1&1-Drillisch: Huckepack aufs bestehende Netz?
Die bei der Frequenzversteigerung festgelegten Auflagen der Bundesnetzagentur schreiben den Netzbetreibern ein sogenanntes "Verhandlungsgebot" vor: Das bedeutet: Es gibt keine Pflicht, die eigenen Netze an die Konkurrenz zu vermieten - also sogenanntes "nationales Roaming" freizugeben, aber es muss zumindest darüber verhandelt werden.
Diese Verhandlungen haben in der Tat stattgefunden. Dabei wurde deutlich intensiver und länger verhandelt, als sich 1&1-Drillisch das vorgestellt hat. "Jetzt sind wir ein Jahr weiter und haben immer noch kein nationales Roaming", beklagt Dommermuth. "Dass das kein Spaziergang wird, war klar." Sein ursprünglicher Zeitplan sah vor, die Gespräche bereits im Herbst 2019 erfolgreich abzuschließen. Stattdessen gibt es - wen wundert es - noch immer keine Einigung. "Wir haben Angebote bekommen, die uns aber kein marktgerechtes Produkt ermöglichen", so Dommermuth, auf gut deutsch: "Das ist mir viel zu teuer!"
Zauberformel: National Roaming
1&1 Chef Ralph Dommermuth hatte sich National Roaming einfacher vorgestellt.
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Die drei etablierten Anbieter verraten über die laufenden Verhandlungen nichts genaues, lassen jedoch durchblicken, dass sie deutlich anderer Meinung sind. "Wir sind offen gegenüber Drittparteigeschäft - solange das zu vernünftigen kommerziellen Bedingungen geschieht", sagte zum Beispiel Telekom-Finanzchef Christian Illek in einer Telefonkonferenz. Die Telekom hat damit Erfahrung, sie ließ sich mit VIAG-Interkom (heute Telefónica-o2) auf das D1-Roaming ein, was viele o2-Kunden bis heute stark vermissen.
Mit einem technischen Trick hatte VIAG-Interkom vorher alle deutschen Netze nutzen können, auch ohne extra Verträge, der Umweg ging über eine Schweizer Karten-Kennung. Das war aber störanfällig und teuer.
Telefónica (o2) verweist auf die laufenden Verträge mit 1&1-Drillisch, woraus der Neuling einen "Anspruch auf nationales Roaming" ableiten könne. In einem Brief an den Beirat der Bundesnetzagentur beklagt sich Vodafone über die Haltung von 1&1-Drillisch. Der Neuling fordere ein "risikoloses Geschäftsmodell" und bestehe darauf, dass Vodafone die unternehmerischen Kosten für Investitionen oder steigenden Datenverkehr komplett alleine trage.
Möglichst flächendeckend und günstig?
"Drillisch möchte möglichst flächendeckend und günstig an die Ressourcen herankommen. Die anderen haben das Interesse, den neuen Wettbewerber möglichst klein zu halten", erklärt Telekommunikations-Experte Torsten Gerpott von der Universität Duisburg-Essen den Konflikt. Während 1&1-Chef Dommermuth den Rivalen "Mondpreise" bei ihren Angeboten vorwirft, beklagen diese, der Neuling stelle zu hohe Anforderungen.
Tatsächlich hat 1&1-Drillisch mit Netzausbau noch nicht begonnen, es gibt nur ein oder zwei Teststationen in Montabaur und Karlsruhe. Auch entsprechende Verträge mit Netzwerkausrüstern scheint es noch nicht zu geben. Als Lieferanten hatte man einen günstigen Chinesen im Auge, weiß aber nicht, ob die Politik dabei mitspielt. 1&1-Drillisch verweist darauf, man könne nicht vor Ende der Verhandlungen mit dem Ausbau anfangen, da sonst die Grundlagen fehlten. Prof. Gerpott hält das jedoch nicht für zutreffend: "Die wollen Druck auf die Politik erzeugen", meint der Experte, der auch regelmäßig Gastbeiträge auf teltarif.de schreibt. "Der Regulierungsrahmen ist ein Hygienefaktor, aber sicher nicht der Show Stopper. Mindestens ebenso bedeutsam sind die Faktoren Verfügbarkeit von 5G-Netztechnik zu wettbewerbsfähigen Kosten und die Entwicklung attraktiver neuer 5G-Anwendungen."
Ärgerlich für Verbraucher?
Aus Verbrauchersicht, die an möglichst günstigen Preisen interessiert sind, ist die Verzögerung ärgerlich. Je später alle Wettbewerber den Ausbau starten, desto später wird flächendeckendes, "bezahlbares" 5G-Netz für alle zur Verfügung stehen. Beim Vorgänger 4G (LTE) rissen alle drei Netzbetreiber bislang die Fristen der Bundesnetzagentur, nach denen bis zum Jahreswechsel in jedem Bundesland mindestens 98 Prozent der Haushalte mit dem schnellen Mobilfunkstandard ausgestattet sein sollten.
Wird die BNetzA eingreifen?
