Überlastung

Handball-WM kann Be­last­ungsprobe für das Internet werden

Anfang 2016 schauten 13 Millionen Zuschauer das Handball-EM-Finale in der ARD. Jetzt ist die WM nur per Internet zu sehen. Kann das Netz dem standhalten?
Eine Einschätzung von Thorsten Neuhetzki

Ein Kameramann filmt das Viertelfinalspiel bei der Handball-WM 2015 in Doha/Katar zwischen Deutschland und Katar. Ein Kameramann filmt das Viertelfinalspiel bei der Handball-WM 2015 in Doha/Katar zwischen Deutschland und Katar.
Foto: dpa
Es ist mangels großer Fußball-Wettbewerbe und fehlendem Olympia eines der Sport-Highlights des Jahres: Die Handball-WM in Frankreich. Erstmals ist ein solches Event nicht im klassischen Fernsehen und auch nicht im Pay-TV zu sehen, sondern ausschließlich im Internet. Anders als beim IPTV, das schon als Verbreitungskanal der Fußball-Bundesliga bei Liga total! diente und heute auch für die Basketball- und Eishokey-Liga von der Telekom genutzt wird, finden Internet-Streams wie jetzt von der DKB angeboten, nicht über ein geschlossenes Netz statt. Dieses ließe sich leicht steuern. Stattdessen werden die Spiele über das Internet übertragen - mit zahlreichen Unwägbarkeiten. Sollte die deutsche Mannschaft es bei dem Turnier weit bringen, ist schnell ein Hype zu erwarten und ein Ansturm auf die kostenlosen Übertragungen. Doch ist das Internet in Deutschland dafür bereit? Es gibt viele mögliche Probleme.

Problem 1: Shared Medium & Co.

Ein Kameramann filmt das Viertelfinalspiel bei der Handball-WM 2015 in Doha/Katar zwischen Deutschland und Katar. Ein Kameramann filmt das Viertelfinalspiel bei der Handball-WM 2015 in Doha/Katar zwischen Deutschland und Katar.
Foto: dpa
Schon heute kommen die Leitungen oftmals an den Rand ihrer Möglichkeiten. Insbesondere wenn es draußen ungemütlich ist, sitzen viele vorm Fernseher. Aber statt auf den 20:15-Uhr-Film zu warten, wird gestreamt, was die Leitung hergibt. Netflix, Maxdome, Google Play, Sky Go, Amazon & Co bieten ja auch genug zum Sehen. Doch oftmals machen das die Leitungen nicht mit. Vor allem, wenn viel Last auf den Leitungen ist, stören sich die Internetkunden gegenseitig. Vor allem betrifft das jene Leitungen, die auf Shared Medium basieren. Also vor allem Kabelanschlüsse und Mobilfunk. Aber auch DSL und VDSL können Shared Medium sein, denn die Glasfaserleitung ab dem DSLAM, also dem DSL-Modem seitens des Anbieters, teilen sich alle Kunden gleichermaßen. Ist sie überbucht, wird die Leitung langsamer als erwartet. Und auch die elektrischen Signale auf der Kupferstrecke stören einander: Je mehr Leitungen in einem Kabelbündel geschaltet und mit Signalen belegt sind, desto stärker stören sie einander und desto langsamer wird die Übertragung. Das ist vor allem in Großstädten ein Problem.

Problem 2: Die Masse

Anfang des vergangenen Jahres gab es die Handball-EM, bei der die deutsche Mannschaft bis ins Finale kam und letztlich sogar Europameister wurde. Das Finalspiel im Ersten sahen laut Quotenhochrechnung nahezu 13 Millionen Zuschauer. Macht man nun eine sehr einfache Rechnung auf, das 13 Millionen Haushalte einen Stream mit jeweils nur 1 MBit/s sehen, entsteht eine Trafficlast von 13 Terabit/s. Zum Vergleich: Der DE-CIX, der größte Internet-Austauschknoten der Welt, über den nicht nur deutsche, sondern auch ausländische Anbieter untereinander ihre Daten austauschen, verzeichnet derzeit in der Spitze eine Last von 5,4 Terabit/s, die sich auf alle Netze und Server verteilt. Im Fall des Handball-Streamings müsste alleine das Google-Netzwerk diese Daten ausliefern können. Selbst mit einem Content Delivery Network (CDN) eine mehr als sportliche Aufgabe.

