Kinoverband: "Streaminganbieter sind Konkurrenz fürs TV"
Die Kinobranche steht vor einem erheblichen Umbruch. Einerseits hat die Corona-Pandemie sowohl großen Multiplex-Ketten wie auch kleinen Kinobetreibern stark zugesetzt. Auf der anderen Seite wollen die Filmstudios ihre Inhalte selbst per Streaming ohne Umwege in die Wohnzimmer der Zuschauer bringen. Nicht zuletzt steigen Amazon und Netflix in das klassische Kinogeschäft ein. Wie es vor diesem Hintergrund um die Branche steht, erklärt Christine Berg vom HDF Kino e.V. im Gespräch mit unserer Redaktion.
Christine Berg vertritt die Interessen der deutschen Filmtheater
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teltarif.de: Frau Berg, die Corona-Pandemie ist nach wie vor allgegenwärtig. In den Kinos spürt man die Folgen ganz besonders. Seit einiger Zeit haben viele Filmtheater zwar wieder geöffnet, doch die Gäste scheinen zurückhaltend. Können Sie das nachvollziehen?
Christine Berg: Viele Menschen machen sich wegen der Pandemie zu Recht nach wie vor Sorgen und die Sorge, sich in geschlossenen Räumen anzustecken, ist sicherlich größer als bei einem Aufenthalt im Freien. Tatsächlich können wir den Gästen diese Sorgen aber nehmen. Eine aktuelle Studie hat zum Beispiel gerade bestätigt, dass die Aerosol-Konzentration im Kino äußerst gering ist. Die aktuellen Abstandsregelungen von 1,5 Metern bedeuten, dass nur ca. 20 Prozent der Saalkapazitäten in den Kinos ausgelastet werden können. Das ist wirtschaftlich für alle Beteiligten nicht tragbar. Wir gehen aber davon aus, dass diese Vorgaben jetzt aufgrund der o.a. Studie geändert werden und nur noch ein Platz neben jeder Reservierung frei bleibt. Dann können auch publikumsstarke Filme kommen und das Kinovergnügen ist wieder da.
teltarif.de: Entsprechende Folgen der Krise sind für die Kinobranche weltweit offenbar so gravierend, dass selbst die größte Kinokette AMC Theatres in Zahlungsschwierigkeiten gekommen ist. Zeitweise stand sogar ein Verkauf an Amazon im Raum. Wenn selbst ein Riese ins Wanken gerät, dürfte es für kleine Betreiber in Sachen Liquidität noch schlechter aussehen.
Christine Berg: Die Krise trifft alle Kinos gleichermaßen hart, denn die Kapazitätsbegrenzungen gelten überall. Kleinere Kinos erhalten nach dem aktuellen Stand der Dinge wiederum mehr Förderungsmöglichkeiten. Tatsache ist, dass sowohl die großen als auch die kleineren Kinos die Krise nicht überleben, wenn wir nicht sehr bald wieder zu höheren Auslastungen zurückkehren.
teltarif.de: Auswirkungen hat Corona nicht nur auf Ihre Branche, auch die großen US-Studios sind betroffen. In Konsequenz umgeht beispielsweise NBCUniversal nun die traditionelle Verwertungskette und bringt Filme direkt per Streaming zu den Zuschauern ins Wohnzimmer. Was bedeutet dies für die Kinos?
Christine Berg: Wir gehen nach wie vor davon aus, dass dies Einzelfälle bleiben werden. Für die wirklich publikumsstarken Filme ist das auch in Zukunft keine Option, weil erst die Kinoauswertung den Film für die nachfolgenden Auswertungsstufen veredelt und entsprechend erfolgreich macht.
teltarif.de: In den USA ging AMC Theatres den umgekehrten Weg und startete einen eigenen Streaming-Dienst. Wäre dies auch eine Option für die deutschen Kinobetreiber?
