ungewöhnlich

Editorial: VoIP ohne VoIP

oder: Günstige Nummernräume möglichst sauber halten
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Innovativ zeigt sich Freenet: Mit dem neuen Dienst VoIP by Call soll jedes herkömmliche Telefon (Analog oder ISDN) VoIP-fähig werden. Dazu ist es lediglich notwendig, die 01924 vor einem Gespräch vorzuwählen. Was sich zunächst wie ein technisches Wunder anhört, entpuppt sich jedoch relativ schnell als Marketing-Gag: Denn mitnichten macht Freenet aus einem normalen Telefon ein VoIP-Gerät. Das Kundentelefon bleibt wie bisher ein Analog- oder ISDN-Apparat. Von VoIP-Telefonen lässt sich hingegen die 01924 nicht nutzen.

Erst einige Kilometer weiter - dort, wo die Telekom das Telefonat an Freenet übergibt - erfolgt die Wandlung in VoIP. Vergleichbare technische Verfahren setzen auch ein Dutzend anderer Call-by-Call-Anbieter ein: Die Telefonate im eigenen Backbone per VoIP zu vermitteln ist günstiger als die herkömmliche ISDN-Technik.

Wirklich neu ist hingegen die verwendete Vorwahl: Die 01924 liegt im Bereich der für den schmalbandigen Internetzugang vorgesehenen Einwahlnummern. Üblicherweise wählt man diese nicht vom Telefon aus an, sondern mit einem Computermodem bzw. einer ISDN-Karte. Statt mit einem anderen Teilnehmer wird man direkt mit einem Einwahlserver verbunden, zu dem eine Datenverbindung (keine Sprachverbindung) aufgebaut wird. Die übertragenen Daten werden dann direkt ins Internet weitergeleitet. Dank großer Minutenzahlen sind die Entgelte gering; typisch sind 0,4 bis 3 Cent pro Minute. Freenet berechnet hingegen für Sprachverbindungen über die 01924 bis zu 119,9 Cent pro Minute.

So ist es kein Wunder, dass die Regulierungsbehörde bereits hellhörig geworden ist und Freenet zu einer Stellungnahme aufgefordert hat. Ihr zu begrüßendes Ziel: Verhinderung von Wildwuchs im Nummernraum. Denn je mehr Dienste, die keine Internet-Einwahl sind, im Bereich 0191 bis 0193 toleriert werden, desto mehr halbseidene Abzocker werden sich darunter mischen. So ist es gar nicht so lange her, dass die Regulierungsbehörde Dialer aus diesem Nummernbereich verbannte.

Man könnte sich noch streiten, ob die 01924 korrekt genutzt wird, wenn Freenet für diese Einwahlnummer eine spezielle Soft- oder Hardware verwenden würde. So wäre denkbar, dass man im PC die 01924 als Internet-Einwahlnummer verwendet und dann ein Softphone auf dem PC installiert. Ebenso gibt es VoIP-Telefone, die zusätzlich ein Computermodem integriert haben und sich so programmieren ließen, dass sie sich über die 01924 einwählen. Doch selbst in diesem Fall "echter" VoIP-Nutzung der 01924 dürften vermutlich nur die Kosten für die Einwahl, nicht die für die VoIP-Sprachvermittlung, über die 01924 abgerechnet werden. Denn VoIP-Telefonie ist kein Internet-Zugang, sondern ein Internet-Dienst, und für die Abrechnung der letzteren gibt es den Bereich der Dialer-Nummern 0900-9.

Zu begrüßen ist hingegen Freenets Vorstoß, eine neue Call-by-Call-Vorwahl auf den Markt zu bringen, die sich durch eine überschaubare Tarifstruktur auszeichnet. 1,9 Cent pro Minute ist sogar der derzeit günstigste Rund-um-die-Uhr-Preis in unserer Tariftabelle. 19 Cent pro Minute für Telefonate in die Handy-Netze sind in Ordnung, wenn die Qualität stimmt, doch benötigt die internationale Preisliste von 01924 dringend einer Überarbeitung: 119,9 Cent pro Minute nach China ist etwa 60-fach so teuer wie das günstigste Angebot für Telefonate in das "Reich der Mitte".