5G "für fast alle": Doch was hat der Kunde davon?
In den vergangenen Tagen haben sich die Deutsche Telekom, Vodafone und Telefónica wieder einmal selbst auf die Schulter geklopft. So verkündete die Telekom, ihr 5G-Netz sei jetzt "für fast alle" verfügbar. 94 Prozent der Bevölkerung werden den Angaben zufolge mit dem neuen Netzstandard abgedeckt. Vodafone vermeldete eine 80-prozentige Bevölkerungsabdeckung, Telefónica versorgt nach eigenen Angaben 75 Prozent der Bevölkerung mit 5G.
Diese Zahlen sind auf den ersten Blick imposant. Doch die Werte relativieren sich jedoch bei genauerer Betrachtung. Bevölkerungsabdeckung ist nämlich nicht mit der Flächenversorgung zu verwechseln. Natürlich erreicht man schnell eine stattliche Anzahl von Kunden an ihren Wohnorten, wenn man die Städte und Ballungsgebiete versorgt. Ein Mobilfunknetz benötigen die Kunden aber - wie der Name verrät - vor allem mobil, also unterwegs, und nicht zuhause.
5G wird Erwartungen oft nicht gerecht
Image licensed by Ingram Image, Montage: teltarif.de
Versorgungsauflagen gibt es zwar auch für die großen Verkehrswege wie Autobahnen und Bahnstrecken. Wer aber auf Land- und Kreisstraßen unterwegs ist, landet irgendwann unwiderruflich in der Realität der tatsächlichen Netzabdeckung. Hier hapert es neben 5G auch mit LTE und teilweise auch noch mit GSM, sodass mindestens Streaming nicht mehr ohne Aussetzer funktioniert, zum Teil aber sogar Telefonate abreißen, sodass die Verbindung neu aufgebaut werden muss - sobald der Schriftzug "Netzsuche" vom Handy-Display verschwindet.
Nicht überall, wo 5G draufsteht, ist 5G drin
Aber selbst dann, wenn man die Verbindung zum 5G-Netz auf dem Bildschirm des Mobiltelefons angezeigt bekommt, ist das nicht gleichbedeutend damit, dass auch wirklich der neue Netzstandard genutzt wird. Je nach Smartphone-Modell wird die 5G-Verbindung nämlich auch dann angezeigt, wenn eine LTE-Funkzelle genutzt wird, die sich zur Steigerung der möglichen Bandbreite mit einem 5G-Sender kombinieren lässt.
Teilweise gibt es diese 5G-Sender (noch) gar nicht. In anderen Fällen ist die Netzkonfiguration mit den vom Smartphone unterstützten Spezifikationen inkompatibel. Dann ist das neue Netz zwar vorhanden, aber eben nur für Kunden, die ein kompatibles Handy einsetzen. Selbst bei neu auf den Markt gekommenen Geräten ist es nicht selbstverständlich, dass alle in den Netzen verwendeten LTE/5G-Frequenzkombinationen genutzt werden.
Ein Laie kauft ein 5G-Smartphone und wundert sich vielleicht, warum er den neuen Netzstandard nicht überall verwenden kann, wo das laut Abdeckungskarte des jeweiligen Betreibers möglich sein soll. Ein Fachmann überprüft die vom Handy unterstützten Frequenzbereiche und wundert sich erst recht, warum er an manchen Standorten so gar nichts vom 5G-Netz hat. Nicht auf offiziellen Wegen überprüfen lassen sich die unterstützten LTE/5G-Frequenzkombinationen - doch auf diese kommt es an.
"Echtes" 5G ist noch die große Ausnahme
Und selbst wenn das Smartphone wirklich im 5G-Netz eingebucht ist, heißt das noch nichts. "Echtes 5G" gibt es in Deutschland nämlich nur bei Vodafone - und auch dort nur für Kunden mit einem festen Vertragsverhältnis, die eine entsprechende (kostenlose) Option gebucht und ein passendes Endgerät haben. Letzteres ist noch eher selten, zumindest wenn es um 5G Standalone in allen denkbaren Frequenzbereichen geht. Oppo kann das und beherrscht sogar die Kanalbündelung (Carrier Aggregation), Apple und Samsung bisher nur zum Teil.
