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Lustig, wie die Unternehmer nach Regulierung rufen


17.07.2015 19:36 - Gestartet von comfreak
einmal geändert am 17.07.2015 19:48
"Die Entwicklungen in den europäischen Nachbar­ländern zeigten, dass ein reines Marktmodell nicht zu einem erfolgreichen Umstieg auf den digitalen terrestrischen Hörfunk führen wird, sondern nur eine Verbindung von Markt­entwicklungen mit effektiven regulatorischen Steuerungs­maßnahmen."

Ich bin zwar grundsätzlich ein Fan von DAB+. Bei gutem Empfang und ausreichend großem Angebot wie in Berlin ist das echt toll.

Aber offenbar gibt es für das neue Produkt keinen guten Markt. Das merkt man vor allem daran, dass beim Autokauf DAB+ immer noch aufpreispflichtiges Extra ist, statt Standard, und dass selbst aktuelle Radio-Geräte meist kein DAB+ eingebaut haben. Und das mag u.A. daran liegen, dass DAB+ entgegen vieler anderen Digitaltechniken eben auch einen Nachteil hat, den die Leute nicht wollen: Kann man bei schlechtem UKW-Empfang mit etwas Antennentuning oder Hörtoleranz (im Auto wg. Lautstärke eh ein geringeres Problem) immer noch etwas brauchbares hören, ist bei DAB+ einfach Schluss. Noch dazu sind viele DAB+ Geräte nicht so unheimlich attraktiv und haben eher Nerd-Charakter.

Wenn nun also das neue Produkt beim Kunden nicht ankommt, rufen die lieben achso "innovativen" Unternehmen halt einfach mal laut nach dem Staat. Sonst soll er ja lieber nicht eingreifen, aber wenn das eigene Produkt sich nicht gut genug verkauft, dann soll er bitte regulieren. Das lässt schon tief blicken. Dass es noch keinen konkreten Abschalttermin gibt, hat seinen guten Grund: Noch heute unterstützt die Mehrheit der verkauften Geräte kein DAB+ und es gibt den besagten Empfangsnachteil. Noch dazu gibt es die Konkurrenz via Datennetze/anderer Empfangswege. Ein Audiostream bei 64kBit/s reicht für Audio-Empfang in UKW-Radioqualität nämlich sogar aus und vor allem im Auto ist das qualitativ für viele genug.

Das ist der entscheidende Unterschied von DAB+ zu anderen Digitalisierungen: Es wird zu wenig dazu gewonnen. Bei analog TV ging es u.A. um Bildqualität und Programmangebot: via Terrestrik hätte anno 2004 noch kein HD gesendet werden können, via Satellit und Kabel aber durchaus. Und die Menge der verfügbaren Kanäle ist durch die Digitalisierung quasi explodiert. Bei DVB-T war der Vorteil schon nicht mehr so stark, aber auch hier kamen zig Programme dazu und bei vielen Sendern gab es auch eine Verbesserung der Bild- und Tonqualität.

Die analogen Tonträger-Techniken sind auch alle ausgestorben, selbst wenn aktuell Vinyl einen zweiten Frühling erlebt - der Musik-Massenmarkt ist digital. Das lag u.A. an gesteigerter Qualität von MP3 ggü. Kassetten und LPs (wie gesagt, letzteres ist bei einigen wenigen umstritten) und selbst digitale CD-Discmen sind bedeutend weniger portabel gewesen und haben oft ausgesetzt als heute ein Smartphone/MP3-Player.
Auch bei analogen Bildträgern wie VHS wurde durch die DVD/BD so exorbitant viel Qualität in Bild und Ton dazugewonnen, dass die Kunden sogar die eingeschränkte Kopierbarkeit akzpeptierten und sich diese Formate vollständig etabliert haben.

Nur beim Digitalradio ist es eben so, dass diese Zugewinne nicht so klar sind. Die Qualität (und einige dazugekommenen Zusatzdienste) sind zwar ein Gewinn, aber für die typischen Hörsituationen eben nicht "notwendig". Im Auto hört man den Unterschied wg. Fahrgeräuschen/Konzentration wenig und in einem geschäftlichen Umfeld/zuhause wo DAB-Radio laufen könnte, kann alternativ eben immer auch ein Webstream/Spotify oder eben (sogar digitales) Radio im Kabel/Sat genutzt werden. Und dann bleibt noch das Problem mit dem vollständigen Aussetzen bei schlechtem Empfang im Vergleich zu UKW. Und sobald es nur um das Hören geht, haben so krass visuell-orientierte Tiere wie Menschen vielleicht auch insgesamt geringere Ansprüche.

Nein, damit hat DAB+, obwohl grundsätzlich toll, einen entscheidenden Nachteil und aktuell zu wenige, diesen Nachteil kompensierende Vorteile. Daher sind Kunden offensichtlich nicht so ohne Weiteres bereit sind, diese Produkte zu kaufen und dafür zu investieren. Wo ein digitaler Sat/Kabel-Reiceiver oder ein DVD-Player eine völlig logische Sache war und auch ist, bleibt ein DAB+ Gerät aktuell ein Gerät für ziemliche Radiofans.

Und ich frage mich, warum dann die Industrie nach dem Staat ruft. Warum werden keine Innovationen in Richtung DAB+ getätigt? Z.B. könnte jeder Radio-Hersteller nur noch DAB+ - Geräte anbieten (passiert nicht, einige auch sehr audiophil-orientierte Hersteller bieten nur FM-Geräte an); KFZ-Zulieferer könnten sich weigern, reine FM-Geräte an die KFZ-Hersteller zu liefern; kein Handy/Smartphone hat aktuell DAB+ integriert, obwohl angesichts begrenzter Datenflats/Lücken um UBahn-Netz durchaus eine Alternative zu Audio-Streaming (FM-Radios gibt's aber integriert); kein TV-Gerät hat ein DAB+-Radio eingebaut (mein Samsung kann aber z.B. Radio aus dem TV-Kabel empfangen-ein Sat-Receiver sogar Sat-Radio mit sehr guter Qualität und RDS-artigem Zusatzdienst; kein Datenstreaming-Gerät, kein Laptop, kein Tablet usw hat DAB+. Noch dazu könnte es gute Puffertechnik geben, die den potentiellen Empfangs-Nachteil ausgleicht bzw. ggf. sogar auf einen Stream zurückfällt. UKW-Rückfall gibt es zwar m.W., aber wenn UKW aus Sicht der Industrie mal wegfallen soll, ist das eher der falsche Ansatz.

tl,dr: Wenn die Industrie will, dass sich die Technologie durchsetzt, dann soll sie sie, verflixt noch mal, auch in attraktiven Geräten anbieten. Dann wird da auch was draus.
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[1] comfreak antwortet auf comfreak
17.07.2015 19:49
Benutzer comfreak schrieb:

tl,dr: Wenn die Industrie will, dass sich die Technologie durchsetzt, dann soll sie sie, verflixt noch mal, auch in attraktiven Geräten anbieten. Dann wird da auch was draus.


Oh und diese Idee Mobilfunk auf den Frequenzen um 100MHz zu senden, ist technischer Humbug. Wer kommt denn auf so einen Schwachfug?