Kein Ende in Sicht

SEC prüft AOL Time Warner

Schwache AOL-Quartalszahlen - Neue Sammelklage
Von dpa / Karin Müller

Nach der Flut der Bilanzskandale an der Wall Street steht nun auch der weltgrößte Medien- und Onlinekonzern AOL Time Warner im Visier der Ermittler. Die US-Wertpapier- und Börsenkommission SEC habe in einer "Faktensuche" die Buchführungsmethoden des Unternehmens unter die Lupe genommen, teilte Konzernchef Richard Parsons gestern nach Börsenschluss mit.

Die Online-Sparte America Online (AOL) entwickelte sich im abgelaufenen zweiten Quartal weiter zum Sorgenkind des Konzerns mit einem operativen Gewinneinbruch um 41 Prozent. Die Einbußen wurden durch andere Bereiche wie Fernsehen, Film, Musik und Print-Medien mehr als ausgeglichen. Im gesamten ersten Halbjahr schrieb AOL Time Warner wegen hoher Sonderabschreibungen im ersten Quartal einen monumentalen Verlust von 53,8 Milliarden Dollar.

Die SEC-Untersuchung folgt zwei in der vergangenen Woche von der "Washington Post" veröffentlichten Artikeln über eine Serie unkonventioneller Online-Anzeigen-Transaktionen mit deren Hilfe AOL seine Werbe-Einnahmen aufgebläht haben soll. Parsons betonte, die Transaktionen hätten im Einklang mit den GAAP-Buchführungsregeln gestanden und seien von Wirtschaftsprüfern abgesegnet worden.

Unterdessen reichte eine weitere US-Anwaltskanzlei Weiss & Yourman in New York eine Sammelklage gegen AOL Time Warner im Zusammenhang mit den Transaktionen ein. Sie wirft dem Medienriesen "falsche und irreführende Angaben über seine Anzeigeneinnahmen seit dem dritten Quartal 2000 vor". AOL habe seine Werbeeinnahmen durch eine Serie unkonventioneller Transaktionen um 270 Millionen Dollar fälschlich erhöht. Gegen AOL Time Warner war bereits Ende vergangener Woche eine Sammelklage mit ähnlicher Begründung eingereicht worden.

Die Aktie von AOL Time Warner fiel am Mittwoch nach Börsenschluss um 72 Cents auf 10,68 Dollar. Sie hat in diesem Jahr bereits knapp drei Viertel ihres Werts verloren.

Die SEC-Untersuchung bei AOL Time Warner folgt einer ganzen Serie von Buchführungsskandalen und Bankrott-Fällen wie Enron, Global Crossing, WorldCom und Adelphia Communications.

AOL Time Warner schnitt im zweiten Quartal 2002 dank guter Geschäfte im Kabelfernseh- und TV-Bereich sowie mit Filmen, Musik und Print-Medien insgesamt gut ab. Dagegen litt AOL mit dem weltgrößten Online-Dienst unübersehbar unter einem schwachen Anzeigenaufkommen und nur noch langsam steigenden Kundenzahlen.

Der Konzern verdiente in der Berichtszeit 394 Millionen Dollar (398 Mio Euro) oder neun Cent je Aktie gegenüber einen Verlust von 734 Millionen Dollar oder 17 Cent je Aktie in der entsprechenden Vorjahreszeit. Der Umsatz stieg um zehn Prozent auf 10,6 Milliarden Dollar.

Parsons hob hervor, dass der Rückgang der America-Online-Werbeeinnahmen durch die Stärke der anderen Sparten mehr als wettgemacht worden sei. Die Online-Werbeeinnahmen waren im zweiten Quartal um 42 Prozent eingebrochen. AOL bekam weltweit nur noch 492 000 neue Mitglieder, davon 78 000 in Europa. AOL hatte am Quartalsende weltweit 35,1 Millionen Mitglieder, davon sechs Millionen in Europa.

Das traditionelle Medien- und Unterhaltungsgeschäft werde das Wachstum in der zweiten Jahreshälfte beschleunigen, betonten Parsons. Er wolle America Online so rasch wie möglich wieder voranbringen. Das AOL-Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA) sackte auf 473 Millionen Dollar ab (Vorjahr: 801 Millionen Dollar). Die meisten anderen Sparten wiesen auf dieser Basis deutlich gestiegene Gewinne auf.

Der Halbjahresumsatz legte auf 20,3 (Vorjahr: 18,4) Milliarden Dollar zu. AOL Time Warner verbuchte im ersten Halbjahr 2002 einen gewaltigen Verlust von 53,8 Milliarden Dollar gegenüber roten Zahlen von 2,1 Milliarden Dollar in der entsprechenden Vorjahreszeit. Der Verlust geht auf entsprechend hohe Sonderabschreibungen im ersten Quartal für die enorm im Wert gefallenen Vermögenswerte nach dem Kauf von Time Warner durch America Online zurück. America Online hatte Time Warner 2001 für 106 Milliarden Dollar geschluckt.