Nur 9000 aktive Antennen für 5G Standalone
Auch der Netzausbau für 5G Standalone ist noch "ausbaufähig". Nach Vodafone-Angaben unterstützen nur 9000 von derzeit 36.000 5G-Antennen den Standalone-Standard. In allen anderen Fällen dient 5G "nur" als Erweiterung des vorhandenen LTE-Netzes, so wie es für Privatkunden bei Telekom und Telefónica derzeit generell noch der Fall ist. Mit 5G lässt sich so zwar eine höhere Internet-Geschwindigkeit erzielen, nicht aber die niedrigen Reaktionszeiten, die im Vorfeld des 5G-Starts in Aussicht gestellt wurden.
5G-Basisstation in Darmstadt
Foto: teltarif.de
Je nachdem, wo man gerade unterwegs ist, merkt man auch recht wenig von der vollmundig angekündigten Gigabit-Geschwindigkeit über 5G (die zwar der einzelne Kunde nicht braucht, die aber dafür sorgt, dass mehr Nutzer gleichzeitig einen schnellen Internet-Zugang haben). Wer hat nicht schon in ländlichen Regionen einen Speedtest gemacht und trotz 5G-Symbol auf dem Handy-Display nicht einmal 100 MBit/s im Downstream erreicht?
Gigabit-Geschwindigkeit nur in Ballungszentren
Die Gigabit-Geschwindigkeit gibt es tatsächlich - allerdings nur dort, wo 5G in dem Frequenzbereich funkt, der für den neuen Netzstandard von Anfang an gedacht war. Dieser liegt im Bereich von 3600 MHz. Hier haben die Netzbetreiber viel Spektrum zur Verfügung, sodass sie hohe Bandbreiten anbieten können. Allerdings sind diese sehr hohen Frequenzen aufgrund ihrer physikalischen Ausbreitungseigenschaften nicht für die Flächenversorgung geeignet.
Der Versorgungsradius ist in der Regel auf wenige hundert Meter begrenzt. Auf 3600 MHz bauen die Netzbetreiber daher vor allem in Gegenden aus, in denen viele Nutzer aktiv sind, sodass hohe Bandbreiten benötigt werden. Das sind vor allem Städte und Ballungszentren und dort vor allem Bahnhöfe und Flughäfen, Messehallen und Sportstadien, Einkaufsmeilen und wichtige Verkehrswege.
Abseits dieser Gegenden funkt 5G oft auf Frequenzen zwischen 700 und 2100 MHz, oft sogar in Kombination mit LTE im gleichen Band. Hier steht nicht so viel Spektrum wie auf 3600 MHz zur Verfügung. Daher erinnern die Übertragungsgeschwindigkeiten eher an LTE. Sie haben aber so gar nichts mit der Gigabit-Geschwindigkeit zu tun, die im Zusammenhang mit 5G immer genannt wurde.
5G: Viel Marketing um wenig Mehrwert
Natürlich ist der Netzausbau zu begrüßen. Selbstverständlich ist es beeindruckend, zu sehen, wie schnell die Betreiber 5G auch in die Fläche bringen. Die Internet-Geschwindigkeit bleibt aber abseits der Hotspots auf 3600 MHz im Bereich dessen, was auch LTE zu leisten vermag. Von niedrigen Reaktionszeiten profitieren aktuell nur wenige Vodafone-Kunden - wenn sie mit der richtigen Option mit einem passenden Smartphone an einem geeigneten Ort sind.
5G ist derzeit also eher ein Marketinginstrument, mit dem sich Kunden ggf. in teure Netzbetreiber-Tarife inklusive neuem Smartphone locken lassen (Discounter sind beim neuen Netzstandard noch außen vor). Der praktische Nutzen fehlt in den meisten Fällen aber noch - auch weil die meisten Kunden noch gar keinen Zugang zum "echten" 5G haben, sondern eine LTE-Erweiterung als "neues Netz" verkauft bekommen.
In einer weiteren Meldung lesen Sie mehr zu den Plänen für 5G Standalone bei o2.