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Wischi-Waschi-Urteil!


02.03.2010 11:25 - Gestartet von zbsi
Wie (fast) immer beim BVG. Die Vorratsdatenspeicherung muss komplett weg! So werden doch nur wieder Teile des Gesetzes verändert und es heisst : Auf ein Neues! Die 35000 Klagen richteten sich gegen die VDS an sich, nicht nur gegen die laienhafte Umsetzung.
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[1] preisspecht antwortet auf zbsi
02.03.2010 11:48

einmal geändert am 02.03.2010 19:01
Sehe ich nicht ganz so. Sonst hätte das BVerfG auch nur eine Nachbesserung mit Frist verlangen können, hat aber das "ganze Ding" in die Tonne getreten und dem Gesetzgeber aufgegeben, nochmals am Nullpunkt unter Berücksichtigung der Vorgaben anzufangen (keine Speicherung im persönlichen Bereich, z.B. bei Telefonseelsorge usw.), mehr Transparenz + sehr viel höhere Schwellen für die Datensicherheit und Datenzugriff. Also wenn ich diese Vorgaben lese, dann kann ich da beim besten Willen kein "Wischi-Waschi" erkennen, sondern knallharte Vorgaben für eine Neugestaltung.

Urteilszitate:

"Die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit einer vorsorglich anlasslosen Speicherung der Telekommunikati­onsverkehrsdaten setzt voraus, dass diese eine Ausnahme bleibt. Dass die Freiheitswahrnehmung der Bürger nicht total erfasst und registriert werden darf, gehört zur verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland, für deren Wahrung sich die Bundesrepublik in europäischen und internationalen Zusammenhängen einsetzen muss."

"Für die Gefahrenabwehr ergibt sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass ein Abruf der vorsorglich
gespeicherten Telekommunikati­onsverkehrsdaten nur bei Vorliegen einer durch bestimmte Tatsachen hinreichend belegten, konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person, für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder zur Abwehr einer gemeinen Gefahr zugelassen werden darf. Diese Anforderungen gelten, da es auch insoweit um eine Form der Gefahrenprävention geht, gleichermaßen für die Verwendung der Daten durch die Nachrichtendienste. Eine Verwendung der
Daten von Seiten der Nachrichtendienste dürfte damit freilich in vielen Fällen ausscheiden."

"Verfassungsrechtlich geboten ist als Ausfluss des
Verhältnismäßig­keitsgrundsatzes überdies, zumindest für einen engen Kreis von auf besondere Vertraulichkeit angewiesenen
Telekommunikationsverbindungen ein grundsätzliches Übermittlungsverbot vorzusehen. Zu denken ist hier etwa an Verbindungen zu Anschlüssen von Personen, Behörden und Organisationen in sozialen oder kirchlichen Bereichen, die grundsätzlich anonym bleibenden Anrufern ganz oder überwiegend telefonische Beratung in seelischen oder sozialen Notlagen anbieten und die selbst oder deren Mitarbeiter insoweit anderen
Verschwiegenheit­sverpflichtungen unterliegen."

"Eine Übermittlung und Nutzung der gespeicherten Daten ist grundsätzlich unter Richtervorbehalt zu stellen. Sofern ein Betroffener vor Durchführung der Maßnahme keine Gelegenheit hatte, sich vor den Gerichten gegen die Verwendung seiner Telekommunikati­onsverkehrsdaten zur Wehr zu setzen, ist ihm eine gerichtliche Kontrolle nachträglich zu eröffnen."

"Den Speicherungspflichtigen sind insoweit weder die von den
Sachverständigen im vorliegenden Verfahren nahegelegten Instrumente zur Gewährleistung der Datensicherheit (getrennte Speicherung, asymmetrische Verschlüsselung, Vier-Augen-Prinzip verbunden mit fortschrittlichen Verfahren zur Authentifizierung für den Zugang zu den Schlüsseln, revisionssichere Protokollierung von Zugriff und Löschung) durchsetzbar vorgegeben, noch ist ein vergleichbares Sicherheitsniveau anderweitig garantiert."

