Editorial: Cash oder Karte?
Echtes Bargeld, Karte oder Handy? Die Präferenz scheint sich zu verschieben.
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
Anders als die USA, wo die Kreditkarte schon seit Jahrzehnten
zum "guten Ton" gehört, war Deutschland lange Zeit
Kartenverweigerungsland. Bezahlt wurde überwiegend bar.
Doch glaubt man einer
aktuellen Bitkom-Umfrage, dann
versucht inzwischen drei Viertel der Bevölkerung, Zahlungen
mit Bargeld zu vermeiden. 71 Prozent wünschen sich mehr
kontaktlose Bezahlungsmöglichkeiten.
Nun wissen wir nicht, wie suggestiv die Umfrage des Bitkom gestaltet war. In der aktuellen Pandemie, die das tägliche Leben so gut wie aller Bürger stark beeinträchtigt, kann man so eine Umfrage mit Suggestivfragen auch steuern. Wenn eingangs gefragt wurde: "Glauben Sie, dass Viren durch Bargeld übertragen werden können?" dürfte das Ergebnis deutlich höher pro Karte ausfallen, als wenn die erste Frage lautete: "Glauben Sie, dass Viren durch die PIN-Eingabe an Kartenterminals übertragen werden können?"
Langsame Kartenzahlung
Echtes Bargeld, Karte oder Handy? Die Präferenz scheint sich zu verschieben.
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
Fakt ist: Bis heute dauert eine Kartenzahlung in den meisten
Geschäften länger als eine Bargeldzahlung. Das gilt selbst bei
kontaktlosen Kartenzahlungen ohne PIN-Eingabe: Die Kassiererin
nimmt den Wunsch des Kunden auf Kartenzahlung entgegen. Dann
gibt sie die Kartenzahlung frei. Nach einigen Sekunden ist das
Kartenterminal bereit. Erst dann kann der Kunde seine Karte,
sein Smartphone oder seine Smartwatch an das Terminal halten.
Das Terminal prüft dann wieder einige Sekunden lang, bis es
die Zahlung freigibt. Dann müssen noch zwei Belege gedruckt
werden (einer für den Händler, einer für den Kunden), erst dann
ist die Bezahlung fertig. Die Übergabe eines Geldscheins und
die Rückgabe von Wechselgeld geht hingegen viel schneller
vonstatten.
Dass es viel schneller geht, zeigte schon vor Jahrzehnten die Mensa meiner Uni: Noch während die Kassiererin eintippte, was für Essen man auf dem Tablett hatte, wurde die Karte in das Kartenlesegerät gesteckt. Sobald sie fertig war, wurde der abzubuchende Betrag und der neue Saldo auf der Karte angezeigt. Eine Sekunde später konnte man die Karte wieder entnehmen und der nächste Student war dran. Schlangen gab es damals an der Kasse immer nur dann, wenn neue Karten ausgegeben oder alte zurückgenommen werden mussten oder die Technik mal wieder streikte, was ca. einmal im Jahr vorkam.
Der Hauptgrund für die langsame Kartenzahlung dürfte sein, dass den meisten Geschäften bis heute Bargeld lieber ist, weil es weniger Kosten verursacht: Die Kartenprovisionen sind insbesondere bei Kreditkarten weiterhin vergleichsweise hoch und die Auszahlung der abgerechneten Umsätze erfolgt weiterhin mit Verzögerung von vier bis sechs Wochen. Die Kartenprovisionen werden wiederum von den Kartenherausgebern verwendet, um Kickback an die Kunden zu leisten: Von kostenlosem Kredit für einen Monat (so lange man die Kartenrechnung zu 100% begleicht) oder kostenlosen Versicherungen (zum Beispiel gegen Schäden beim Heimtransport des eben gekauften Produkts) über kostenlose Prämienmeilen (gut, die sind im Moment vielleicht nicht ganz so attraktiv) bis hin zu kostenlosen CO2-Kompensationsmaßnahmen ist da so einiges im Angebot. Wer beispielsweise die "Green Card" der niederländischen Online-Bank Bunq verwendet, für den pflanzt die Bank pro 100 Euro Umsatz einen Baum.
