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Es gibt keine "Staatsferne" im Rundfunk


17.01.2020 14:06 - Gestartet von wolfbln
4x geändert, zuletzt am 17.01.2020 14:18
Die Staatspropaganda-Sender RT und TRT mit den deutschen ÖR Rundfunk in eine Reihe zu stellen, ist problematisch. Auf Nachfrage sagt dann der Autor sicher, er hätte das im Artikel nicht gemacht. OK. Das muss jeder selbst entscheiden. Der Artikel geht in der Überschrift um RT und TRT und dann doch in der 2. Hälfte um die deutschen ÖR.

Ich sage jetzt mal ganz plakativ. Es gibt keinen "staatsfernen" Rundfunk. Die Verteilung des Wellenspektrums erfolgt überall durch staatliche Organe. Da es knapp ist, erfolgt eine Auswahl, wer senden darf und wer nicht. Das ist in Demokratien oder Diktaturen vom Prinzip her gleich. Nur die Auswahl differiert und das Spektrum zugelassener Meinungen. Das trifft indirekt auch für private Medien im Rundfunkbereich zu.

Gegen diese Vorgaben zu verstoßen ist weltweit praktisch unmöglich und das elektromagnetische Spektrum ist eines der am stärksten regulierten. Oder hat jemand einen Piratensender am Bodensee gesehen?

Aus der deutschen Geschichte mit den Propagandasender des 3.Reichs und dem Staatsrundfunk der DDR wollte man andere Wege gehen. Daher wurde nach dem Vorbild der BBC öffentlich-rechtlicher Rundfunk geschaffen, der aber nur bedingt staatsfern ist. Ein Schlüsselproblem bleibt die Finanzierung: wenn nicht aus Steuergeldern, weil zu staatsnah, dann muss eine andere Finanzierung her über Rundfunkgebühren.

Das Internet hat nun das Meinungsspektrum geöffnet. Dort kann fast alles gesagt und quasi gesendet werden. Evolution ist genauso wahr wie göttliche Schöpfung, Klimawandel ist real oder Fiktion und 5G ist einmal die Zukunft und ein andermal Mord.

Hier gibt es jetzt eine praktisch beliebige Vielzahl an Meinungen, die man in den "Staatsmedien" bisher vermisste. Das ruft natürlich autoritäre Staaten auf den Plan, die diese Vielfalt "lenken" oder zensieren. Russland und die Türkei im Artikel sind so 2 Länder, China macht es in Perfektion.

Zurück zu den Öffis: Gegen den deutschen ÖR-Rundfunk werden auch in diesen Artikel wieder 2 Argumente geschickt vermischt:
(1) der ÖR ist zu staatsnah
(2) der ÖR ist zu links

(1) ist eine strukturelle Diskussion, (2) eine inhaltliche. Aber beide Argumente können nicht gleichzeitig zutreffen. Der ÖR kann nicht zu staatsnah und zu links sein. Denn dann wäre die einzige logische Schlussfolgerung, dass der Staat links wäre und das trifft sicher nicht zu. Entweder er bildet die Mehrheits- und Meinungsverhältnisse im Staat zu links ab, dann ist er aber nicht staatsnah, sondern "links-versifft"; oder er ist zu nah an der Regierung bzw. Staat dran, dann wäre er aber ein Sprachrohr der SPD und CDU und nicht links. Die Vermengung beider Thesen setzt die Prämisse, dass es einen staatsfernen, rechten Meinungsbereich gibt, der in den ÖR unterdrückt wird. Dann soll man das klar sagen und kann darüber diskutieren.
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[1] Bjoern_Koenig antwortet auf wolfbln
17.01.2020 14:34
Lieber wolfbln,

im Artikel wird sehr deutlich darauf verwiesen, dass es in Deutschland keine direkte Verbindung zwischen Staat und ÖR gibt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass er unabhängig ist. So sind die Rundfunkräte unter anderem politisch bzw. sogar mit Regierungsmitgliedern besetzt. Beispielsweise ist der Leiter der bayerischen Staatskanzlei, Dr. Florian Herrmann, gleichzeitig auch Mitglied im Rundfunkrat des Bayerischen Rundfunks. Von einer oft kolportierten Staatsferne kann hier also wohl kaum eine Rede sein. Ich wage zu bezweifeln, dass zum Beispiel der Aufsichtsrat der ProSiebenSat.1 Media SE verstärkt mit aktiven Regierungsmitgliedern besetzt ist.

Wie man auf die Idee kommt, dass die Vergabe von Rundfunkfrequenzen auf eine nicht vorhandene Staatsferne aller Rundfunksender schließen lässt, ist mir ehrlich gesagt vollkommen schleierhaft.

Viele Grüße

Björn König (teltarif.de)


Benutzer wolfbln schrieb:
Die Staatspropaganda-Sender RT und TRT mit den deutschen ÖR Rundfunk in eine Reihe zu stellen, ist problematisch. Auf Nachfrage sagt dann der Autor sicher, er hätte das im Artikel nicht gemacht. OK. Das muss jeder selbst entscheiden. Der Artikel geht in der Überschrift um RT und TRT und dann doch in der 2. Hälfte um die deutschen ÖR.