"Mit den aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entwickelten Maßstäben unvereinbar sind auch die Regelungen zur Verwendung der Daten für die Strafverfolgung. § 100g Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO stellt nicht sicher, dass allgemein und auch im Einzelfall nur schwerwiegende Straftaten Anlass für eine Erhebung der entsprechenden Daten sein dürfen, sondern lässt unabhängig von einem abschließenden Katalog generell Straftaten von erheblicher Bedeutung genügen."

"Dass die Vorschriften gemäß § 95 Abs. 3 Satz 1 BVerfGG für nichtig und nicht nur für unvereinbar mit dem Grundgesetz zu erklären sind, hat der Senat mit 4:4 Stimmen entschieden. Demzufolge können die Vorschriften auch nicht in eingeschränktem Umfang übergangsweise weiter angewendet werden, sondern verbleibt es bei der gesetzlichen Regelfolge der
Nichtigerklärung."

Letzteres heißt im Klartext wohl: Es wird ein Stand hergestellt, als ob es das bisherige Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung nie gegeben hätte.



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[2] tgklau antwortet auf zbsi
02.03.2010 12:47
Benutzer zbsi schrieb:
Die 35000 Klagen richteten sich gegen die VDS an sich, nicht nur gegen die laienhafte Umsetzung.

Und damit sind sie letztendlich gescheitert. Das hast Du klug erkannt.
Werden die gesetzlichen Vorschriften präziser gefasst, ist die Speicherung sehr wohl verfassungsgemäß.

Warum hier manchen also gerade einer abgeht ist mir daher völlig unverständlich. Vielleicht weil bei denen in BILD-Manier schon nach der Überschrift das Nachdenken gleich wieder aufhört.
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[2.1] zbsi antwortet auf tgklau
02.03.2010 13:18
Benutzer tgklau schrieb:
Benutzer zbsi schrieb:
Die 35000 Klagen richteten sich gegen die VDS an sich, nicht nur gegen die laienhafte Umsetzung.

Und damit sind sie letztendlich gescheitert. Das hast Du klug erkannt.
Werden die gesetzlichen Vorschriften präziser gefasst, ist die Speicherung sehr wohl verfassungsgemäß.

Warum hier manchen also gerade einer abgeht ist mir daher völlig unverständlich. Vielleicht weil bei denen in BILD-Manier schon nach der Überschrift das Nachdenken gleich wieder aufhört.

Die Überschrift suggeriert allerdings etwas anderes, als das Urteil aussagt. Ich hätte als Überschrift (und nachdenkender BILD-Leser) "Karlsruhe kippt Vorratsdatenspeicherung in der jetzigen Form" gewählt und bleibe bei meiner Aussage, dass eigentlich die VDS als solches zur Disposition stehen sollte. Aber das tut sie ja sowieso, da ist zum Glück noch nichts "letztendlich gescheitert":

http://www.heise.de/newsticker/meldung/EU-will-Pflicht-zur-Vorratsdatenspeicherung-neu-pruefen-942207.html
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[2.2] Telly antwortet auf tgklau
02.03.2010 14:30
Und damit sind sie letztendlich gescheitert. Das hast Du klug erkannt.
Werden die gesetzlichen Vorschriften präziser gefasst, ist die Speicherung sehr wohl verfassungsgemäß.

Wenn ich das richtig verstanden habe, kann man schon davon sprechen, dass es gekippt worden ist, da hier nicht nachgebessert werden kann und bisherige Daten vollends gelöscht werden müssen.

Das das nicht für immer bleibt, wird auch deutlich. Aber immerhin muss das Gesetzgebungsverfahren "wieder von vorne" beginnen. Das begrüße ich sehr.

Mal eine Zwischenfrage: Glaubt ihr auch, dass der Erfolg der Piratenpartei bei der letzten Bundestagswahl (immerhin 2,1%) mit dazu beigetragen hat? Immerhin wurde dieses Thema auch in den anderen Parteien danach mal mehr diskutiert.

