Featuritis

Moderne Handys können viel mehr als deren Nutzer

Zwei Drittel der Handyfunktionen werden nicht benutzt
Von dpa / Marie-Anne Winter

Sie machen Fotos, spielen Musik, empfangen Fernsehbilder, ersetzen den Kalender und navigieren durch die Weltgeschichte. Moderne Mobiltelefone erschlagen ihren Besitzer geradezu mit Funktionen. Über diese "Featuritis" hat so mancher Hersteller vergessen, dass viele Menschen einfach nur mit ihrem Handy telefonieren wollen. Doch selbst für die absurdesten technischen Spielwiesen in Sachen Mobiltelefon finden sich noch Abnehmer. Künftig sollen neue Bedienkonzepte der Funktionsvielfalt den Schrecken nehmen. Gleichzeitig werden aber auch mehr im Funktionsumfang reduzierte Handys auf den Markt kommen.

"Im Schnitt werden nur 30 Prozent der Funktionen eines Mobiltelefons genutzt", sagt Matthias Schroeder, der in seiner Magdeburger Agentur Schroeder & Wendt benutzerfreundliche Oberflächen für die Mensch-Maschine-Schnittstelle entwickelt. Dazu gehörten vor allem das Telefonieren und das Schreiben von Textnachrichten. Indes kennen laut Schroeder 70 Prozent aller Nutzer nicht alle Funktionen ihres Handys.

Kinder und Jugendliche spielen sich am Handy beinahe die Finger wund. Sie bestücken den Organizer virtuos mit Daten und bekommen leuchtende Augen, wenn das Gerät beim Anruf bunt blinkt. Und während sie die Ohren spitzen, wenn MP3-Titel aus Mini-Lautsprechern scheppern, wollen ältere Menschen und Einsteiger zunächst nur unfallfrei telefonieren. Allerdings mache fast jeder Nutzer eine Veränderung mit, so Schroeder. "Wenn man sich erst einmal ans Telefonieren gewöhnt hat, will man auch eine SMS schreiben."

Den typischen Handynutzer gibt es nicht

Wann der Lernprozess aufhört und die Angst vor den vielen Funktionen einsetzt, lässt sich nicht pauschal sagen. "Den typischen Mobilfunknutzer gibt es genau so wenig wie das ultimative Handy für alle", sagt Schroeder. Doch bei drei Milliarden Mobiltelefonierern weltweit sei die Modell- und Funktionsvielfalt eben beinahe so bunt, schillernd und wenig einheitlich wie die Weltbevölkerung selbst.

So hat beispielsweise ein Hersteller eine Golftrainer-Funktion in ein Mobiltelefon eingebaut. Über die Kamera lassen sich die Bewegungsabläufe beim Abschlag aufnehmen und analysieren. "Für Golfspieler ist das die absolute Killerapplikation, für andere nutzlos", sagt Tim Bosenick, Geschäftsführer der Usability-Beratung SirValUse [Link entfernt] in Hamburg. Eine der Funktionen, bei der Marketing und Realität noch weit auseinanderklaffen, ist die Videotelefonie. "Das hört sich schon toll an, wird aber höchst selten genutzt", sagt Bosenick. Gleiches gelte für die so genannte Push-to-Talk-Funktion, mit der ein Handy wie ein Walkie-Talkie genutzt werden kann.