwicklung und Abrechnung der Nutzung relevante Daten bis zu maximal drei Monate gespeichert werden dürfen und dann gelöscht werden müssen, gründlich ausgehebelt.

Der baden-württembergische Datenschutzbeauftragte Werner Schneider hält das für den Versuch, "das Fundament einer Rundumüberwachung im Internet zu legen." Die Bundesratsmehrheit wolle "jeden Klick im Internet, jede E-Mail, jede Pager-Nachricht und jede SMS aufzeichnen und durch Polizei und Geheimdienst auswerten lassen." Die Entscheidungsgewalt darüber, wer unter welchen Umständen und in welchem Umfang Zugriff auf die anfallenden Datenbestände haben soll, soll zudem nicht beim Gesetzgeber, sondern bei der Exekutive liegen. Nach Ansicht des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein ein Angriff auf den verfassungsrechtlich festgeschriebenen Grundsatz, wonach alle wesentlichen Entscheidungen über Grundrechtseingriffe dem Parlament vorbehalten sind.

Dabei dürfte allein schon die Frage, wie die Provider die Speicherung dieser potentiell riesigen Datenmengen logistisch bewältigen und wirtschaftlich verkraften würden, den Verantwortlichen einiges an Kopfzerbrechen bereiten. Experten rechnen damit, dass größere Telekom-Unternehmen Kosten im zwei- bis dreistelligen Millionenbereich zu verdauen hätten. Zudem bezweifeln Datenschutz-Experten prinzipiell den Sinn solch einer umfassenden Überwachung für die Kriminalitätsbekämpfung - die Strafverfolger würden "im Datenmüll ersticken."

Die Datenschützer machen nun gemeinsam Front gegen das Ansinnen des Bundesrates, derart massiv die Eingriffsrechte der Behörden in die private Telekommunikation ausbauen zu wollen. Die Datenschutzbeauftragten des Bundes sowie der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein haben die politischen Entscheidungsträger aufgefordert, dem in einem Gesetzespaket "versteckten" Vorhaben die Zustimmung zu verweigern. Ob sie mit ihrer Kritik auf offene Ohren treffen werden ist fraglich. Der Vorschlag wurde bereits vom Rechtsausschuss des Bundestages angenommen und bei der morgigen Entscheidung im Plenum des Bundestages hat seit dem Regierungswechsel in Sachsen-Anhalt die Union die Mehrheit: Schlechte Karten für die Datenschützer und vielleicht der Beginn einer sehr ungemütlichen Zeit für uns als "Gläserne Bürger."