hoffen und bangen

Die große Angst vorm UMTS-Flop

Unter der 0150 ist noch nicht viel zu erreichen
Von Marie-Anne Winter

Die schöne, neue UMTS-Welt existiert noch gar nicht und schon geht den Anbietern in spe die Puste aus. Noch immer sind viele Probleme technisch nicht gelöst, die Übertragung ist leicht zu stören, UMTS-Handys sind selbst zu Testzwecken kaum zu haben. In der heutigen Ausgabe der "Financial Times Deutschland" (FTD [Link entfernt] ) ist ein langer Artikel zu lesen, der sich schon fast als Nachruf auf einen Milliarden-Traum mit vier Buchstaben verstehen lässt. "Kein Anschluss unter dieser Nummer". Gemeint ist die Vorwahl für die UMTS-Netze 0150, unter der noch in diesem Jahr die bunten Bilder der besseren mobilen Welt flimmern sollten.

Nachdem T-Mobil in der letzten Woche verkündete, dass der Start der dritten Mobilfunkgeneration in die zweite Hälfte des nächsten Jahres verschoben werden soll, hat auch Viag Interkom den UMTS-Start in den Herbst nächsten Jahres vertagt. Das bisher größte Abenteuer der Mobilfunk-Geschichte könnte für einige Unternehmen auch das letzte werden: Laut FTD rechnet der für den Mobilfunk zuständige Telekom-Vorstand Kai-Uwe Ricke damit, dass nur drei der sechs deutschen Lizenznehmer überleben werden.

Die Aussichten sind derzeit also schlecht: Die europäischen Mobilfunkanbieter haben bereits mehrstellige Milliardenbeträge für Lizenzen abgedrückt, der Auf- und Ausbau der Netze wird weitere Euro-Milliarden verschlingen. Weil diese Investitionen zumeist auf Pump finanziert wurden, drücken Zins und Tilgung die Mobilfunker um so schwerer, je länger die Einführung der neuen Dienste auf sich warten lässt. Die Zwickmühle ist fatal: Einen weiteren Fehlstart wie das WAP-Desaster können sich die Anbieter nicht leisten. Technische Probleme und die mangelnde Verfügbarkeit von Endgeräten ließen das mobile Internet auch für gutwillige Technikfreaks zur Nervenprobe werden. Andererseits verschlingt jede Sekunde Netzbetrieb ohne Kunden nach Berechnungen eines Telekommunikationsanalysten der Investmentbank SAL mindestens 16 Euro. Das wären in jeder Stunde mindestens 57 600 Euro, jeden Monat 41,5 Millionen Euro. Folgen den vollmundigen Ankündigungen wieder nur mickrige Taten, ist der Flop vorprogrammiert - und das kann sich aber keiner der Anbieter mehr leisten. Inzwischen kämpfen sie ums Überleben. Und es wird schwer, angesichts der negativen Marktentwicklung und skeptischer Konsumenten einen Ausweg aus der selbstgeschaffenen Misere zu finden.

Selbst im Vorreiterland des mobilen Internets, in Japan, ist derzeit zu erleben, wie unausgereift die UMTS-Technik noch ist. Marktführer NTT Docomo betreibt seit Oktober ein erstes Netz, in dem 15 000 Menschen telefonieren. Die UMTS-Enthusiasten müssen ständig zwei Telefone mit sich herumschleppen, weil mit den neuen UMTS-Handys keine Anrufe in die herkömmlichen Netze möglich sind.

Bisher ist noch kein Handy in Sicht, das beide Standards bedienen kann. Das soll bald anders werden, Motorola verspricht serienreife Alleskönner bereits für das nächste Quartal. Siemens meldete heute, dass die ersten UMTS-Handys Ende 2002 kommen werden. Bei Nokia heißt es, dass Handys in ausreichender Stückzahl Anfang 2003 bereitsehen werden. Und Ericsson verspricht die Einführung der neuen Mobiltelefone im Herbst 2002. Mit dem Handy allein kann man aber noch nicht telefonieren: Wenn es kein Netz gibt, dann nutzt auch das modernste und beste Endgerät nichts.

Die Netze der dritten Generation werden ab dem nächsten Jahr zunächst nur Ballungsgebiete wie Berlin, Frankfurt und das Ruhrgebiet abdecken, selbst bis 2005 muss nach den Vorgaben der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post das Netz erst die Hälfte Deutschlands erfassen. In allen anderen Orten müssten die UMTS-fähigen Mobiltelefone mit der alten Technik funktionieren. Und die Aussichten für die Netzausrüster sind ebenfalls bescheiden: Denn wenn die Mobilfunker ihren Start verschieben, sehen die Netzbauer wie die schwedische Ericsson alt aus. Die Schweden müssen bereits jetzt ihre Geschäftspläne umschreiben. Die Investionen in die Netze sollen um mindestens ein Viertel heruntergefahren werden. Die Ausrüsterbranche rechnet erst zum Jahreswechsel 2003 mit wieder einem Aufschwung. Und wenn der ausleibt, werden auch Giganten wie Ericsson und Motorola an ihre Grenzen stoßen.

Alle hoffen schon jetzt auf das Weihnachtsgeschäft 2003. Wenn dann alles gut läuft, wird es vielleicht doch noch schön, mit der neuen UMTS-Welt. Wenn nicht, werden noch einige Generationen nötig sein, um den Schuldenberg vom größten Abenteuer der Mobilfunkgeschichte abzutragen.