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Einschätzung der "Einschätzung"


22.10.2018 18:17 - Gestartet von wolfbln
8x geändert, zuletzt am 22.10.2018 18:49
Ich fände es wirklich ganz sinnvoll, wenn man Meldung (die aus dem Spiegel stammt) und Meinung trennt, so weit dies möglich ist. Sonst sind solche Artikel im TT immer auf 2 Unterseiten gesplittet oder in einen Meldungsteil und ein Editorial.

Überall in Deutschland sind Wahlen und die Wähler murren, weil sie im Funkloch unterwegs sind. Das hat die Branche längst verstanden und baut so gut es geht aus, einige Anbieter mehr, andere (gefühlt) weniger.

Es sind nicht Wähler unterwegs. Das reduziert den Menschen auf einen Kreuzchenmacher, sondern User/Nutzer, die murren. Es sind in diesem Herbst nur 2 Wahlen in Bundesländern mit 16,2 Mio. Einwohnern, also etwa 20% der Deutschen. Viele Nutzer sind unzufrieden mit der Netzqualität, nicht nur in Bayern und Hessen. Hier steckt ein unausgesprochener Populismusvorwurf drin. Wieso?

"Mancher Wähler stand bislang gleichzeitig auf der Matte, wenn es galt, den "gefährlichen" oder "hässlichen" Sendemast im Wohngebiet zu verhindern."

Da ist ein Zielkonflikt, dass keiner eine Antenne auf dem Haus will und trotzdem besten Empfang. Das ist richtig, aber demnach wären Funklöcher nur Resultat der Strahlenphobie einiger weniger. Aber die "Funklöcher" gibt es auch in Gewerbegebieten, wo das keinen stört oder gerade verstärkt "auf dem flachen Land", wo nichts im Wege steht. In den großstädtischen Yuppi-Gemeinden laufen die Netze dagegen.

"Die Politiker kennen sich mit physikalischen Bedingungen wie der Ausbreitung von Funkwellen nicht aus und erwarten, dass die deutschen Netzbetreiber über Nacht auf 3,5 GHz ein flächendeckendes 5G-Netz dahin zaubern und auch noch 10 Milliarden Euro dafür an den Staat bezahlen, dass sie das überhaupt aufbauen dürfen."

Das erwartet auch keiner ernsthaft. Mit dem 3,5 GHz-Netz lässt sich keine Fläche machen, aber das 700 MHz-Netz ist noch gar nicht gestartet und die Branche will schon die Frequenzen um 600 MHz. Diejenigen, die eine "flächendeckende" Abdeckung gefordert haben, betonten immer, dass die nur durch einen Frequenzmix möglich sei. Von den 10 Mrd. Einnahmen, die mal erwartet wurden, hat man sich auch inzwischen zu Gunsten von Ausbauverpflichtungen verabschiedet.

Kleine lokale Anbieter bekämen die Frequenzen quasi geschenkt und könnten dort, wo es wirklich lukrativ sein könnte, lokale Netze aufbauen. Anschließend "verbünden" sich die lokalen Anbieter untereinander und bieten eine bundesweite Abdeckung.

Da ist ein Widerspruch in sich drin. Regionale Anbieter werden nur in lukrativen Regionen ausbauen, dann fehlen aber die nicht-lukrativen Regionen für das Bundesnetz und ein wie auch immer verbundenes Regionsnetz wäre dann so wie die Nahverkehrsverbünde beim ÖPNV. Es passt alles nicht zusammen und auf dem flachen Land passiert doch nichts.

Die Wette gilt: Die drei großen Netzbetreiber werden dieses "Spiel" nicht mitspielen. Beispielsweise könnten sie sich alle oder einige einfach an der kommenden 5G-Versteigerung nicht beteiligen.

Hier wird schließlich völlig auf die Argumentation der drei großen Anbieter eingeschwunken. Die beteiligen sich schon, wenn sie ein Geschäft sehen.

Lizenzen gegen Abdeckungs­verpflichtungen zu vergeben, ist ein richtiger Ansatz.

