Nummer 4

1&1-Drillisch: Huckepack aufs bestehende Netz?

Ein neuer Netz­be­treiber müsste aus dem Stand volle Flächen­de­ckung haben, sonst will ihn keiner. Wie das gehen soll, ist eine kompli­zierte Frage.
Von mit Material von dpa

Die bei der Frequenz­ver­stei­ge­rung fest­ge­legten Auflagen der Bundes­netz­agentur schreiben den Netz­be­trei­bern ein soge­nanntes "Verhand­lungs­gebot" vor: Das bedeutet: Es gibt keine Pflicht, die eigenen Netze an die Konkur­renz zu vermieten - also soge­nanntes "natio­nales Roaming" frei­zu­geben, aber es muss zumin­dest darüber verhan­delt werden.

Diese Verhand­lungen haben in der Tat statt­ge­funden. Dabei wurde deut­lich inten­siver und länger verhan­delt, als sich 1&1-Dril­lisch das vorge­stellt hat. "Jetzt sind wir ein Jahr weiter und haben immer noch kein natio­nales Roaming", beklagt Dommer­muth. "Dass das kein Spazier­gang wird, war klar." Sein ursprüng­li­cher Zeit­plan sah vor, die Gespräche bereits im Herbst 2019 erfolg­reich abzu­schließen. Statt­dessen gibt es - wen wundert es - noch immer keine Eini­gung. "Wir haben Ange­bote bekommen, die uns aber kein markt­ge­rechtes Produkt ermög­li­chen", so Dommer­muth, auf gut deutsch: "Das ist mir viel zu teuer!"

Zauber­formel: National Roaming

1&1 Chef Ralph Dommermuth hatte sich National Roaming einfacher vorgestellt. 1&1 Chef Ralph Dommermuth hatte sich National Roaming einfacher vorgestellt.
Foto: picture alliance/Boris Roessler/dpa
Die drei etablierten Anbieter verraten über die laufenden Verhand­lungen nichts genaues, lassen jedoch durch­bli­cken, dass sie deut­lich anderer Meinung sind. "Wir sind offen gegen­über Dritt­par­tei­ge­schäft - solange das zu vernünf­tigen kommer­zi­ellen Bedin­gungen geschieht", sagte zum Beispiel Telekom-Finanz­chef Chris­tian Illek in einer Tele­fon­kon­fe­renz. Die Telekom hat damit Erfah­rung, sie ließ sich mit VIAG-Interkom (heute Telefónica-o2) auf das D1-Roaming ein, was viele o2-Kunden bis heute stark vermissen.

Mit einem tech­ni­schen Trick hatte VIAG-Interkom vorher alle deut­schen Netze nutzen können, auch ohne extra Verträge, der Umweg ging über eine Schweizer Karten-Kennung. Das war aber stör­an­fällig und teuer.

Telefónica (o2) verweist auf die laufenden Verträge mit 1&1-Dril­lisch, woraus der Neuling einen "Anspruch auf natio­nales Roaming" ableiten könne. In einem Brief an den Beirat der Bundes­netz­agentur beklagt sich Voda­fone über die Haltung von 1&1-Dril­lisch. Der Neuling fordere ein "risi­ko­loses Geschäfts­mo­dell" und bestehe darauf, dass Voda­fone die unter­neh­me­ri­schen Kosten für Inves­ti­tionen oder stei­genden Daten­ver­kehr komplett alleine trage.

Möglichst flächen­de­ckend und günstig?

"Dril­lisch möchte möglichst flächen­de­ckend und günstig an die Ressourcen heran­kommen. Die anderen haben das Inter­esse, den neuen Wett­be­werber möglichst klein zu halten", erklärt Tele­kom­mu­ni­ka­tions-Experte Torsten Gerpott von der Univer­sität Duis­burg-Essen den Konflikt. Während 1&1-Chef Dommer­muth den Rivalen "Mond­preise" bei ihren Ange­boten vorwirft, beklagen diese, der Neuling stelle zu hohe Anfor­de­rungen.

