1&1: Weitere Details zum Netzstart für Handy-Kunden
Bei der Vorstellung der Halbjahreszahlen, die ein beeindruckendes Bild vom Unternehmens United Internet (wozu auch 1&1 gehört) gaben, verriet Firmenchef und -gründer Ralph Dommermuth weitere spannende Details zu seinen neuen Mobilfunknetz und des aktuellen Roaming-Vertrages mit Vodafone.
Dommermuth zählt aktuell knapp 12 Millionen Mobilfunkkunden und für diese baut er gerade ein "eigenes Netz". Dafür hatte er Anlaufkosten von 40,8 Millionen Euro und musste für das 1. Halbjahr 204,7 Millionen abschreiben, gegenüber 172 Millionen Euro im Jahre 2022. In einem Hintergrund-Konferenz-Telefonat stellte Dommermuth nochmal sein virtualisiertes Open-RAN-Netz auf der Basis von "normalen Servern" vor. "Wir bauen eine Private Cloud mit 500 Rechenzentren".
Netzaufbau geht weiterhin langsam voran
Beim Aufbau eigener Sendestationen geht es im Moment weiter langsam voran. Dommermuth teilte mit, dass "sein größter Partner" (die Vantage Towers) 300 zugesagte Standorte als "nicht realisierbar" zurückgegeben habe. Ein Teil konnte 1&1 durch eigene Verträge mit neuen Vermietern kompensieren, sodass es in diesem Jahr nur 1000 neue Standorte werden sollen.
Am 30. Juni 2023 hatte 1&1 193 Standorte übernommen, von denen aber noch nicht alle sendefähig sind. Für 98 neue Standorte gibt es unterschriebene Mietverträge, dort muss aber noch aufgebaut und angeschlossen werden. Stand 30. Juni 2023 sind in Deutschland 40 Standorte aktiv in Betrieb. Sein neues Netz wurde bereits mit allen in Deutschland und der Welt relevanten Netzen zusammengeschaltet. Aktuell laufe ein "Friendly User Test" mit 300 externen Kunden.
Mit dem Roaming-Abkommen mit Vodafone kann 1&1-Chef Ralph Dommermuth sein eigenes Netz elegant verwirklichen
Foto/Logo: United Internet AG, Montage: teltarif.de
Wie funktioniert das Geschäftsmodell?
Dommermuth erklärte nochmals sein Geschäftsmodell: "Wir internalisieren die Kosten, die wir heute mit Wholesale Verträgen mit Vodafone und o2 haben." Dadurch lasse sich der Netzbetrieb finanzieren. Aktuell zahlt 1&1 an seine Vertragspartner Vodafone und Telefónica einen Preis pro Minute. "Künftig werden nur noch Daten ausgetauscht, somit fallen die Minutenpreise weg." Durch die eigenen Roaming-Verträge wird es für 1&1 auch deutlich günstiger, wenn die Kunden im Ausland unterwegs sind. "Wir können den Verkehr im Ausland günstiger einkaufen als bei Vodafone oder TEF [Anm. d. Red.: Telefónica]."
Die möglichen Ersparnisse würden ausreichen, um den Netzbetrieb zu finanzieren. Eine "Antenne" koste Miete für Standort, Abschreibung, Träger, Antenne, Leitungen, rechnete Dommermuth vor. "Wir können Betriebskosten einsparen, wo wir eigene Antennen haben, weil kein nationales Roaming notwendig ist, damit können die Gesamt-Kosten gedeckt werden."
Ausbauziel: 50 Prozent der Haushalte
Sein Ausbauziel ist klar: Bis 2030 möchte er 50 Prozent der deutschen Haushalte erreichen, die Kosten für die eigenen Antennen sollen durch die Kostenersparnis gedeckt werden.
Neben den Aufbaukosten hat Dommermuth auch die Kosten für das Funkspektrum (bisher 1 Milliarde Euro) im Blick. Sie möchte er durch neue Geschäftsfelder und Wholesale (Verkauf von Dienstleistungen an andere Unternehmen) erzielen.
Neben den aktuell 193 Antennenstandorten sollen weitere 300 Kolokations-Standorte (wo auch schon andere aktiv sind) dazu kommen, ferner habe er 200 Mietverträge für komplett neue Standorte, wo bisher niemand funkt. Dommermuth legt dabei Wert darauf, erst zu unterschreiben, "wenn der Standort tauglich ist".
Der "größte Partner" (gemeint ist Vantage-Towers) habe weiterhin Schwierigkeiten, aber er sieht Verbesserungen nicht zuletzt durch den neuen Teileigentümer KKR (ein großes weltweites Investment-Unternehmen).
