Handy-Kunde

Medienwissenschaftlerin fordert Handy-Kunde im Unterricht

Mobilfunk spiele inzwischen entscheidende Rolle bei Identitätsfindung
Von dpa /

Lehrer und Eltern müssen sich nach Ansicht der Erfurter Medienwissenschaftlerin Iren Schulz eingehender mit der Handy-Nutzung der Jugendlichen beschäftigen. Der Mobilfunk spiele inzwischen eine entscheidende Rolle bei ihrer Identitätsfindung. "Darauf hat die Pädagogik bislang kaum reagiert", sagte Schulz in einem dpa-Gespräch. "Schlichte Handy-Verbote in der Schule wie in Bayern lösen das Problem nicht." Vielmehr müsse in einer Art Handy-Kunde die Medienkompetenz der Schüler gefördert werden. Schulz arbeitet in der Erfurter Universität an einer Studie über die Bedeutung von Handys in sozialen Beziehungen von Jugendlichen.

Als schwerwiegendes Problem benannte die Wissenschaftlerin die Tauschbörsen, bei denen vor allem Jungen kleine Filme mit Gewalt- und Pornoszenen austauschten. Darunter seien Szenen, die auf dem Index stünden, etwa die Erhängung des irakischen Diktators Saddam Hussein oder Folterungen russischer Soldaten. "Als ich das Material, das mir aus von den Jugendlichen gegeben wurde, gesichtet habe, wurde mir schlecht." Vor dieser Entwicklung dürfe die Gesellschaft nicht länger die Augen verschließen. "Eine Regulierung, wenn möglich auch in der Hardware der Geräte, ist dringend notwendig."

Welche Bedeutung die Clips für die Jugendlichen spielen, sei bislang nicht eindeutig erforscht. "Ich glaube, es ist ähnlich wie früher bei den ersten Sex- oder Horrorfilmen, die man sich heimlich angesehen hat: Man ekelt sich, aber es muss sein, als Mutprobe oder aus Gruppenzwang", sagte Schulz. Allerdings seien die Inhalte heute viel eindringlicher und brutaler. "Welchen Einfluss das auf das Weltbild der Jugendlichen hat und wie groß die Risikogruppen sind, müssen wir erst noch herausfinden." Zudem könnten die Filme spielend leicht in die Hand von Kindern kommen. "Immerhin hat heute bereits ein Drittel der Acht- und Neunjährigen ein Handy."

Viele Eltern betrachten Handy der Kinder nur als Notfall-Medium

Viele Eltern betrachteten das Mobiltelefon für ihre Kinder jedoch weiterhin in erster Linie als Notfall-Medium. Die zweite Sorge gelte der Rechnung. "Was sonst damit passiert, ist ihnen egal." Andere Eltern verteufelten das Handy und verböten den Gebrauch. "Damit wird das Problem allerdings auch nicht gelöst," sagte Schulz. Auch in den meisten Schulen sei noch kein rechter Umgang mit dem Medium gefunden worden. "Nach Angaben der Jugendlichen, mit denen ich arbeite, reicht das Spektrum vom Verbot bis zum offenen Telefonieren im Unterricht." Es gebe auch einige Lehrer, die vor der Klasse zum Handy griffen. "Der Vorbildcharakter darf nicht unterschätzt werden."

Die Untersuchung von Iren Schulz läuft seit April 2006 und soll im Laufe des Jahres 2008 abgeschlossen werden. Grundlage ist die intensive Arbeit mit mehreren Gruppen Jugendlicher im Alter zwischen 13 und 18 Jahren. "Bei Umfragen wird oft geschwindelt. Wenn die Jugendlichen einem vertrauen, zeigen sie, für was sie ihr Handy wirklich nutzen." Die Studie wird von der Thüringer Landesmedienanstalt finanziert.