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Entscheidende Info fehlt...


08.10.2017 18:27 - Gestartet von RobbieG
Eine entscheidende info fehlt: Wo verdienen die Kriminellen damit Geld?
Ich rufe diese Nummer an. Ich zahle an meinen Anbieter. Der reicht das an seinen Lieferanten weiter. Wo "versickert" das Geld? Hier sollte Teltarif mal nachhaken.


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[1] x-user antwortet auf RobbieG
09.10.2017 00:50
Benutzer RobbieG schrieb:
Eine entscheidende info fehlt: Wo verdienen die Kriminellen damit Geld?
Ich rufe diese Nummer an. Ich zahle an meinen Anbieter. Der reicht das an seinen Lieferanten weiter. Wo "versickert" das Geld? Hier sollte Teltarif mal nachhaken.

Gute Frage. Verdienen da etwa die 'Anbieter' mit, ähnlich wie bei der Drittanbieter-Abzocke? Das wäre dann wohl brisant...

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[1.1] KiRKman antwortet auf x-user
09.10.2017 03:02

einmal geändert am 09.10.2017 03:19
Benutzer x-user schrieb:
Gute Frage. Verdienen da etwa die 'Anbieter' mit, ähnlich wie bei der Drittanbieter-Abzocke? Das wäre dann wohl brisant...

Das Geld verdienen die Telefongesellschaften, bei denen der Anruf terminiert wird (also deren Nummern angerufen werden). Unheimlich "in" war die Sache etwa von 1990 bis 1993, aber natürlich auch danach noch, wie man ja bis heute sieht.

Ganz klare Sache: Die Masche ist URALT! Die bereits etwas Älteren unter uns kennen sicher noch die nervigen 00599-Werbungen aus dem Privatfernsehen. Diese waren Anfang der 1990er Jahre extrem verbreitet. Anrufe gingen nach Curaçao bzw. auf die niederländischen Antillen. Aber auch nach Chile (0056) und Hong Kong (00852) ging viel.

Grund dafür war und ist das Berechnungsverfahren der Interconnection. Dabei berechnet mir mein Anbieter zunächst die Anrufe in fremde Netze bzw. fremde Länder und gibt danach eine vereinbarte Gebühr weiter an die fremde Telefongesellschaft, bei der die Nummer terminiert ist. Anders gesagt wird mir erst das Geld abgenommen und dann weitergereicht.

Die Telefongesellschaft im fernen Land oder einer ihrer Partner, bei dem die Nummer auf Umwegen geschaltet wurde, gibt dann eine "Provision" weiter an die Kriminellen, die für die vielen Anrufe sorgen. Dazu werden je nach Volumen entsprechende Cent-Rates vereinbart. Damals waren das im Durchschnitt etwa 40 US-Cent pro Minute, die die Kriminellen erhielten. Der deutsche Anrufer zahlte aber etwa drei Mark pro Minute.

Man kann nun als Telefongesellschaft entweder keine Interconnect-Verträge abschließen, wodurch dann aber keine Nummern im entsprechenden Land per internationalem Selbstwählferndienst ("DID") angerufen werden könnten; oder man beißt in den sauren Apfel und akzeptiert die horrenden Forderungen der Telefongesellschaften aus solchen Ländern, damit man Anrufe zustellen kann.

Natürlich ist das Ganze wie eine weltweit agierende Mafia aufgestellt, wenn man das so nennen darf, so dass man als Telefongesellschaft praktisch gezwungen ist mitzumachen, da man ansonsten auch die Teilnahme am NANP (North American Number Plan) und die Interconnection mit weiteren Zielen riskiert. Anders formuliert: Will man bei der ITU im internationalen Geschäft mitmischen, muss man überall am IC-Verfahren teilnehmen.

Schluss mit dem ganzen Unsinn wäre hingegen beim sog. "Bill & Keep"-Verfahren. Jede Telefongesellschaft berechnet abgehende Gespräche und behält dann einfach das Geld. Fertig aus. Keine Partylines oder Konferenzräume mehr, keine Anruffallen. Kein Loop Easy Money. Keine Call Through Services. Kein Mox Telecom "Admox" mit werbefinanzierten Anrufen. Noch nicht einmal Shared-Service-Rufnummern wie 0180x würde es mehr geben.

Große Telefongesellschaften haben allerdings bereits in den 1980er Jahren ihre eigenen Nummern ohne Berechnung von Interconnect-Charges untereinander verbunden. Man nannte diese direkte Zustellung der Gespräche ins Fremdnetz HCD (Home Country Direct), weil so Ausländer direkt in ihr Heimatnetz zu Hause anrufen konnten. Aber das sind nur wenige Nummern, die direkt den großen Telefongesellschaften gehören. Der Rest läuft immer noch über Interconnect-Charges.

Die Abschaffung von Interconnect zu Gunsten von Bill&Keep hat bisher noch niemand bei der ITU durchsetzen können. Da sind zu viele Milliarden Dollars im Spiel jedes Jahr.