Der Plan: 500 neue Standorte pro Quartal
Dommermuth peilt 500 neue Standorte für jedes Quartal an, was dann 2000 Standorte pro Jahr wären. Hochgerechnet auf sechs Jahre würden sich die geplanten 12.000 Standorte ergeben, um bis Ende 2030 50 Prozent der Haushalte versorgen zu können.
Roaming mit Vodafone hat Vorteile
Ausführlich ging Dommermuth auf das neue Roaming-Abkommen ein. Wir haben einen "Roaming-Partner Vorvertrag mit Vodafone unterschrieben, der ist verbindlich. Nun werden die technischen Details noch geklärt."
Am Vertrag mit Vodafone gefällt ihm, dass er "diskriminierungsfrei" sei und ab dem 1. Juli 2024 bis spätestens 1. Oktober 2024 genutzt werden könne. Die maximale Laufzeit mit Übergangsfristen beträgt 18 Jahre.
Dabei kommt ein Kapazitätsmodell zum Ansatz: "Wir vergüten prozentual die Nutzung des Vodafone-Netzes", unabhängig davon, wie viele Gigabyte an Daten übertragen werden zum Festpreis. Dommermuth weiß, dass die Netzkapazität von Jahr zu Jahr wächst. Auf Diskussionen zum aktuellen "Preis pro GB" möchte er sich gar nicht einlassen: "Wir bezahlen die anteilige Nutzung."
Sein Preis heute werde sich so verändern, wie die tatsächliche Kostenentwicklung. "Steigen die Vodafone-Kosten um fünf Prozent, dann steigt unser Preis auch um fünf Prozent."
Er trat Gerüchten entgegen: "Vodafone ist nicht günstiger als TEF, die Preise sind in etwa gleich." Aber: "Der neue Vertrag ist diskriminierungsfrei. Er hat keine versteckten, nicht planbaren Kosten." Es gebe eine klare Kalkulationsgrundlage, keine Diskussion über den "richtigen Preis", keine Überraschungen.
Kritik an Telefónica
Dommermuth übte indirekt Kritik an Telefónica. Mit dem Begriff "fair" hatte er geliebäugelt, wollte aber nicht missverstanden werden. Im Abkommen mit Telefónica hatte es immer ein "Price Review" gegeben und das sorgte für schlechte Stimmung und Verzögerungen. Juristische Debatten, eine gewonnene Klage, die Einschaltung von Gutachtern und Schiedsgerichten und "viel Theater" werde es mit Vodafone nicht mehr geben. Das ist ihm wichtig. "Wir sparen die Anwaltskosten."
Wie sieht der Zeitplan aus?
1&1 will sein neues eigenes Mobilfunk-Netz am 26. September 2023 starten. Zunächst werden die Discount-Kunden der bisherigen Drillisch-Marken umgeschaltet. Sie können dann mit 4G (LTE) über die bereits aktiven Stationen von 1&1 und über das ihnen bereits bekannte Netz von o2-Telefónica funken, für sie ändert sich also praktisch nichts.
1&1-Kunden, die heute schon 5G-fähige Tarife nutzen, sollen weiterhin direkt im o2-Netz eingebucht bleiben, können also die 1&1-eigenen-Sender noch nicht nutzen.
Sobald das Vodafone-Roaming startklar ist, werden diese Kunden ebenfalls ins "eigene" Netz überführt und telefonieren und surfen dann über die 5G-fähigen 1&1-Stationen und wo diese nicht verfügbar sind über das Vodafone-5G-Netz (wo vorhanden) oder 4G bzw. 2G. Für Neukunden nach dem Start des Vodafone-Roaming werde es dann "eigene 5G-Tarife" geben. Wie diese aussehen könnten, verriet Dommermuth noch nicht.
Genehmigung der Bundesnetzagentur?
Voraussetzung für seinen Plan ist, dass die Bundesnetzagentur ihm den "Parallel-Weiterbetrieb als MNO (Echter Netzbetreiber) und als MVNO (Service-Provider) genehmigt. Aktuell müsste dieser am 31. Dezember 2023 enden. Gestern hatte 1&1 eine Verlängerung auf den 30. September 2024 beantragt, da es sich um unterschiedliche Mobilfunk-Technologien handele. Im eigenen Netz werde zunächst nur 4G angeboten. Für die mobilen 5G-Dienste wolle 1&1 weiter als Service-Provider (im Netz von TEF) tätig bleiben.
Wann endet das TEF-Roaming?
