ANGA: Grundsatzurteil zu Weitersenderechten in TV & Radio
In einem mehrjährigen Rechtsstreit über die Lizenzierung der Weitersenderechte für Fernseh- und Hörfunkprogramme hat der Breitbandverband ANGA laut eigenen Angaben ein fundamental wichtiges Urteil gegen eine deutsche Verwertungsgesellschaft erwirkt.
Hintergrund: Um neue, internetbasierte TV-Plattformen wie Zattoo und waipu.tv oder IPTV- und OTT-Anbieter, die wie klassische Kabelunternehmen lineare Sender bündeln und über das offene Internet verbreiten, gibt es seit längerem Streit über die Lizenzierung der Weitersenderechte. Neue Plattformen sehen sich etwa mit dem Problem konfrontiert, dass ihre Form der Weiterverbreitung nicht im Urheberrecht geregelt war. Jeder Urheber, ja sogar jeder Schauspieler hätte rein theoretisch seine eigene Rechtsposition gegenüber den neuen TV-Plattformen geltend machen können.
In einem Rechtsstreit über die Lizenzierung der Weitersenderechte hat die ANGA ein wichtiges Urteil erwirkt
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Die Netzbetreiber der ANGA bieten ihren Kunden zudem nicht mehr nur das klassische Kabelfernsehprodukt für Zuhause an. Hinzugekommen sind neue TV-Formen wie Streaming über das Internet (OTT), aber auch zeitversetzte Dienste wie Catch-Up-TV und Online-Videorecorder. Die Klärung der für diese Angebote erforderlichen Urheberlizenzen gestaltet sich in der Praxis oftmals schwierig und langwierig. Die neuen Anbieter gingen daher nicht kalkulierbare Risiken ein, und tatsächlich gab es in der Vergangenheit auch Mehrforderungen der Verwertungsgesellschaften. Die Chancen auf branchenweiten Rechtsfrieden und innovative Medienangebote waren somit eingeschränkt.
Gericht setzt neuen Gesamtvertrag fest
Auf eine Klage der ANGA hat das Oberlandesgericht München jetzt einen neuen Gesamtvertrag festgesetzt. Dieser regelt, zu welchen Konditionen die Mitgliedsunternehmen des Verbandes die Rechte für die leitungsgebundene Weitersendung von Fernseh- und Hörfunkprogrammen erwerben können. Umfasst wird sowohl klassisches Kabelfernsehen als auch neu die Verbreitung im IP-Standard, etwa über Glasfasernetze. Eingeräumt werden dafür Urheber- und Leistungsschutzrechte privatwirtschaftlicher Fernseh- und Hörfunkunternehmen.
Das Gericht hat in seinem 105-seitigen Urteil zahlreiche Mehrforderungen der Verwertungsgesellschaft gegenüber dem bis 2016 bestehenden Gesamtvertrag zurückgewiesen. Das betrifft unter anderem die Höhe des Vergütungssatzes, die Bedeutung von Daten zum Beispiel im Rahmen von IPTV und die Einführung von sogenannten Mindestbemessungsgrundlagen.
Nach dem Urteil bleiben die Vergütungssätze auf dem Niveau des Tarifs von 2012. Besonders bedeutsam: Für Endkundenumsätze gelten weiterhin keine festen Mindestbemessungsgrundlagen, es bleibe grundsätzlich bei einer prozentualen und damit für beide Seiten fairen Vergütung. Die Bemessungsgrundlage besteht aus den tatsächlich erzielten Erlösen. Nach den Feststellungen des Gerichts gelte insoweit "ein strenger Wirklichkeitsmaßstab ohne pauschalierende Vergütungsbestandteile". Daraus lässt sich die zentrale Erkenntnis ableiten, dass auch für die digitale Medienverbreitung weiterhin der Grundsatz gilt, dass Rechtenutzer nur für solche Umsätze Vergütungen an die Rechteinhaber zahlen müssen, die sie tatsächlich erwirtschaften, nicht aber für rein fiktive Einnahmen, die sich die Rechteinhaber vorstellen können.
Erste Entscheidung über urheberrechtliche Gesamtverträge
Das Urteil ist von besonderer Bedeutung, denn es handelt sich um die erste Entscheidung des für urheberrechtliche Gesamtverträge in Deutschland zentral zuständigen Oberlandesgerichts über die Vergütungsparameter für Weitersenderechte.
"Wir sind mit dem Urteil des Oberlandesgerichts sehr zufrieden", sagt ANGA-Geschäftsführer Dr. Peter Charissé. "Die umfangreichen Feststellungen werden für alle weiteren Lizenzverhandlungen über Kabelfernsehen, IPTV und auch TV-Angebote im offenen Internet (OTT-TV) von großer Bedeutung sein. Die ausführlich begründete Entscheidung bietet zugleich die Chance auf branchenweiten Rechtsfrieden, damit Fernsehveranstalter und Plattformbetreiber gemeinsam innovative Medienangebote entwickeln können, um zum Vorteil aller Beteiligten im Wettbewerb mit internationalen Streaming-Angeboten bestehen zu können."
Der festgesetzte Gesamtvertrag hat eine Mindestlaufzeit von 2018 bis Ende 2028. Der Klage war eine Kündigung des bis 2016 bestandenen Gesamtvertrags durch die Verwertungsgesellschaft und ein Schiedsverfahren bei der amtlichen Schiedsstelle nach dem Verwertungsgesellschaftengesetz (VGG) vorausgegangen. Gegen deren Einigungsvorschlag hatte die beklagte Verwertungsgesellschaft Widerspruch eingelegt.
Gegen das Urteil ist die Revision zulässig. Der Bundesgerichtshof nimmt jedoch nur eine eingeschränkte Überprüfung vor, denn die Festsetzung eines Gesamtvertrags ist eine rechtsgestaltende Entscheidung gemäß § 130 VGG, für die dem Oberlandesgericht ein weiterer Ermessensspielraum eingeräumt wird.
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