Anscheinend macht jetzt auch Afrika immer fleißiger mit, weil sie sich dort zunehmend an internationale Netze anschließen. Zuvor waren es vermehrt Länder im NANP, die also mit 001 beginnen, obwohl sie weder zu den USA noch zu Kanada gehören. Die Nummern sehen aber genauso aus wie Nummern aus Nordamerika, weswegen sich wohl viele Leute erstmal nichts Besonderes dabei denken. Allerdings werden diese Nummern ebenfalls zu horrenden Gebühren abgerechnet. Entscheidend sind die ersten drei Stellen nach dem +1. Das ist also auch eine ganz fiese Falle.

Die Gründe hierfür sind historischer Natur: Das British Empire hatte damals seine internationale Vermittlung in Kanada. Das heißt alle Telegrafie / Telefonate (T+T) zwischen den Kolonien wurden über Kanada abgewickelt. Dieses weltweite System wurde nachher zu +1 (mit Namen NANP). Viele ehemaligen Kolonien der britischen Krone wollten später jedoch gar keine neue, eigene Vorwahl haben, sondern blieben einfach im +1 Nummernraum. Abgerechnet werden solche Gespräche jedoch wie 00599...

So kam es noch vor zwei Jahren oft vor, dass man Anrufe von +1-868 (Trinidad und Tobago) erhielt oder von +1-268 (Antigua und Barbuda), um nur einige Beispiele zu nennen. Ein Rückruf erfolgte da schnell mal aus Sorglosigkeit, weil man ja dachte, es käme aus den USA. Der Rückruf kostete dann aber sehr viel Geld...

Liste der fremden Länder unter +1 hier:
https://de.wikipedia.org/wiki/Nordamerikanischer_Nummerierungsplan#L.C3.A4nder.C3.BCbersicht_des_NANP

Leider stelle auch ich hin und wieder fest, dass man bei der BNetzA seltsamerweise überhaupt nicht über solche Dinge Bescheid weiß. Dabei sind das Maschen, die seit Jahrzehnten verwendet werden! Und ausrichten kann die BNetzA sicher kaum was gegen die Telefongesellschaften auf den Inselstaaten. Da müsste die ITU in Genf (man denkt zwangsläufig an die FIFA...) mal einschreiten. In der ITU sitzen aber auch die ganzen Vertreter der Telefongesellschaften aus den Inselstaaten :)
https://www.itu.int/online/mm/scripts/gensel11

Edit: Noch ein ganz wichtiger Link zum Thema, weil hier sehr viel aus der Zeit von 1995 als Übersicht zusammenfassend dargestellt wird. Pflichtlektüre für Mitarbeiter der BNetzA :)
http://www.focus.de/finanzen/news/betrug-tatort-telefon_aid_153788.html


„Noch Fragen, Kienzle?“
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[1.1.1] hrgajek antwortet auf KiRKman
09.10.2017 11:09
Hallo,
Benutzer KiRKman schrieb:

Das Geld verdienen die Telefongesellschaften, bei denen der Anruf terminiert wird (also deren Nummern angerufen werden). Unheimlich "in" war die Sache etwa von 1990 bis 1993, aber natürlich auch danach noch, wie man ja bis heute sieht.

Bei den 00599 Nummern sollen die Gespräche (mit Zustimmung der Zielgesellschaft??) gleich in Europa geblieben sein. Bei einem Testanruf vor zig Jahren , als man noch viel per Satellit verbunden hat, fiel auf, dass die Tonqualität extrem gut war und mit hoher Wahrscheinlichkeit diese Anrufe nie in Übersee "ankamen".
Dazu muss es Grau-Anbieter geben, die bei der "Ausleitung" und "Umleitung" mitspielen...

Frage zum "Bill & Keep"...

Eine "Insel" oder "Ministaat"-Telco hat kaum regulären ankommenden Traffic und möglicherweise auch wenig abgehenden Traffic, d.h. wenn sie nur die lokalen Einnahmen (von Anrufern, die ins Ausland wählen möchten) "behalten", könnte das am Ende nicht "ausreichen"... Oder hab ich da einen Denkfehler? :-)




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[1.1.1.1] KiRKman antwortet auf hrgajek
10.10.2017 04:44
Benutzer hrgajek schrieb:
Bei den 00599 Nummern sollen die Gespräche (mit Zustimmung der Zielgesellschaft??) gleich in Europa geblieben sein. Bei einem Testanruf vor zig Jahren , als man noch viel per Satellit verbunden hat, fiel auf, dass die Tonqualität extrem gut war und mit hoher Wahrscheinlichkeit diese Anrufe nie in Übersee "ankamen".

Richtig, ich erinnere mich dunkel, dass auch manche Gespräche nach Mexiko in Wirklichkeit irgendwo in Berlin landeten. Bei den Fallbeispielen Chile und Hong Kong betrieben die Anbieter aber tatsächlich Partylines in den betreffenden Ländern und hatten dafür auch deutschsprachiges Personal angeheuert.