Zwar hat die Auseinandersetzung noch nicht die höchstmögliche Eskalationsstufe - ein von der Bundesnetzagentur geleitetes Schiedsverfahren - erreicht. Dennoch hat 1&1-Drillisch bereits die Regulierungsbehörde um Hilfe gebeten. Diese hat schon mit allen Parteien Gespräche geführt, in der Hoffnung, zu vermitteln. "Wir begleiten die Gespräche der Unternehmen, damit die Verhandlungen fair ablaufen und der neue Wettbewerber nicht diskriminiert wird", sagt Netzagentur-Präsident Jochen Homann.
In der Opposition im Bundestag sieht man die Tatsache, dass nationales Roaming nach aktueller Rechtslage nicht durch die Bundesnetzagentur angeordnet werden kann, als Problem: Die "Platzhirsche" ließen 1&1-Drillisch ohne Verhandlungsgebot "am langen Arm verhungern", moniert der Grünen-Abgeordnete im Bundestag, Oliver Krischer. "Es gibt zwar ein Verhandlungsgebot, dass die anderen Netzbetreiber den neuen Wettbewerber 1&1 Huckepack auf ihr LTE-Netz nehmen, das ist aber nichts wert, weil es keine Einigungspflicht gibt." Die Netzagentur müsse in die Lage versetzt werden, klare Entscheidungen treffen zu können.
Verhandlungen besser als Eingreifen
Branchenexperte Gerpott hält die Verhandlungen auf freiwilliger Basis dennoch für den richtigen Weg: "Eine Pflicht zum National Roaming halte ich für problematisch, da sie falsche Anreize setzen würde. Dann wären diejenigen im Nachteil, die als Pioniere Netze mit aufgebaut haben."
Eine Einschätzung von Henning Gajek
Gerpott trifft es auf den Punkt. Der Neuling will günstige Preise, um damit für seine Kunden attraktiv zu erscheinen. Diese Kunden sind aber jetzt schon bei Telekom, Vodafone oder Telefónica, würden denen also künftig fehlen. Ok, sie wären dann später indirekt als 1&1-Kunden "wieder da", würden aber an die etablierten Netzbetreiber spürbar weniger als vorher bezahlen. Es würde den Etablierten also Geld in der Kasse fehlen. Einen grundlegenden Netzausbau in der Provinz möchte der Neuling selbst nicht machen, "weil das viel zu teuer ist", aber gerne zu supergünstigen Preisen das fix und fertige Netz mieten.
Wenn sich jetzt die Bundesnetzagentur "einmischt", bekommt 1&1 (vielleicht) seine Wünsche erfüllt. Dadurch würde der wirklich flächendeckende Netzausbau weiter verzögert, weil dafür dadurch kein Geld mehr in der Kasse ist. Ist das sinnvoll?
Hilft die Einheits-Netzgesellschaft?
Rein funktechnisch gesehen würde eine Netzgesellschaft, die Deutschland komplett (wirklich komplett, bis in den tiefsten Wald und die fernste Wiese, einschließlich Seen und Inseln) ausbaut, völlig ausreichen. Diese Netzgesellschaft hätte dann aber ein Monopol und deren Inhaber möchten am Ende Rendite sehen. Ließe man den Staat bauen, hätten wir die "Deutsche Bundespost 2.0" zurück, weil diese Gesellschaft schnell "mit sich selbst beschäftigt" wäre und dadurch träge und langsam würde. Genau das ist ja der Grund für den Wettbewerb. Netz A baut im Ort X mehr auf und bekommt dadurch mehr Kunden. Das spornt Netz B an, auch mehr zu bauen, um die Kunden behalten zu können. Wenn aber Anbieter D gar nichts baut und trotzdem günstiger als die Netzbetreiber A, B und C ist, dann verlieren die großen Anbieter schnell die Lust und bauen weniger oder nichts mehr.
Echte Kosten umlegen?
Eine Lösung könnte sein: National Roaming ja, aber gegen spürbaren Aufpreis. So hoch, dass ein Kunde von 1&1-Drillisch unterm Strich mindestens genau so viel wie ein Kunde eines bereits etablierten Anbieters dafür zahlen muss.
Wem das zu teuer ist, dem sollte 1&1 vielleicht nur regional funktionierende Tarife verkaufen dürfen. Wer nur in einer Stadt oder Region bleibt, wird damit glücklich sein. Wer mehr will, muss dann halt mehr zahlen. Plus Tagesticket für eine temporäre Netzversorgung für eine andere Stadt/Region, den man schnell über eine App buchen kann, wie eine Fahrkarte.
Der Wettbewerb müsste sich dann auf die Service-Qualität und den Netzausbau verlagern. Wer besser ausbauen kann und will, darf höhere Preise nehmen, wer günstigere Tarife haben will, muss dafür spürbare Abstriche hinnehmen. Super-Netz für nahezu nix - funktioniert nicht.
Während 1&1-Drillisch noch darüber nachdenkt, wie der 5G-Netzstart aussehen könnte, gibt es hausintern Grund zum Feiern: Bei der Kundenzufriedenheit, da wurden sie bei der Zeitschrift "Connect" mehrfach Testsieger.