Wie viele Zuschauer am Ende zusehen werden, ist gleichzeitig unberechenbar. Streaming-Portale wie DAZN oder Sky setzen eine Anmeldung voraus und haben so zumindest eine grobe Vorahnung, wie viele Nutzer zuschauen könnten. Der Handball-Stream erfolgt jedoch "Free to Air" und ohne Anmeldung.

Problem 3: Das Peering

Der nächste Engpass im Internet sind die Übergabepunkte zwischen den Anbietern (Peering-Points). Im Fall der DKB müssen die Streaming-Signale von Google an die Netzbetreiber der Kunden übergeben werden. Denn: Die DKB setzt auf den technischen Partner YouTube, YouTube wiederum gehört zu Google. Zumindest in der Vergangenheit kam es immer mal wieder zu Engpässen bei einzelnen Netzbetreibern, ging es um das Streaming von YouTube-Inhalten. Hier streiken aber nicht Technik oder Physik, sondern es stehen finanzielle Interessen im Mittelpunkt.

Peering erfolgt normalerweise kostenlos und auf Gegenseitigkeit. Doch einzelne Netzbetreiber sahen sich in der Vergangenheit benachteiligt. Sie bekamen mehr Traffic von Google in ihr Netz geschoben, als ihre Kunden zu Google übertragen haben. Ein Ungleichgewicht, des sie nicht kostenlos hinnehmen wollten. Doch die Konzerne wie Google sind nur selten bereit, auf eigene Kosten Peering-Points nachzurüsten. Die Folge ist vergleichbar mit einer Autobahn, bei der eine Spur gesperrt wird: Es kommt zum Datenstau.

Problem 4: Die Breitbandversorgung

Damit es zum Stau auf der Autobahn kommt, muss es jedoch erst einmal eine Autobahn geben. Doch verlässt man in Deutschland die Städte und fährt aufs Land, so verlässt man nur zu oft in Deutschland auch die Internet-Autobahn und landet erst auf einer Bundesstraße, dann auf einer Landstraße, aber am Ende auch oft noch auf dem Feldweg. Sprich: Wer zu den Unglücklichen gehört, die noch mit einer "DSL-light"-Lösung von unter 1 MBit/s oder gar mit Modem oder ISDN unterwegs sind, sehen mehr Pixelmatsch und ruckeln als ein schnelles Handballspiel.

Problem 5: Die Tarife

Wer im Internet ist, surft per Flatrate - aber nicht immer. Viele Tarife sind nicht für das dauerhafte Streamen von Inhalten geeignet. Auch hier eine einfache Rechnung. Ein Stream mit 1 MBit/s Datenrate über eine Zeit von 90 Minuten (ein Handballspiel dauert 60 Minuten, bei Spielunterbrechungen wird die Zeit angehalten) generiert ein Datenvolumen von 675 MB. Da die Spiele jedoch in HD gestreamt werden, entsteht bei großen Leitungen ein größeres Datenvolumen. Bei einem 5-MBit/s-Stream sind es schon 3,375 GB. Insgesamt überträgt die DKB 46 Spiele. Schaut ein Hardcore-Fan alle Spiele, sind es mit einem 1-MBit/s-Stream mehr als 30 GB, beim 5 MBit/s-Stream mehr als 150 GB Datenvolumen.

Vor allem Nutzer, die per Satellit ins Internet gehen oder den Tarif Call & Surf via Funk der Telekom nutzen, haben hier Probleme, weil sie in nur ein bestimmtes Datenvolumen gebucht haben. Auch andere Provider drosseln ihre Kunden, allerdings auf vergleichsweise hohem Niveau. Beim 1&1 DSL Basic sind es 100 GB im Monat, bei o2 300 GB, die maximal drei Monate in Folge erreicht werden dürfen. Allerdings dürfte sich der Datentraffic in diesem Monat nicht auf die Handball-WM beschränken. Und auch wer per Smartphone zuschaut, sollte sehr auf sein Datenvolumen achten. Hier sind Handytarife mit einer echten Datenflatrate deutlich im Vorteil.

So können Sie die Spiele sehen

Heute Abend um 20:45 Uhr gibt es den ersten Mini-Test: DKB und YouTube übertragen die Partie Frankreich gegen Brasilien. Wie Sie die Spiele sehen können, sofern die Netze mitspielen, lesen Sie in einem weiteren Artikel.