EU plant Gesetz zur Chatkontrolle
Nächste Woche wird im Europäischen Parlament ein Gesetzentwurf zur „Chat-Kontrolle“ diskutiert. Am kommenden Montag wird die EU-Kommissarin für Inneres, Ylva Johansson (Schweden) zwischen 15 und 16 Uhr den EU-Gesetzentwurf zur verpflichtenden Chatkontrolle offiziell im Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten (LIBE) des EU-Parlaments vorstellen.
Nächste Woche wird im EU-Parlament ein Gesetz zur "Chatkontrolle" diskutiert.
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Mit dem Gesetz will die Kommission im Kampf gegen Kinderpornografie alle Anbieter von E-Mail-, Chat- und Nachrichtendiensten verpflichten, vollautomatisiert nach verdächtigen Nachrichten zu suchen und diese an die Polizei weiterzuleiten. Die bisher standardmäßige Ende-zu-Ende-Verschlüsselung müsste durch Software-Scans auf allen Handys ausgehebelt werden. Etwaige Funde würden dann „unverschlüsselt ausgeleitet“, darauf macht Dr. Patrick Breyer, Mitglied des Europäischen Parlaments (Piratenpartei) aufmerksam.
Demnach müssten alle Anbieter von Messengern, private Chats, Nachrichten und E-Mails massenhaft, anlass- und unterschiedslos auf verdächtige Inhalte durchsuchen.
Massenüberwachung in Echtzeit?
Breyer und viele andere Kritiker sehen als Konsequenz eine "nie dagewesene Massenüberwachung durch vollautomatisierte Echtzeit-Chatkontrolle" und damit die Abschaffung des digitalen Briefgeheimnisses. Im Gesetzentwurf zur Chatkontrolle seien die „unwirksame Netzsperren-Zensur“, die Durchleuchtung persönlicher Cloudspeicher einschließlich privater Fotos, durch verpflichtende Altersüberprüfung das Ende jeglicher anonymer Kommunikation, ferner eine "Appstore-Zensur", um z.B. die Verbreitung abhörsicherer Messenger-Apps einzuschränken und einiges mehr zu erwarten.
Auf seiner Webseite chatkontrolle.de erläutert Dr. Patrick Breyer (Piratenpartei) die Details und mögliche Auswirkungen des Gesetzes und ruft die Bürger zu Engagement und zu Protesten auf.
Diskussion bislang nur am Rande geführt
Auch das Fachmagazin netzpolitik.org berichtet ausführlich über das Thema. Die Diskussion finde derzeit noch "am Rande" statt, es gäbe aber in verschieden Ländern schon deutliche Bedenken.
Das Magazin "Der Spiegel" zitiert die deutsche Bundesinnenministerin Nancy Faeser, "jede private Nachricht anlasslos zu kontrollieren, halte ich nicht für vereinbar mit unseren Freiheitsrechten".
Eine Einschätzung (von Henning Gajek)
Kinderpornographie ist schlimm und steht zu Recht unter Strafe. Zudem ist sie meist mit unsäglicher Gewalt an wehrlosen Kindern verknüpft. Aber kann das geplante Gesetz das Problem über Nacht lösen? Leider nein. Die „bösen Menschen“ werden auf hochsichere Systeme umsteigen, die von der Scan-Software nicht erreicht werden. Der Flurschaden wird ein massiver Einbruch in die Privatsphäre von unbescholtenen Bürgern sein.
Auch kann nicht ausgeschlossen werden, dass spezielle Malware unbescholtenen Mitmenschen einfach „Bilder“ auf das Handy oder den Computer schmuggelt, damit die offizielle Scan-Software sie nachher „findet“. Es dürfte für die Betroffenen extrem schwer bis unmöglich werden, im anschließenden Verfahren die Unschuld nachzuweisen, weil zu viele Beteiligte zu wenig technische Kenntnisse der Materie haben.
Da die Suche nach „seltsamen Bildern“ nicht von Menschen, sondern von „Maschinen“ vorgenommen wird, ist auch hier mit „Fehl-Alarmen“ zu rechnen, die den Betroffenen gewaltige Probleme schaffen dürften. Die Ermittlungsbehörden sollten sich - wie bisher - in „einschlägigen Kreisen“ (also dem „Bilderhandel“) bewegen und ermitteln dürfen und bei Vorliegen klarer Beweise dann die notwendigen Strafverfahren eröffnen.
Auch ist nicht auszuschließen, dass bestimmte "Hochsicherheitspolitiker" die willkommene Gelegenheit ergreifen könnten, politisch nicht genehme Meinungen und Strömungen frühzeitig zu ermitteln und gegensteuern zu können, der Begriff „Zensur“ würde dabei schnell im Raum stehen.
Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird ein europäisches Gericht die rechtsstaatlichen Grenzen aufzeigen - was zeigt, wie wichtig unabhängige Gerichte sind. Viele Bürger möchten von der Politik am liebsten in Ruhe gelassen werden, aber es soll alles perfekt und geräuschlos funktionieren. Das funktioniert aber, wie wir am Ukraine Krieg sehen, schon lange nicht mehr. Es braucht informierte und organisierte Bürger, die sich uneingeschränkt informieren und sich an der öffentlichen Diskussion fundiert beteiligen können.
Die EU kann auch sinnvolle Dinge regeln, wie den USB-C Anschluss für Handys und Laptops.