Benutzer spaghettimonster schrieb:
Benutzer Kai Petzke schrieb:
Benutzer spaghettimonster schrieb:
Ein Preis ist nicht schon dann sittenwidrig oder wucherisch, wenn er besonders hoch ist, sondern es muss eine subjektive Ausbeutungslage vorliegen.
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Für Wucher muss eine Ausbeutungslage vorliegen. Für eine ebenfalls sittenwidrige "wucherische Überhöhung" ist nach laufender BGH-Rechtsprechung eine solche Ausbeutungslage gerade nicht erforderlich.
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Doch.
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BGH NJW 02, 55, 56:
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"Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist ein Vertrag als wucherähnliches Geschäft nach § 138 I BGB nichtig, wenn Leistung und Gegenleistung in einem auffälligen Missverhältnis zueinander stehen und weitere sittenwidrige Umstände hinzutreten, beispielsweise eine verwerfliche Gesinnung des durch den Vertrag objektiv Begünstigten (Senat, BGHZ 141, 257 [263] = NJW 1999, 3187 = NZM 1999, 664 m.w.N.)."
"Verwerfliche Gesinnung" ist etwas anderes als "Ausbeutungslage". Ich habe behauptet - und bleibe dabei - dass für ein "wucherähnliches Geschäft nach § 138 (1) BGB" die Ausbeutungslage, die nach § 138 (2) erforderlich ist, genau NICHT erforderlich ist, sondern eben nur die "verwerfliche Gesinnung", die ich bereits im letzten Beitrag von mir erwähnte.
Bezüglich des "Schlusses auf die verwerfliche Gesinnung" hier ein Zitat aus einem aktuellen BGH-Urteil:
V ZR 1/06
Leitsatz: "Der bei einem besonders groben Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung zulässige Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten kann nicht allein deshalb als erschüttert angesehen werden, weil die benachteiligte Vertragspartei das Missverhältnis kannte."
Unter RdNr 16 steht im Urteilstext:
"Ist das Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besonders grob - hiervon ist bei Grundstücksgeschäften bereits dann auszugehen, wenn der Wert der Leistung knapp doppelt so hoch ist wie der Wert der Gegenleistung -, lässt dies den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten zu (Senat, BGHZ 146, 298, 305; BGHZ 160, 8, 14; Urt. v. 8. November 1991, V ZR 260/90, NJW 1992, 899, 900; Urt. v. 23. Juni 1995, V ZR 265/93, NJW 1995, 2635, 2636, insoweit in BGHZ 130, 101 nicht abgedruckt; Urt. v. 4. Februar 2000, V ZR 146/98, NJW 2000, 1487, 1488; Urt. v. 5. Oktober 2001, V ZR 237/00, NJW 2002, 429, 430; Urt. v. 19. Juli 2002, V ZR 240/01, NJW 2002, 3165, 3166). Diese tatsächliche Vermutung kommt nur dann nicht zum Tragen, wenn sie im Einzelfall durch besondere Umstände erschüttert ist (Senat, BGHZ 146, 298, 305).
"Auch ein auffälliges Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung allein könnte den Vertrag nicht als sittenwidrig i.S. des § 138 Abs. 1 erscheinen lassen. Es muß ein subjektives Moment hinzutreten, insbesondere eine verwerfliche Gesinnung (BGH, NJW 51, 397)."
Das stimmt, nur wird dieses "subjektive Moment" bei einem besonders krassen Missverhältnis eben nach BGH-Rechtsprechung vermutet, und derjenige, der abkassiert, muss den Gegenbeweis antreten.
Ich habe keine Kommentierung gefunden, die deine gegenteilige Auffassung stützt.
Siehe oben, aktuelles BGH-Urteil.
Sie wäre IMHO auch unsinnig, weil für Abs. 2 praktisch kein Anwendungsbereich mehr bliebe.
In der Tat könnte Abs. (1) viel häufiger Anwendung finden als Abs. (2). Das macht aber Abs. (1) nicht falsch.
Diese Vermutung kenne ich nur im Zusammenhang mit Abs. 2 (Wucher), den du gerade nicht anwenden willst.
Siehe das oben zitierte BGH-Urteil, dort wird die Vermutung definitiv auf Abs. (1) angewendet!
Selbst wenn man sie hier für anwendbar halten wollte, ist sie aber widerleglich.
Richtig. Doch wären für eine solche Widerlegung im Zweifelsfall diejenigen, die den Tarif geschaffen haben, als Zeugen zu hören, also das o2-Management. Das endet für o2 in einem ähnlichen Spießrutenlauf, wie ihn derzeit die Telekom mit dem Anlegerschutzprozess hat. Somit könnte o2 zwar faktisch im Recht sein, aber durch die Begleitumstände des Prozesses so viel verlieren, dass sie dennoch auf die Befragung des Managements und damit den möglichen Gegenbeweis verzichten. Auch das habe ich im letzten Beitrag kurz so erwähnt, aber vielleicht nicht deutlich genug.