Telly
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[2.2.1] tgklau antwortet auf Telly
02.03.2010 16:27
Benutzer Telly schrieb:

Mal eine Zwischenfrage: Glaubt ihr auch, dass der Erfolg der Piratenpartei bei der letzten Bundestagswahl (immerhin 2,1%) mit dazu beigetragen hat?

Wer glaubt denn sowas total doofes?
Was um Gottes Willen soll denn bitte das Wahlergebnis einer unbedeutenden Splitterpartei mit der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes zu tun haben?

Solltest Du wirklich glauben, die Verfassungsrichter sprechen Recht anhand des Wahlergebnisses der Piratenpartei, solltest Du vielleicht mal bei der Volkshochschule einen Kurs zu unserem Rechts- und Staatssystem besuchen, bevor Du Dein Wahlrecht ausübst... Man sollte schon wissen, ob man Verfassungsrichter oder die Legislative wählt.
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[2.2.1.1] Telly antwortet auf tgklau
02.03.2010 16:47
Wer glaubt denn sowas total doofes?
Was um Gottes Willen soll denn bitte das Wahlergebnis einer unbedeutenden Splitterpartei mit der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes zu tun haben?

So gefragt: Nichts!

Solltest Du wirklich glauben, die Verfassungsrichter sprechen Recht anhand des Wahlergebnisses der Piratenpartei...

Nein, das glaube ich natürlich nicht! Ich meine ja nur, dass die Piratenpartei mit dazu beigetragen hat, dass über diese Datenspeicherung heftigst diskutiert wurde. Es gibt selten Themen, die diese Anzahl an Menschen in der gemeinen Bevölkerung ansprechen und "aufregen".

Die Richter haben sicherlich Recht gesprochen nach ihren Vorschriften und Maßstäben. Doch ich bin durchaus der Überzeugung, dass die öffentliche Debatte über dieses Thema dabei nicht gänzlich unberücksichtigt bleibt. Auch Richter sind nur Menschen - wenngleich sie sich im besten Fall natürlich um Objektivität bemühen.

solltest Du vielleicht mal bei der Volkshochschule einen Kurs zu unserem Rechts- und Staatssystem besuchen, bevor Du Dein Wahlrecht ausübst... Man sollte schon wissen, ob man Verfassungsrichter oder die Legislative wählt.

Du hast wohl völlig was mißverstanden. Und selbst wenn ich das gemeint hätte, was Du verstanden hast, bräuchtest Du mich noch lange nicht so anzugreifen.

Telly
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[2.2.2] spaghettimonster antwortet auf Telly
02.03.2010 18:58
Benutzer Telly schrieb:
Das das nicht für immer bleibt, wird auch deutlich. Aber immerhin muss das Gesetzgebungsverfahren "wieder von vorne" beginnen. Das begrüße ich sehr.

Jedenfalls ist diesmal die Justizministerin und gleichzeitige Beschwerdeführerin Leutheusser-Schnarrenberger zuständig, mit der die Union nicht so leichtes Spiel haben wird wie mit Brigitte-Fähnlein-im-Wind-Zypries.

Glaubt ihr auch, dass der Erfolg der Piratenpartei bei der letzten Bundestagswahl (immerhin 2,1%) mit dazu beigetragen hat? Immerhin wurde dieses Thema auch in den anderen Parteien danach mal mehr diskutiert.

Zu hoffen ist es, dass die etablierten Parteien informationstechnisch in der Gegenwart ankommen und das Internet nicht primär als diffusen Gefahrenraum wahrnehmen und immer nur als unwichtiges Beiwerk abhandeln.
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[3] spaghettimonster antwortet auf zbsi
02.03.2010 18:40
Benutzer zbsi schrieb:
Wie (fast) immer beim BVG.

Was ist mit den Berliner Verkehrsbetrieben?

http://de.wikipedia.org/wiki/Bvg
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[3.1] zbsi antwortet auf spaghettimonster
03.03.2010 10:37
Naja, auch Dir sollte sich diese (zugegeben falsche) Abkürzung in diesem Zusammenhang erschlossen haben:

http://de.wikipedia.org/wiki/Bundesverfassungsgericht