Das Ende des TEF-Roamings hatte Telefónica auf den 30. Juni 2025 bestätigt. Es gebe aber eine Nachlauffrist - falls man es nicht rechtzeitig schaffe. Die Übergangsfrist könne bis zu drei Jahre dauern, um "schrittweise runterzufahren".
Dommermuth sagt dazu: "Das klingt kompliziert, aber unser Ziel ist es, Kunden dauerhaft ein vernünftiges Angebot zu machen." Auf Dauer soll 5G in der Fläche nutzbar sein.
Sein drittes und viertes Core-Rechenzentrum gehe in Kürze an den Start. Der Friendly User-Test werde erweitert und münde dann in den für den 26. September 2023 geplanten Netzstart. Bis dahin gebe es den FWA (Fiex Wireless Access = ortsfester Internetzugang via Funk) nur an eigenen Standorten.
Discountbereich bleibt vorläufig bei 4G
Dommermuth stellte fest, dass im Discountbereich bisher 4G üblich war. Zwar habe sich das jetzt geändert, beispielsweise bei Aldi, Lidl oder Congstar mit 50 MBit/s - sowas mache 1&1 aber nicht. "Wir warten bis das Roaming mit VF läuft."
Für ihn ergibt die Differenzierung weiter Sinn, "weil Discount wesentlich günstiger ist." Es gebe Unterschiede bei Bandbreite und Funkstandard und das "noch eine ganze Zeit."
Neue SIM-Karten für bisherige Vodafone-Nutzer?
Ältere Bestandskunden von 1&1 (z.B. im GMX- oder web.de-Tarif) konnten seinerzeit auch Tarife im Vodafone-Netz bekommen. Bisher waren Fachleute davon ausgegangen, dass diesen Kunden eine neue SIM-Karte zugeschickt werden müsse, um den Wechsel zu "262-23" zu vollziehen.
"Nein das ist nicht richtig", so die Auskunft von Dommermuth, "auch von Vodafone erhalten wir Dual-SIM-Profile für 5G und können somit 'over the air' den Netzwechsel vollziehen."
Vodafone habe ein Jahr Zeit, um die neuen 1&1-Roaming-Kunden in deren Netz aufzufangen. Er wisse nicht, ob sie dafür vor Ort auch neue Sender aufbauen oder erweitern müssten. Er geht aber davon aus, dass Vodafone das hinbekommt. "Wir werden erstmal alle 4G-Kunden umziehen. Das ist keine große Komplexität."
Eine Einschätzung (von Henning Gajek)
Der Aufstieg des Ralph Dommermuth verlief nach einem Plan, der sich im Detail immer wieder geändert hat. Lange Zeit wurde sein Unternehmen von vielen nicht richtig wahrgenommen. Mit dem Roaming-Deal mit Vodafone hat Dommermuth das Heft des Handels übernommen und kann nun in aller Ruhe und mit strengem Blick auf möglichst geringe Kosten sein neues Netz aufbauen. Kostenmäßig kann ihm das Kunststück gelingen, seinen Kunden mehr Netzabdeckung in der Fläche zu bieten und dabei noch zu sparen, um den eigenen Netzaufbau zu finanzieren.
In diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist ihm die kostenbewusste Discounter-Kundschaft dankbar, bei ihm für kleines Geld ausreichende Minuten und Datenmengen zu bekommen. Diese Kunden werden möglicherweise von dem ab 26. September 2023 geplanten Umstieg im Alltag gar nichts groß merken.
Wenn das Vodafone-Roaming planmäßig anläuft, kann er darangehen, die verwöhntere Kundschaft, die auf 5G und mehr Perfomance Wert legt, zu bedienen. Ein Risiko besteht, dass bestimmte Kundengruppen von der Fahne gehen, wenn sie feststellen, dass Vodafone vor Ort schlechter als bisher o2 versorgt, oder wenn sie die Vorteile des Telekom-Netzes entdecken.
Vodafone könnte dem gegensteuern, indem sie zügig ihre Funklöcher stopfen. Die Telekom kann von den Fehlern ihrer Konkurrenz neue Kunden gewinnen, die dann auch gerne höhere Preise bezahlen, solange der Qualitätsunterschied spürbar bleibt.
Die Bundesnetzagentur dürfte den Verlängerungsantrag als Serviceprovider genehmigen. Schließlich hat sich die Politik ja unbedingt einen vierten Netzbetreiber gewünscht - auch wenn es am Ende zunächst eher "dreieinhalb" Netzbetreiber sein könnten. Im Börsen-Jargon heißt das Win win.
In einer weiteren Meldung lesen Sie: Urlaub & Festivals: Mehr Netzbelastung bei o2 und Vodafone.