Alles andere wäre auch abwegig, sonst würde O2 sich strafbar machen
Nein, strafbar wäre nur Wucher nach Abs. (2), den wir hier ja nicht haben.
oder der Vertrag wäre doch zumindest nichtig, sobald Overtraffic mehr als 1 c/MB kostet (denn die Vermutung gilt schon bei 100%iger Erhöhung).
Die "knapp 100%" gelten im Immobilienbereich. Im Tk-Bereich, zumal wie hier bei neuen Diensten, sind sicherlich höhere Werte zulässig. Aber bei Faktor 100 (entsprechend 10000%) zwischen Inklusivleistung und Übervolumen sollte das Ende der Fahnenstange nicht nur erreicht, sondern deutlich überschritten sein!
Hier kann ich über den hohen Preis hinaus absolut nicht erkennen, dass O2 den Kunden "über den Tisch ziehen" wollte. Individuelle Merkmale zum Ausbeuten sind schon deshalb nicht ersichtlich, weil der Tarif für alle Kunden gleichermaßen gilt.
Es sind in der Tat keine individuellen, auf den Empfänger der Leistung bezogenen, Ausbeutungsmerkmale erkennbar. Diese wären für Wucher nach Abs. (2) erforderlich, sind aber genau für Abs. (1) nicht erforderlich.
Interessant ist in diesem Zusammenhang das BGH-Urteil III ZR 152/05, meines Wissens das einzige Urteil des BGH, in dem das Thema "wucherische Überhöhung von Tk-Dienstepreisen" zumindest gestreift wird. Ich zitierte RdNrn. 35 und 36 Anfang:
"4. Das Berufungsgericht wird gegebenenfalls weiterhin Feststellungen zu den Voraussetzungen der Nichtigkeit der Rechtsgeschäfte nach § 138 Abs. 1 und 2 BGB zu treffen haben.
Der der Beklagten berechnete Preis von 2,9 Cent pro Sekunde (= 1,74 € pro Minute) ist - zumindest dem ersten Anschein nach - auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Klägerin für R-Gespräche höhere Kosten als gewöhnliche Verbindungsnetzbetreiber hat, auffällig hoch. [...]"
In diesem konkreten Verfahren ist der Vertrag zwar wahrscheinlich schon aus anderem Grund nichtig gewesen. Der BGH erwähnt aber ausdrücklich auch die Möglichkeit, dass Tk-Dienste-Verträge mit überhöhten Preisen nichtig sein können - auch wenn das dann tatsächlich auf (fast?) alle Kunden (hier die Angerufenen, die die Kosten per R-Gespräch übernehmen) anzuwenden wäre!
Die Rspr.
hat eine solche Gesinnung in der Vergangenheit dann bejaht, wenn dem Anbieter bekannt war, dass der Kunde den Vertrag nur wegen einer schwierigen Lage schließt oder wenn eine individuelle Notlage des Kunden wirtschaftlich ausgebeutet wird.
Genau diese Fälle - Zwangslage des Kunden - sind für Wucher nach Abs. (2) erforderlich, aber eben nicht für Abs. (1).
Wie gesagt zählt der Flatratevergleich nicht, weil man mit *vergleichbaren Produkten* am Markt vergleichen muss, also Overtrafficpreise in Volumentarifen anderer Anbieter.
Nein, schon der Vergleich zwischen Inklusivtrafficpreis und Overtrafficpreis (hier Faktor 100!) reicht, um die wucherische Überhöhung nachzuweisen. Dass andere Tarife andere Preise haben, stimmt, doch zielen diese auf ein anderes Marktsegment. Ein Tarif mit 100...250 MB Inklusivvolumen ist mit einem Tarif mit 5000 MB Inklusivvolumen definitiv nicht vergleichbar.
Diese sind teilweise genauso teuer. Das Gesetz zwingt O2 auch nicht stattdessen zu drosseln oder stattdessen eine Flatrate anzubieten. Wo sind wir denn hier.
Das Gesetz zwingt o2, zwischen dem Preis zwischen Inklusivleistung und Zusatzleistung ein sinnvolles Verhältnis zu bewahren.
Da es sich um einen Volumentarif handelt, ist auch mit Volumentarifen zu vergleichen und nicht mit Flatrates.
Es ist mit Volumentarifen zu vergleichen, die mehrere Gigabyte Inklusivvolumen haben und ausdrücklich vom Anbieter zum "Surfen mit Datenkarte und Laptop" beworben werden. Das sind aber bei der Konkurrenz nur noch Flatrates.
- den EPlus Internet 250. Auch hier kostet Overtraffic 50 c/MB und damit rund 13x so viel wie das Inklusivvolumen bei voller Ausschöpfung.