Christine Berg: Das ist in Deutschland aktuell kein Thema.
teltarif.de: Netflix will hingegen enger mit den Kinos zusammenarbeiten und seine Original-Produktionen auch auf die große Leinwand bringen. Ein Beispiel hierfür waren "Die zwei Päpste" mit Anthony Hopkins oder "The Irishman" mit Robert De Niro. Wie stehen Sie zu solchen Kooperationen?
Christine Berg: Jeder Film, der die Auswertungsfenster einhält, ist im Kino willkommen, egal wer ihn produziert. Aber eine zeitgleiche Auswertung wird es nicht geben, da dies die Kinos als einer der wichtigsten Player im Markt schwächen würde.
teltarif.de: Sehen Sie unabhängig von den wirtschaftlichen Einbußen durch Corona eine Gefahr, dass auch Streaming die Existenz von Filmtheatern insbesondere in kleineren Städten gefährdet?
Christine Berg: Tatsächlich machen wir uns um die Streaminganbieter nicht besonders große Sorgen. Diese sind eher eine Konkurrenz für das Fernsehen. Sobald wir wieder in einen einigermaßen geregelten Betrieb mit neuen Filmen zurückkehren, werden unsere Gäste alle zurückkommen, denn viele Menschen sind es leid, Filme nur zuhause auf dem Sofa zu sehen. Sie freuen sich auf das Filmerlebnis in Kinoatmosphäre vor der großen Leinwand.
teltarif.de: In den USA gibt es Ansätze, die Attraktivität der Kinos zu erhöhen. Ein Beispiel sind sogenannte "Dine-Ins", also Mischungen aus Restaurant und Kino. Wären solche Formate auch in Deutschland sinnvoll?
Christine Berg: Man kann über alles nachdenken und es gibt ja auch bereits einige Angebote mit verstärktem Gastronomieangebot am Platz. Allerdings müssen wir uns im Moment erst einmal auf die aktuellen Herausforderungen konzentrieren.
teltarif.de: Mal angenommen, Amazon würde tatsächlich AMC Theatres kaufen. Dann hätte der US-Versandriese über die britische Tochter Odeon Cinemas auch in Deutschland Zugriff auf alle UCI-Multiplex-Kinos. Was würde dies im Wettbewerb für die kleineren Kinobetreiber bedeuten?
Christine Berg: Kein Kommentar.
teltarif.de: Manche Branchenbeobachter prophezeien, dass den Kampf gegen Amazon und Netflix am Ende nur große Multiplexketten überleben können. Stimmen Sie dem zu?
Christine Berg: Nein, das sehen wir aus bereits zuvor genannten Gründen nicht so.
teltarif.de: Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Corona-Pandemie nicht das letzte Wort war. Möglicherweise erleben wir in Zukunft ähnliche Krisen. Könnte die Kinobranche einen weiteren Lockdown verkraften?
Christine Berg: Sicherlich wäre das schwer, aber das ist kein kinospezifisches Problem, sondern betrifft sehr viele Branchen, z.B. Hotellerie, Gastronomie und sämtliche sonstige Kultur- und Freizeitbranchen gleichermaßen.
teltarif.de: Frau Berg, vielen Dank für das Gespräch.
Zur Person: Christine Berg
Christine Berg ist seit August 2019 als Vorstandsvorsitzende des HDF KINO e.V. tätig. Zuvor war sie stellvertretender Vorstand der Filmförderungsanstalt (FFA). In dieser Funktion verantwortete sie den gesamten Förderbereich der FFA. Außerdem war sie Projektleiterin des Deutschen Filmförderfonds (DFFF), der zum 1. Januar 2007 vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) eingeführt wurde und durch die FFA koordiniert wird. Davor war die gebürtige Hamburgerin u. a. Geschäftsführerin der Gesellschaft zur Förderung audiovisueller Werke in Schleswig-Holstein mbH (MSH) und Intendantin der Nordischen Filmtage Lübeck, Leiterin des Location-Büros der Filmförderung Hamburg sowie Aufnahmeleiterin bei verschiedenen Spielfilmproduktionen.