Kampf den Provisionen
Am Ende wäre es freilich für Kunden und Händler besser, die Provisionen würden sinken. Dann gäbe es zwar weniger Extras bei Premiumkarten und weniger kostenlose Werbekarten. Zugleich würden aber die Preise an der Kasse sinken, weil die Händler weniger Zahlungssystemkosten einkalkulieren müssten.
Datenschutz?
Der andere wunde Punkt bei zunehmender Kartenzahlung ist der Datenschutz: Kreditkarten ermöglichen relativ weitreichendes Kundentracking, und sei es nur dadurch, dass der Händler zuordnet, was alles mit derselben Karte bezahlt worden ist. Je größer ein Händlernetzwerk ist, desto mehr Daten fallen an, und desto mehr Optimierungsmöglichkeiten kann der Händler nutzen. Kleinen Händlern droht dadurch das Aus, es kommt zu immer weitgehenderen Konzentrationen.
Berüchtigt ist das Verhalten der Tankstellen: Diese ändern ihre Preise im Durchschnitt fünfmal täglich - und das bis zu zehn Cent rauf oder runter, auch, wenn sich der Ölpreis gar nicht bewegt hat. Ausschlaggebend ist das Verbraucherverhalten: Spät abends wollen Autofahrer meist mit möglichst geringen Umwegen direkt nach Hause. Also können die Tankstellen dann höhere Preise durchsetzen. Auch Mittags steigen die Preise, nachmittags fallen sie dann wieder. Das Spiel war schon vor einem Jahrzehnt so schlimm geworden, dass das Bundeskartellamt die Markttransparenzstelle für Kraftstoffe schuf, mit deren Daten Benzinpreis-Apps gefüttert werden. Brauchen wir als Verbraucher also künftig als Gegengewicht zum Handel auch eine Milchpreis-App, um zu erfahren, ob Frischmilch gerade bei Lidl oder Aldi günstiger ist? Nun, das könnte tatsächlich passieren, wenn das Kundentracking so weitergeht.
Andererseits ist die Datenschutzdiskussion letztendlich nur eine Abwehrschlacht: Kameras werden seit Jahren immer besser und immer kleiner und Gesichtserkennungs-Software kann bereits Milliarden Menschen voneinander unterscheiden. Die Händlerketten brauchen also nur ein Backup der Mitschnitte der in den Kassenbereichen eh aufgestellten Überwachungskameras auszuwerten, und sie wissen, welcher Kunde wann wiederkam. Per Zuordnung zum Protokoll der Registerkasse, dessen zehnjährige Speicherung sogar das Finanzamt vorschreibt, wissen sie dann auch, was gekauft wurde. Auch hier fällt es einem großen Handelskonzern im Zweifelsfall leichter als einem kleinen Einzelhändler, den Weg der Überwachungsvideos zum russischen, chinesischen oder US-amerikanischen Tracking-Anbieter zu verschleiern.
Sicher ist das Tracking per Gesichtserkennung illegal. Nur die Datensammelei von Android, Windows und iOS ist genauso illegal. Obwohl seit Jahren bekannt, wurde letztere bis heute nicht unterbunden. Hohe Bußgelder gab es bisher immer dann, wenn die Konzerne nicht auf ihre gesammelten Nutzerdaten aufpassten und diese an Dritte oder die Öffentlichkeit gelangten. So musste Facebook letztes Jahr 5 Milliarden US-$ Strafe für die umfangreichen Datenlecks bezahlen, die insbesondere Cambridge Analytica ausnutzte, um auf Facebook auch nicht-öffentliche Profile abzuscannen. Für die Datenweitergabe an US-Geheimdienste, die eigentlich aus nationaler EU-Sicht ein absolutes No-Go sein müsste, gab es bisher noch keine Strafen. Aus politischer Sicht ist das verständlich, man möchte nicht den eh schon schwelenden Handelskrieg weiter verschärfen. Aus Verbrauchersicht heißt es hingegen: Gegenüber den Großkonzernen hat der Datenschutz leider bereits verloren. Egal, ob man die Kreditkarte zum Zahlen benutzt oder nicht.