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Unternehmen manipulieren ihre Wikipedia-Einträge

Mit dem WikiScanner geschönte Einträge aufdecken
Von Marie-Anne Winter

Immer mehr Zeitgenossen nutzen die kostenlose Online-Enzyklopädie Wikipedia, um sich zu informieren. Das bedeutet, dass Wikipedia-Einträgen mittlerweile ein erheblicher Einfluss auf die Meinungsbildung zugeschrieben wird. Und weil Wikipedia ein offenes System ist, an dem im Grunde jeder mitschreiben darf, können natürlich auch Unternehmen oder Einzelpersonen auf das Bild Einfluss nehmen, das die jeweiligen Wikipedia-Einträge von ihnen vermitteln. Bereits vor einiger Zeit wurden Manipulationen an den Biografien von US-Politikern bekannt. Insbesondere unliebsame Passagen waren in den Lebenläufen gelöscht worden.

Nun schreibt die britische Zeitung The Times, dass eine Reihe von Unternehmen und Organisationen der letzen Zeit kritische Passagen in den Einträgen über sie geschönt haben sollen. Dazu gehören unter anderem Wal-Mart [Link entfernt] , Disney, Sony, die britischen Labour-Partei, der US-Geheimdienst CIA und auch der Vatikan. Aber auch andere Firmen und Behörden versuchen, sich in ein besseres Licht zu setzen. So soll von einem Rechner des Pharmaunternehmens AstraZeneca aus der Hinweis entfernt worden sein, dass das von dem Unternehmen entwickelte Antidepressivum Seroquel bei Jugendlichen selbstverletzendes Verhalten und Selbstmordgedanken fördere. Die Food and Drug Administration hatte bereits vorgeschlagen, dass unter anderem dieses Mittel mit einem entsprechenden Hinweis versehen werden solle.

Verschleierung möglich

AstraZeneca reagierte inzwischen auf diese Vorwürfe und versprach, den Vorfall zu untersuchen. Allerdings wies der Pharmakonzern darauf hin, dass die IP-Adresse auch gefälscht sein könnte. Dass es theoretisch möglich sei, den Ursprung derartiger Manipulationen zu verschleiern, bestätigte ein IT-Sicherheitsexperte von Sophos. Es sei aber keine triviale Sache, denn dazu müssen man beispielsweise einen Computer im Firmennetz von AstraZeneca übernehmen, um ihn als Proxy benutzen.

Die Times führt weitere Beispiele an: Von einem PC der Firma Dow Chemical aus wurde eine Passage über den Chemie-GAU von 1984 im indischen Bhopal gelöscht. Das Unglück in einer Chemie-Fabrik der Dow-Chemical-Tochter Union Carbide hat 20 000 Menschenleben gekostet. Und von einem Exxon-Mobil-Computer aus wurde ein Eintrag über die Havarie des Öltankers Exxon Valdes geändert, der 1989 eine Ölpest und damit eine der größten bisher bekannten Umweltkatastrophen auslöste.

Diese Manipulationen wurden mit der neuen Software WikiScanner [Link entfernt] aufgedeckt, die der Virgil Griffith, ein Mitarbeiter des California Institute of Technology vor kurzem veröffentlicht hat. Mit dieser Software lassen sich IP-Adressen von Nutzern zurückverfolgen, die Wikipedia-Artikel anonym verändert haben. Weil die genannten Großunternehmen eigene Adressbereiche haben, könnten die IPs entsprechend zugeordnet werden. Es ist allerdings nicht möglich, die einzelnen Nutzer zu ermitteln, die aus dem jeweiligen Netzwerk auf Wikipedia zugegriffen haben. Auf einer Seite des Wired-Magazins werden die spektakulärsten Spin Jobs [Link entfernt] gelistet.