Digitalradio

Testballon für Rest-Europa: Norwegen schaltet UKW ab

Norwegen schaltet als erstes Land die UKW-Sendernetze ab. Ein interessanter Testballon für den Rest Europas: Kaufen sich die Einwohner neue Hardware, oder ist der Abschied von der Ultrakurzwelle ein kompletter Abschied vom Medium Radio?
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Screenshot einer Imagekampagne des norwegischen Rundfunks NRK. Screenshot einer Imagekampagne des norwegischen Rundfunks NRK.
Bild: nrk.no
Aus und vorbei: Als erstes Land weltweit schaltet Norwegen die analogen UKW-Sendernetze zugunsten des terrestrischen Digitalradios DAB+ ab. Für viele Fans der klassischen Hörfunkübertragung mag es wie ein Hohn klingen, dass am kommenden Mittwoch, 11. Januar um 11.11 Uhr im Rahmen einer "feierlichen Zeremonie" in Bodø/Provinz Nordland die ersten Sendeanlagen vom Netz gehen sollen. An dem Event nehmen Verantwortliche von Radiosendern und hochrangige Medienvertreter aus ganz Europa und der Welt teil. In sechs Stufen werden im Laufe des Jahres 2017 die UKW-Sender im gesamten Land Screenshot einer Imagekampagne des norwegischen Rundfunks NRK. Screenshot einer Imagekampagne des norwegischen Rundfunks NRK.
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abgeschaltet, bis im Dezember 2017 die letzten Anlagen in den nördlichsten Bezirken Troms und Finnmark vom Netz gehen. Eine Galgenfrist gibt es nur für kleine Lokalradios: Diese dürfen sich noch bis 2022 auf der Ultrakurzwelle austoben, ehe auch hier der Stecker gezogen wird.

Privatradios fürchten Hörerverluste durch UKW-Abschaltung

Die UKW-Abschaltung ist ein interessanter Testballon für den Rest Europas. Spannend ist vor allem die Frage, für wie viele Menschen der Abschied von der Ultrakurzwelle auch ein kompletter Abschied vom Medium Radio sein könnte. Längst haben vor allem junge Menschen diesen Schritt bereits getan: Sie nutzen Streamingdienste wie Deezer oder Spotify. Hier läuft auf ihren Geschmack zugeschnittene Musik, begleitende Nachrichten in Wort und Bild liefern News-Apps und nicht länger der plappernde Moderator des lokalen Radiosenders. Auch in Deutschland fürchten vor allem etablierte kommerzielle Radiosender eine mögliche Abschaltung der analogen UKW-Übertragung wie der Teufel das Weihwasser. Die Hörer würden sich keine Radiogeräte mehr für DAB+ kaufen und zu den Streamern ins Internet wechseln, so deren Befürchtung.

DAB+ und UKW: Es gibt nur ein "Entweder, oder"

Viele Radiohörer fragen sich, warum kein friedliches, langjähriges Nebeneinander von UKW und DAB+ auf Jahrzehnte möglich ist. Doch ein solches wird und kann es aus mehreren Gründen nicht geben. Da wären einerseits die Kosten: Kein Sender kann sich einen Simulcast UKW und DAB+ auf Dauer leisten. Auch die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) erwartet, dass mit den Anmeldungen von ARD und Deutschlandradio zum 22. Bericht im Frühjahr 2019 mehrere Meilensteine bei DAB+ erreicht worden sind: Unter anderem, dass Bund und Länder eine Entscheidung über ein Konzept zur Abschaltung von UKW getroffen haben.

Andererseits würden Privatradios, die nur auf DAB+ senden können, dauerhaft benachteiligt, weil ihnen Reichweite fehlt. Denn erst wenn sich ein Großteil der Bundesbürger Digitalradios mit DAB+ gekauft hat, hätten sie die Möglichkeit ihre Investitionen in die digitale Zukunft zu refinanzieren. Und das geht am schnellsten, wenn UKW abgeschaltet würde.

Alles läuft also auf ein "Entweder, oder" hinaus, und hier spricht die Vernunft eindeutig für DAB+: Die Digitaltechnik bietet mehr Sender für den individuellen Geschmack, ist rausch- und bei gutem Netzausbau störungsfrei, liefert Zusatzinfos zum laufenden Programm in Text und Bild und bietet bei bundesweiten Programmen erstmals unterbrechungsfreies Hören in ganz Deutschland, etwa auf der Autobahn. DAB+ liefert eindeutig mehr Vielfalt auf ausreichend freien Kapazitäten zu weit günstigeren Verbreitungskosten. UKW dagegen ist technisch ausgereizt: Es gibt kaum noch freie Frequenzen, die Technik ist aufgrund einer Über-Band-Belegung störanfällig (in der Fachsprache spricht man von Interferenzen) und die Verbreitungskosten sind im Vergleich zum Digitalradio immens teuer.

Trotzdem ist die Befürwortung eines Technikwechsels in der Bevölkerung eher gering. Es ist verständlich, dass es bei jeder Technologieumstellung Kritik hagelt, weil sich Menschen ungern ohne Not von liebgewonnen Objekten trennen. Das war damals schon beim Auto so, als das verbleite Benzin von Markt genommen wurde. Das war ebenfalls bei der Abschaltung des analogen Satellitenfernsehen oder beim Betriebsverbot von Schnurlostelefonen nach den Standards CT1+ und CT2 so. Erst war die Kritik groß, letztlich haben die Bürger die Umstellung aber doch zähneknirschend mitgetragen.

Wenig Rückhalt in der Bevölkerung

Auch in Norwegen sind die Voraussetzungen zum Technologieumstieg noch nicht optimal: Wie die Süddeutsche Zeitung unter Berufung auf eine aktuelle Umfrage berichtet, seien zwei von drei Einwohner immer noch gegen die Umstellung, obwohl ihnen das digital-terrestrische Radio ein weit größeres Programmangebot bietet. Viele Norweger werden ab kommender Woche auch nur noch Rauschen hören, denn ein Großteil der Bevölkerung hat sich noch keine DAB+-Radios gekauft und ist daher ab dem 11. Januar vom terrestrischen Radioempfang abgehängt. Erst in 57 Prozent der Haushalte und 30 Prozent der Autos befinden sich Digitalradios.

Kommt es also zu einem Sturm in die Elektrogeschäfte? Eine spannende Frage, die man sich schon in wenigen Wochen auch in Deutschland stellen kann, allerdings beim Fernsehen. Denn die große Mehrzahl der DVB-T-Haushalte hat sich beim digital-terrestrischen Antennenfernsehen noch keine Hardware für DVB-T2 gekauft. Obwohl in vielen Regionen Deutschlands DVB-T abgeschaltet wird und am 29. März 2017 die Bildschirme schwarz werden.

Beim Radio müssen sich die Deutschen hingegen wenig Sorgen machen: Denn im Moment sieht alles eher danach aus, als würde die Politik dem analogen UKW-Hörfunk eine Bestandsgarantie auf Jahre oder gar Jahrzehnte garantieren wollen. Mit Ausnahme des Freistaates Bayern zieht momentan niemand der Verantwortlichen ernsthaft eine Abschaltung von UKW in Betracht. Wobei sich dies aber schnell wieder ändern kann. Etwa, wenn Norwegen letztlich doch ein positives Beispiel liefert.

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