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Grundfalsche Annahmen im Artikel


23.07.2012 19:57 - Gestartet von ippel
Der Artikel verkennt die Aufgabe einer Verfassung - oder des Grundgesetz (da Deutschland keine Verfassung hat). Ich spreche aus Vereinfachungsgründen einmal generell von der Verfassung.

Es gibt zwei grundsätzliche Arten von Verfassungen: die freiheitliche Verfassung und die limitierende Verfassung.

In freiheitlichen Verfassungen geben die Bürger (der Souverän) einen kleinen und klar definierten Teil ihrer Rechte an staatliche Institutionen ab, damit der Staat als Institution funktionieren kann. Der Staat hat dann genau die Rechte, die ihm in der Verfassung eingeräumt werden und nicht mehr. Ein Beispiel für eine solche Verfassung ist die der USA.

Bei einer limitierenden Verfassung garantiert der Staat den Bürgern einige niedergelegte Rechte. Der Staat hat alle Rechte, außer die, die er explizit den Bürgern überläßt. Ein Beispiel für solche Verfassungen ist die Deutschlands (das Grundgesetz) und die vieler europäischer Staaten.

Das nur zum Grundsätzlichen.

In Deutschland nun gelten die Grundrechte des Grundgesetzes nur gegen den Staat. Das lernt man im ersten Semester eines Staatsrechtsstudiums. Niemals jedoch gelten Grundrechte im Geschäftsverkehr.

Facebook kann also gegen kein Grundrecht verstoßen. Facebook kann gegen subsidiäre Gesetze jeder Art verstoßen. Keine Frage. Aber gegen das Grundgesetz kann Facebook niemals verstoßen.

Das ist schon einmal der grundfalsche Ansatz des Artikels. Er geht schlicht von falschen Fakten bzw. Annahmen aus.

Wem das Geschäftsgebahren von Facebook mißfällt - und dafür gibt es sehr gute Gründe - dem steht es frei, Facebook nicht zu nutzen. Wer jedoch Facebook freiwillig nutzt, kann sich hinterher auch nicht beschweren.

Diese Selbstverständlichkeit geht offenbar heute nicht nur vielen Nutzern von Facebook ab, sondern ganz offensichtlich auch dem Autor dieses Artikels.

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[1] Kai Petzke antwortet auf ippel
29.07.2012 10:59
Benutzer ippel schrieb:

In Deutschland nun gelten die Grundrechte des Grundgesetzes nur gegen den Staat.

Das ist formal richtig. Allerdings hat der Staat den Auftrag, diese Grundrechte für alle Bürger zu schützen, und zwar sowohl bei Handlungen des Staats gegenüber seinen Bürgern, als auch bei Handlungen der Bürger untereinander. Für letzteres gibt es insbesondere das Strafgesetzbuch.

Aber auch im Zivielrecht können Handlungen von Unternehmen - auf Umwegen - auf Konformität zum Grundgesetz geprüft werden. Verletzt beispielsweise ein Unternehmen meine Grundrechte, dann kann ich dieses verklagen. Dann muss ein Richter entscheiden, und das ist ja nun eine Handlung des Staates gegen mich oder gegen das Unternehmen (je nachdem, wierum das Urteil ausfällt). Und die Gesetze, aufgrund derer das Gericht entscheidet, müssen verfassungskonform sein. Sind sie es an einer für die Entscheidung wesentlichen Stelle nicht, und fällt folglich das Urteil falsch herum aus, kann ich deswegen vor dem Bundesverfassungsgericht klagen.

Auswirkungen hat dieser indirekte Grundrechtsschutz vor allem auf die Haftung: Gewinne ich vor dem Bundesverfassungsgericht, erstattet die Bundesrepublik Deutschland die Verfahrenskosten der Verfassungsklage, nicht der Unternehmer, mit dem ich im Streit liege.

Im konkreten Fall (Brief- und Telekommunikationsgeheimnis) dienen das TKG und § 206 StGB der Übernahme des Grundrechts in Zivil- und Strafrecht. Formaljuristisch ist also ein Facebook-Mitarbeiter, der einen Chat "belauscht", nicht nach dem Grundgesetz anzuklagen, da haben Sie recht, sondern nach § 206 StGB. Voraussetzung dafür ist natürlich wiederum, dass dieser Mitarbeiter überhaupt hierzulande belangt werden kann.

Für die Kernaussage des Editorials, dass Facebook sich mit dem Belauschen von Chats im Kernbereich des Schutzes des Tk-Geheimnisses bewegt, ist dieses juristische Detail aber m.E. irrelevant, und daher habe ich es weggelassen, zumal ich auch sonst kein Wort über straf- oder zivilrechtliche Folgen verliere.


Kai