Heutzutage ist natürlich wirklich alles möglich - durchs Internet, IMS-Plattformen, Trunking mit "CLIP no Screening", VoIP generell. Da kann man als Krimineller problemlos in Peking sitzen, unbedarfte Rentner in Hamburg anrufen und dabei die Festnetznummer der Polizei mitsenden. Jeder Schüler könnte vom Kinderzimmer aus eine Partyline betreiben. Damals hingegen musste man dafür noch zwei bis drei PMX-Anschlüsse und eine teure Telefonanlage von Aspect haben. Da konnten die Investitionen schonmal die Millionengrenze (in DM) knacken.

Frage zum "Bill & Keep"...
Eine "Insel" oder "Ministaat"-Telco hat kaum regulären ankommenden Traffic und möglicherweise auch wenig abgehenden Traffic, d.h. wenn sie nur die lokalen Einnahmen (von Anrufern, die ins Ausland wählen möchten) "behalten", könnte das am Ende nicht "ausreichen"... Oder hab ich da einen Denkfehler? :-)

Nein, das ist natürlich vollkommen richtig mitgedacht. Netzbetreiber, die generell wenig ankommende Rufe haben, sind von diesem Problem betroffen. Daher müssen diese Gesellschaften dann für eingehende Rufe von ihren Kunden Geld nehmen. Man zahlt also nicht nur für abgehende Rufe, sondern auch für eingehende Rufe. Im Prinzip, wie man es vom Roaming kennt.

In den USA gilt Bill&Keep. Dort zahlt man entweder jede eingehende Minute oder bucht einen Plan mit einem Kontingent oder Unlimited. Auf jeden Fall muss man immer schauen, was für einen Outbound-Plan und auch *Inbound-Plan* man nimmt. Bei den Mobilfunkverträgen ist eine Incoming Airtime enthalten. Für Kunden, die sich damit nicht auseinandersetzen wollen, gibt's natürlich Verträge wie Sand am Meer, wo alles mit drin ist.

Deswegen funktionieren in den USA auch keine Shared Cost Nummern, und es gibt auch keine Anbieter, die von den IC-Charges leben. Ein Geschäftsmodell wie das von Sipgate gibt's dort nicht. Man findet also keinen Anbieter, der eine kostenlose Telefonnummer bietet, sich dann aber von eingehenden Rufen finanziert. Man muss als Kunde immer irgendwie bezahlen: Entweder nur für die Rufnummer, oder für die Rufnummer mit einem eingehenden Kontingent oder nur für die eingehenden Rufe.

Ein Inselstaat, der weder viele eingehende noch abgehende Rufe hat, müsste folglich eine sehr hohe Grundgebühr nehmen. Die Sache ist eigentlich ganz einfach.

Sipgate müsste, so leid es mir tut, dann eine Grundgebühr für die geografischen Rufnummern nehmen und/oder für eingehende Rufe Geld verlangen. Ein Beispiel, wie das in den USA aussieht, findet man beim VoIP-Anbieter Callcentric:

https://www.callcentric.com/rate/plans/
Pakete / Tarife für abgehende Gespräche

https://www.callcentric.com/did/
Pakete / Tarife für eingehende Gespräche (mit geografischer Rufnummer inkludiert)

Man braucht dann auch keine eigenen Vorwahlen für Mobilnetze mehr, weil ja sowieso jedes Gespräch gleich viel kostet. Wenn ein Mobilnetzbetreiber Geld für den Ausbau seines Netzes benötigt, muss er dieses von *seinen* Kunden einsammeln, und nicht als geheime Subvention per hoher Interconnection-Gebühren, wie es in Deutschland jahrzehntelang der Fall war. Sogar mit Zuschlag für die E-Netze, weil diese ja mehr Stationen bauen mussten. Irrsinn hoch zehn!

Die Interconnection-Gebühren für die damaligen E-Netze waren seinerzeit derartig überhöht, dass solche Angebote wie "Loop Easy Money" erst entstehen konnten. Dabei handelte es sich bekanntlich um ein Geschäftsmodell, bei dem der Kunde an den hohen Einnahmen für eingehende Rufe beteiligt wurde. Und was passierte? Studenten riefen sich über Anbieter wie "Americom *0#" selbst an, um Geld zu verdienen. Americom-Gespräche gingen über Deutschland-USA-Vietnam-Deutschland; die Qualität war so schlecht, dass man nichts verstehen konnte, aber das war ja egal! Hauptsache das Ungleichgewicht der IC-Charges passte, so dass man mit Telefonaten einmal um die Welt legal Geld verdienen konnte.

Ich wäre sehr froh, wenn - zumindest in Deutschland - endlich Bill&Keep eingeführt werden würde. Das wäre wirklich transparent. Anbieter mit Geschäftsmodell wie Sipgate müssten dann allerdings radikal umdenken.