Das haben auch die Betreiber erkannt, allerdings versuchen sie, die Ausbauverpflichtungen so tief wie möglich zu drücken. Bei den Wünschen eines Betreibers müsste 2020/1 überhaupt kaum gebaut werden, weil dies fast komplett durch die 4G-Verpflichtungen abgedeckt wird.

Warum nähern wir uns nicht einfach mal unvoreingenommen?
Der Ausbau der Infrastruktur ist katastrophal schlecht in Deutschland und eines Industrielandes dieses Kalibers nicht würdig. Das erkennt jeder, der in viel "ärmeren" Ländern unterwegs ist. Wie schaffen wir es also, es diesmal besser hinzukriegen? Offenbar war der Ansatz falsch. Die Betreiber tun nur das Nötigste, aber mehr nur, wenn es sich lohnt. Damit fahren sie satte Gewinne ein bei den höchsten Preisen in Mitteleuropa. Diese Gewinne reinvestieren sie aber nur teilweise in weniger lukrative Gebiete. Das kann so nicht weitergehen.

Mir ist es jetzt ziemlich egal, wie man sich einigt. Wenn die bisherigen Betreiber dies bauen, dann nur mit hammerharten Vorgaben: Abdeckung und Geschwindigkeit. Gemessen von unabhängiger Stelle. In Frankreich hat der Regulierer (ARCEP) gerade 1 Mio. Messungen gemacht, in Deutschland ist man dazu nicht fähig, sondern es gibt im Auftrag von Fachzeitschriften Tests für die der Netzausbau gestoppt wird ("Connect-Freeze"), die ein paar Ecken abfahren und -laufen. Wo leben wir denn?

Die Betreiber müssen gezwungen werden, die Gewinne aus den lukrativen Gegenden des Landes in die Regionen zu verteilen, wo sich ein Ausbau eben nicht lohnen würde. Wenn sie dies nicht selbst machen, dann muss eine unabhängige oder staatliche Stelle darüber wachen und entscheiden. Maximal sollte das auf eine Kooperation von Staat und Betreiber rauslaufen, die es ja eigentlich in diesen Sektor schon gibt.

Und man muss an die Tabus ran: Warum kein Roaming, wenn nur einer abdeckt? Wenn die Dienstanbieterverpflichtung fällt, dann kann man Entgegenkommen der Betreiber erwarten, weil sie damit auf ziemliche Dauer gesichert werden. Warum keine regionalen Player in den Netzen? Die könnten sich ja verbünden zu einem 4. Player. Warum die Erlöse aus der Auktion nicht zweckgebunden in den Mobilfunk stecken, statt ins Breitband, wie angedacht. Denn sie landen ja doch bei den gleichen Akteuren. 4G und insbesondere 5G kann auch Breitband substituieren.

Es stimmt, dass Mobilfunknetze nicht vom Staat selbst gebaut werden sollten. Aber es stimmt auch, dass der Staat die Pflicht hat, die Bereitstellung der täglichen Infrastruktur für jeden zu gewährleisten. Weil er letzteres ausgerechnet in Deutschland nicht gut schafft, muss er nicht gleich alles in Eigenregie übernehmen, sondern über neue Arten der Zusammenarbeit nachdenken. Wir sind in diesem Land immer gut gefahren, die Dynamik der "freien Wirtschaft" zu nutzen und sie durch staatliches Handeln zu kontrollieren - mal mehr, mal weniger.

Warum sollte das diesmal nicht klappen? Dazu muss man nicht gleich das Horrorbild des totalen Staats herauskramen, wenn man sich von der Allheilsamkeit des "freien Marktes" verabschiedet.
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[1] tosho antwortet auf wolfbln
25.10.2018 03:35
Benutzer wolfbln schrieb:
Es sind nicht Wähler unterwegs. Das reduziert den Menschen auf einen Kreuzchenmacher, sondern User/Nutzer, die murren.

Das reduziert den Menschen auf Smombies, Warum nicht einfach "Menschen"?