Weitere Verzögerung

Kommt Call by Call im Ortnetz dieses Jahr doch nicht?

SPD-Fraktion riskiert Klage der EU-Kommission
Von Marie-Anne Winter

Die freie Anbieterwahl bei jedem Anruf (Call by Call) sollte Ende dieses Jahres endlich auch in den Ortnetzen möglich sein. Jetzt wird bekannt, dass die SPD-Fraktion im Bundestag dabei ist, der rot-grünen Bundesregierung eine peinliche Blamage einzuhandeln. Das Handelsblatt berichtet, dass SPD-Abgeordnete einen Kabinettsbeschluss zur weiteren Öffnung der Telekom-Ortsnetze blockieren. Das bedeutet, dass die EU-Richtlinie, die das Call by Call im Ortnetz vorsieht, vermutlich nicht mehr bis Ende dieses Jahres realiert werden kann.

Bereits vor einem Jahr hatte die EU-Kommission der deutschen Regierung mit einem Vertragsverletzungsverfahren gedroht, falls die freie Betreiberwahl in den Ortsnetzen nicht bis Ende 2002 umgesetzt werde. Weil die EU-Richtlinie für alle Mitgliedsländer verbindlich ist, sind die Aussichten, bei einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) ohne Geldbuße davon zu kommen, sehr gering.

Ende letzten Jahres hatte das Bundeswirtschaftsministerium einen Brief nach Brüssel geschickt, in dem zwar versprochen wurde, das Call by Call in den Ortsnetzen "so schnell wie möglich" umzusetzen, aber darauf hingewiesen wurde, dass erst das Telekommunikationsgesetz geändert werden müsse, was ja ein bisschen länger dauern könnte. Inzwischen sind die notwendigen Änderungen unter dem Druck aus Brüssel geschafft - jetzt soll der SPD-Bundestagsabgeordnete Klaus Barthel die Umsetzung noch weiter hinauszögern. Der Vorsitzender des Unterausschusses für Telekommunikation und Post habe das Thema nicht auf die Tagesordnung des Unterausschusses gesetzt, der am Mittwoch zusammen kommt. Das Handelbatt zitiert Bartel wie folgt: "Nur weil die EU-Kommission Call by Call im Ortsnetz vorgibt, machen wir noch lange kein Gesetzgebungsverfahren nach Durchwinken."

Hintergrund ist, dass durch die Gesetzesänderungen Kunden der Deutschen Telekom bei Ortsgesprächen die Telefongesellschaft für jeden Anruf frei wählen können. Bisher funktioniert das nur bei Ferngesprächen und über die trickreichen 0190-0-Anbieter. Das Call by Call im Ortsnetz ist bisher auf wenig Freunde gestoßen, auch der Chef der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP), Matthias Kurth, ist nicht davon überzeugt, dass weiterer Preisdruck tatsächlich zu mehr Wettbewerb im Telekommunikationsmarkt führen wird. Für die EU-Kommission ist er das Hauptargument für realistische, und damit verbraucherfreundlichere, Preise. Kurth meint, dass unter dem Preiskampf neben der Telekom auch die Stadtnetzbetreiber und auch DSL-Anbieter wie die QSC AG, leiden würden, weil sie in den letzten Jahren viel Geld in den Aufbau eigener Netze investiert hätten, in die sich nun Billiganbieter zu günstigen Konditionen einkaufen könnten. Das Preisdumping könnte die Netzbetreiber ruinieren, die ihre Investitionen refinanzieren müssen. Das verwundert etwas, denn Anfang dieses Jahres hieß es, dass durch die Gesetzesänderung die Verpflichtung, die freie Auswahl der Telefongesellschaft zu ermöglichen, auf "marktbeherrschende Betreiber öffentlicher Netze", also auf die Deutsche Telekom, beschränkt sei. Vorher galt diese Verpflichtung für alle Netzbetreiber, also auch für regionale Telefongesellschaften, die Komplettanschlüsse für Kunden eingerichtet hatten. Gründe für diese Einschränkung wurden damals nicht genannt.

Laut Handelsblatt hat das Wirtschaftsministerium diese Bedenken jedoch ernstgenommen und deshalb vorgeschrieben, dass auch Call-by-Call-Anbieter in jedes Ortsnetz, in dem sie Gespräche anbieten wollen, investieren müssen. Der zuständige Abteilungsleiter im Bundeswirtschaftsministerium, Horst Ehrnsperger (CDU), sagte dem Handelsblatt, dass er über Barthels Verzögerungsstrategie wütend sei, weil Deutschland sehr viel Vertrauen in Brüssel verspiele.