Ich sage jetzt mal ganz plakativ. Es gibt keinen "staatsfernen" Rundfunk. Die Verteilung des Wellenspektrums erfolgt überall
durch staatliche Organe.
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[1.1] wolfbln antwortet auf Bjoern_Koenig
17.01.2020 17:50

2x geändert, zuletzt am 17.01.2020 18:12
Benutzer Bjoern_Koenig schrieb:
Lieber wolfbln,

im Artikel wird sehr deutlich darauf verwiesen, dass es in Deutschland keine direkte Verbindung zwischen Staat und ÖR gibt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass er unabhängig ist. So sind die Rundfunkräte unter anderem politisch bzw. sogar mit Regierungsmitgliedern besetzt. Beispielsweise ist der Leiter der bayerischen Staatskanzlei, Dr. Florian Herrmann, gleichzeitig auch Mitglied im Rundfunkrat des Bayerischen Rundfunks. Von einer oft kolportierten Staatsferne kann hier also wohl kaum eine Rede sein. Ich wage zu bezweifeln, dass zum Beispiel der Aufsichtsrat der ProSiebenSat.1 Media SE verstärkt mit aktiven Regierungsmitgliedern besetzt ist.


Hallo Björn
Ich habe auch betont, dass Sie es nicht gleichsetzen so wie RT=ARD und TRT=ZDF, aber es wird in eine Reihe gestellt. Das ist problematisch, aber für eine Diskussion der Staatsnähe von Rundfunk schon möglich. Der Artikel suggeriert nur in der Überschrift, die Staats-TV-Sender Russlands und der Türkei zu betrachten, während er im 2.Abschnitt effektiv Staatsnähe überhaupt und insbesonders in deutschen ÖR TV reflektiert.


Wie man auf die Idee kommt, dass die Vergabe von Rundfunkfrequenzen auf eine nicht vorhandene Staatsferne aller Rundfunksender schließen lässt, ist mir ehrlich gesagt vollkommen schleierhaft.

Na ja, dass ist doch wirklich nicht so schwer. Die Frequenzen werden in Deutschland über die Medienanstalten vergeben, die man schon als staatsnah bezeichnen kann. Das betrifft die klassischen Ausspielwege von Rundfunk und TV, private wie ÖR. Da gibt es eine gewisse "Auswahl" weil Frequenzen begrenzt sind und nicht jeder senden kann, was er will.

Wer sich mit den Anfängen der ARD unter den Westallierten, des ZDF unter Adenauer und der privaten TV-Sender unter Kohl befasst, sieht, dass ihr Aufstieg stark mit einer politischen Agenda der damals Regierenden bestimmt war.

Auch später während der Wiedervereinigung spielten landespolitische Erwägungen bei der Medienpolitik eine wichtige Rolle. Eine Figur wie z.B. Leo Kirch zeigt sehr deutlich auch die Verquickung privater Medien mit der Politik.

Ich wollte eigentlich nur sagen, dass eine völlige Staatsferne Illusion ist, egal in welchen System. Man kann versuchen, die "Rundfunkanstalten" als "öffentlich-rechtliche" weiter weg von den Regierenden zu konstruieren, völlig unabhängig kann man sie von ihnen nicht machen - wie die Privaten nicht völlig unabhängig von ihren Geldgebern sind.

Wenn der "Staat" uns alle bezeichnet und nicht nur die jeweils Mächtigen, hätte ich dagegen auch nichts einzuwenden, denn das Meinungsspektrum in Deutschland abzubilden ist ja eine Aufgabe von Medien. Das ist dann aber die andere Frage, ob die Meinungen fair abgebildet werden, nur der "Mainstream" oder nur "Linke".

Hier ist ein Massenmedium wie TV und Rundfunk halt eher den Mainstream verschrieben. Das kann man kritisieren, aber es läuft mehr Pop als Blasmusik. Da bietet ja das Internet die Möglichkeit von Musik-Streaming bis abstrusen Politikphilosophien alles darzustellen, was ein Massenmedium eher nicht kann. Mich nicht falsch verstehen: daraus leite ich jetzt nicht ab, dass nur noch Pop gespielt werden soll. Aber Massenmedien haben immer die Tendenz zum Mainstream. Darum verstehe ich den Vorwurf nicht.

Diese Diskussion ist aber so alt wie der Rundfunk. Wenn man ein (fast) rein privates System wie in den USA anschaut, hat das nicht zu mehr Programmvielfalt oder weniger Einflussnahme geführt. Fox News als Haussender Trumps ist ein privater Sender. Die Programme der großen Networks ABC, CBS und NBC sind sehr ähnlich und im FM dort läuft nicht mehr Musikvielfalt als im deutschen UKW.
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[1.1.1] Bjoern_Koenig antwortet auf wolfbln
17.01.2020 18:22
Lieber wolfbln,

es gibt in den USA durchaus ein öffentlich-rechtliches Rundfunksystem (PBS). Allerdings steht das System in den USA unter einen permanenten Legitimationsdruck, da eben keine "Zwangsgebühren" fließen, sondern PBS zum Beispiel auf Spenden angewiesen ist.

Und in einem solchen System sind dann natürlich keine großen Intendanten-Pensionen oder politisch einseitige Berichterstattungen möglich, da sonst der Geldhahn schnell geschlossen wäre.

Was die Landesmedienanstalten betrifft: Diese haben sogar explizit den Auftrag, die Medienvielfalt zu sichern und damit Staatsferne im Rundfunk zu garantieren.

Viele Grüße

Björn König

Benutzer wolfbln schrieb:

Diese Diskussion ist aber so alt wie der Rundfunk. Wenn man ein (fast) rein privates System wie in den USA anschaut, hat das nicht zu mehr Programmvielfalt oder weniger Einflussnahme geführt. Fox News als Haussender Trumps ist ein privater Sender. Die Programme der großen Networks ABC, CBS und NBC sind sehr ähnlich. Im FM dort läuft nicht mehr Musikvielfalt als in
deutschen UKW.