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Spanisches Dorf als Vorreiter der Internet-Ära

Internetanschluss wurde zum Grundrecht erklärt; erste intelligente Häuser
Von dpa /

Auf den ersten Blick scheint Jun ein traditionelles südspanisches Dorf zu sein. Die Männer sitzen bei ein, zwei oder auch drei Bier auf den Terrassen der Kneipen zusammen und strecken ihre behaarten Bäuche der glühenden Sonne entgegen; die Frauen versammeln sich vor ihren Häusern zum Tratschen. Doch gesellt sich der Besucher hinzu und lauscht ein wenig den angeregten Gesprächen, merkt er schnell, dass es nicht nur um den Nachbarn oder das wunderbare Olivenöl Andalusiens geht. Vielmehr geht es ums Internet.

Maria del Mar etwa erzählt ihren Freundinnen von ihrer neuen Eroberung. "36 Jahre alt, Arzt und total süß! Er hat mich sogar zu sich nach Barcelona eingeladen", sagt sie stolz. "Wo soll ich denn sonst in meinem Alter noch flirten?", fragt sie mit einem Augenzwinkern. Maria del Mar ist vor 78 Jahren in Jun geboren worden und teilt mit 80 Prozent der Dorfbewohner das Vergnügen, mit dem Internet umgehen zu können. Dass man beim "chatten" sein wirkliches Alter nicht unbedingt verraten muss, weiß sie inzwischen auch.

Jun, ein knapp über 2 000 Einwohner zählendes Dorf in der andalusischen Provinz Granada, hat bewiesen, dass die Entwicklung zur Informationsgesellschaft nicht nur technisch machbar, sondern auch praktisch durchsetzbar ist. Angefangen hat alles im Dezember 1999, als der Gemeinderat beschloss, Internetanschluss zu einem Grundrecht zu erklären - wie Müllabfuhr und Straßenbeleuchtung auch.

Der stellvertretende Bürgermeister, José Antonio Rodriguez Salas, spricht von einer Pyramide, deren Spitze die Teledemokratie sei und die auf der digitalen Alphabetisierung aller Einwohner basiere. Deshalb bestand der erste Schritt darin, die Bewohner, für die Internet bis dahin nicht mehr als ein Modewort aus den großen Städten war, an dieses Kommunikations- und Informationsmittel heranzuführen. Eine Art Kulturhaus wurde eröffnet, in dem die Gemeinde bis heute kostenlos Internetanschluss und Internetkurse für alle Bürger bietet. 80 Prozent der Bevölkerung nahm an diesen Kursen teil. In nur sechs Monaten wurde so aus einem Dorfältesten, der kaum lesen und schreiben kann, ein begeisterter Internetsurfer.

Nachdem die Dorfbewohner E-Mails schreiben, auf die Homepage ihres Lieblingssängers kommen oder Kochrezepte herunterladen können, wird dieses Wissen nun auch politisch genutzt. "Direkter Kontakt von Bürgern und Regierenden, Demokratie bis an ihre Grenzen", sind die Schlagworte von Rodriguez. Zu diesem Zweck organisierte Jun im November 2000 eine von der Europäischen Kommission finanzierte Weltkonferenz für Teledemokratie. Dieser Begriff beschreibt die Fortsetzung herkömmlicher Politik mit elektronischen Mitteln, unter denen das Internet eine Hauptrolle spielt.

Um dies zu verdeutlichen, startete Jun im Juli 2001 das Pilotprojekt, Gemeinderatsversammlungen im Internet zu übertragen, um so allen die Möglichkeit zu geben, eigene Vorschläge einzubringen und den Entscheidungsprozess aktiv mitzubestimmen.

Zu dem ersten Plenum schalteten sich Besucher aus aller Welt zu, unter ihnen auch der Präsident der EU-Kommission, Romano Prodi. Jun ist seitdem bei fast allen wichtigen Projekten in Europa um das Internet und die Teledemokratie dabei. In der "Erklärung von Jun" wird die Europäische Union etwa dazu verpflichtet, rückständige Gesetze zu ändern, um mit neuen technischen Möglichkeiten die Teledemokratie vorantreiben zu können.

Aber Rodriguez ruht sich nicht auf seinen Lorbeeren aus. Vor einigen Monaten rief er das Projekt "Interville" ins Leben. Damit soll das in Jun Erreichte, die digitale Alphabetisierung, auf alle Gemeinden unter 5 000 Einwohnern ausgeweitet werden - zunächst in Andalusien, "doch warum nicht in ganz Spanien, Europa, der Welt?"

Doch damit nicht genug. Was viele höchstens aus Science-Fiction-Filmen kennen, ist in Jun schon beinahe Realität. Denn dort entstehen jetzt die ersten so genannten intelligenten Häuser, mit der Vernetzung von Fernseher, Heizung, Kühlschrank oder Beleuchtung. Über Handy oder Notebook lässt sich ein kurzer Blick in Küche oder Kinderzimmer werfen, die Tür öffnet sich nach dem Sesam-öffne-dich-Phänomen und der Kühlschrank informiert über seinen Inhalt.