Dieser Einwand kam bereits von einem anderen User auf meinen Beitrag. Wie dort bereits geschrieben: Bei diesem speziellen Tarif werden maximal 150 MB overtraffic abgerechnet, so dass maximal 85 Euro monatlich anfallen. Zudem ist der Faktor 13 wesentlich kleiner als der Faktor 100!
- Debitel bietet zu praktisch denselben Konditionen den Volumenkontingenttarif Internet 250 an.
Siehe E-Plus.
- TMobile bietet den Volumentarif Web'n'walk M, bei dem Overtraffic 49 c/MB und immerhin noch 7x so viel wie das InklVol kostet.
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- Praktisch zu gleichen Konditionen bietet Vodafone derzeit den Volume L an.
Beide "nur" Faktor 7, zudem ein Bruchteil des Inklusivvolumens.
- Mobilcom bietet den MSurf 300 für 22,90 Euro an, Overtraffic: 49 c/MB. 6x so teuer wie das Inklusivvolumen.
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- Talkline bietet den Talk & Surf für 29,95 Euro mit 5 GB, darüber hinaus 59 c/MB. 98x so teuer!
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Die wären alle nichtig, denn die genannte Vermutung greift schon bei 100% Erhöhung.
Wie gesagt, die 100% verwendet der BGH im Zusammenhang mit Immobilien. Bei anderen Gütern erlaubt er auch andere Faktoren. Eine Coladose kostet im Supermarkt 50 Cent und am Kiosk 2 Euro. Das wird auch so bleiben, ohne, dass deswegen Wucher angenommen wird.
Ich halte es schon für fraglich, ob das Ergebnis "Nichtigkeit" überhaupt im Sinne des Kunden wäre. Denn dann wäre zwar nicht vertraglich, aber gesetzlich der marktübliche Preis (auch hier für Overtraffic bei Volumentarifen, nicht bei Flatrates) zu zahlen.
Es wäre mit für Laptop-Nutzung geeigneten Tarifen zu vergleichen. Diese liegen bei der Konkurrenz preislich bei 25 bis 35 Euro (flat).
Es bleibt dabei, dass O2 einen teuren Tarif angeboten und der Kunde weder Vertrag noch Preisliste noch Werbung gelesen hat. Teure Produkte anzubieten ist genauso wenig verboten wie Verträge ungelesen zu unterschreiben. Andernfalls können wir gleich in den Sozialismus abtauchen.
Es gibt Grenzen beim Preis, ohne, dass wir gleich im Sozialismus landen.
Worüber man viell. nachdenken könnte, um dem Kunden zu helfen, ist, ob der Anbieter verpflichtet war bei einem solch horrenden Rechnungsbetrag vorher zu warnen.
Hier sind wir uns einig.
Das wurde in 0900-Fällen entschieden, aber auch damit begründet, dass Verbindungen aus technischen Gründen gegen den Willen des Kunden aufrecht erhalten wurden. Das ist hier nicht der Fall, und ich sehe das auch kritisch, denn wo sollen solche weitreichenden Schutzpflichten anfangen und wo enden sie? Muss der Kunde auch den Anbieter warnen, wenn er mit seiner DSL-Flatrate saugt, bis die Leitung glüht, und ihm damit große Verluste beschert, weil der Anbieter sich verkalkuliert hat? Sich als Anbieter selbst an den Daten zu bedienen ist nicht ohne Weiteres möglich (Fernmeldegeheimnis).
Summarische Daten können jederzeit verwendet werden. Der Anbieter braucht ja keinen EVN, um zu ermitteln, dass die Rechnung hoch wird. Eine Warn-SMS ("Achtung: Ihre Rechnung übersteigt bereits 1000 Euro") könnte von einem entsprechenden technischen System versendet werden, ohne, dass irgendein Mitarbeiter des Anbieters in irgendwelche Daten sieht, also auch unter Einhaltung sämtlicher Datenschutzrichtlinien.
In Flatratetarifen dürfte schon die Speicherung des Volumens unzulässig sein, daran hat sich auch durch das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung nichts geändert.
Hier liegt genau KEIN Flatrate-Tarif vor!
Teltarif.de hat sich in Meldungen kritisch geäußert, wenn Flatrateanbieter eigene Versäumnisse wirtschaftlich den Kunden zur Last zu legen versuchten. Umgekehrt kann nichts anderes gelten.
Zwischen Anbieter und Kunden ist der Kunde i.d.R. der wirtschaftlich schwächere. Er ist entsprechend intensiver zu schützen. Deswegen gibt z.B. die AGB-Regelungen im BGB, mit denen übrigens die Nichtigkeit des 100fachen Aufpreises als "überraschende Klausel" ebenfalls gut zu begründen wäre.
Am Ende müssen wir abwarten, dass ein durch Sprungtarife geschädigter Kunde das Verfahren bis vor den BGH treibt und wir ein klares Urteil bekommen.
Kai