Tatsäch­lich hat 1&1-Dril­lisch mit Netz­ausbau noch nicht begonnen, es gibt nur ein oder zwei Test­sta­tionen in Monta­baur und Karls­ruhe. Auch entspre­chende Verträge mit Netz­werk­aus­rüs­tern scheint es noch nicht zu geben. Als Liefe­ranten hatte man einen güns­tigen Chinesen im Auge, weiß aber nicht, ob die Politik dabei mitspielt. 1&1-Dril­lisch verweist darauf, man könne nicht vor Ende der Verhand­lungen mit dem Ausbau anfangen, da sonst die Grund­lagen fehlten. Prof. Gerpott hält das jedoch nicht für zutref­fend: "Die wollen Druck auf die Politik erzeugen", meint der Experte, der auch regel­mäßig Gast­bei­träge auf teltarif.de schreibt. "Der Regu­lie­rungs­rahmen ist ein Hygie­ne­faktor, aber sicher nicht der Show Stopper. Mindes­tens ebenso bedeutsam sind die Faktoren Verfüg­bar­keit von 5G-Netz­technik zu wett­be­werbs­fä­higen Kosten und die Entwick­lung attrak­tiver neuer 5G-Anwen­dungen."

Ärger­lich für Verbrau­cher?

Aus Verbrau­cher­sicht, die an möglichst güns­tigen Preisen inter­es­siert sind, ist die Verzö­ge­rung ärger­lich. Je später alle Wett­be­werber den Ausbau starten, desto später wird flächen­de­ckendes, "bezahl­bares" 5G-Netz für alle zur Verfü­gung stehen. Beim Vorgänger 4G (LTE) rissen alle drei Netz­be­treiber bislang die Fristen der Bundes­netz­agentur, nach denen bis zum Jahres­wechsel in jedem Bundes­land mindes­tens 98 Prozent der Haus­halte mit dem schnellen Mobil­funk­stan­dard ausge­stattet sein sollten.

Wird die BNetzA eingreifen?

Zwar hat die Ausein­an­der­set­zung noch nicht die höchst­mög­liche Eska­la­ti­ons­stufe - ein von der Bundes­netz­agentur gelei­tetes Schieds­ver­fahren - erreicht. Dennoch hat 1&1-Dril­lisch bereits die Regu­lie­rungs­be­hörde um Hilfe gebeten. Diese hat schon mit allen Parteien Gespräche geführt, in der Hoff­nung, zu vermit­teln. "Wir begleiten die Gespräche der Unter­nehmen, damit die Verhand­lungen fair ablaufen und der neue Wett­be­werber nicht diskri­mi­niert wird", sagt Netz­agentur-Präsi­dent Jochen Homann.

In der Oppo­si­tion im Bundestag sieht man die Tatsache, dass natio­nales Roaming nach aktu­eller Rechts­lage nicht durch die Bundes­netz­agentur ange­ordnet werden kann, als Problem: Die "Platz­hir­sche" ließen 1&1-Dril­lisch ohne Verhand­lungs­gebot "am langen Arm verhun­gern", moniert der Grünen-Abge­ord­nete im Bundestag, Oliver Krischer. "Es gibt zwar ein Verhand­lungs­gebot, dass die anderen Netz­be­treiber den neuen Wett­be­werber 1&1 Hucke­pack auf ihr LTE-Netz nehmen, das ist aber nichts wert, weil es keine Eini­gungs­pflicht gibt." Die Netz­agentur müsse in die Lage versetzt werden, klare Entschei­dungen treffen zu können.

Verhand­lungen besser als Eingreifen

Bran­chen­ex­perte Gerpott hält die Verhand­lungen auf frei­wil­liger Basis dennoch für den rich­tigen Weg: "Eine Pflicht zum National Roaming halte ich für proble­ma­tisch, da sie falsche Anreize setzen würde. Dann wären dieje­nigen im Nach­teil, die als Pioniere Netze mit aufge­baut haben."

Eine Einschät­zung von Henning Gajek

Gerpott trifft es auf den Punkt. Der Neuling will güns­tige Preise, um damit für seine Kunden attraktiv zu erscheinen. Diese Kunden sind aber jetzt schon bei Telekom, Voda­fone oder Telefónica, würden denen also künftig fehlen. Ok, sie wären dann später indi­rekt als 1&1-Kunden "wieder da", würden aber an die etablierten Netz­be­treiber spürbar weniger als vorher bezahlen. Es würde den Etablierten also Geld in der Kasse fehlen. Einen grund­le­genden Netz­ausbau in der Provinz möchte der Neuling selbst nicht machen, "weil das viel zu teuer ist", aber gerne zu super­güns­tigen Preisen das fix und fertige Netz mieten.

Wenn sich jetzt die Bundes­netz­agentur "einmischt", bekommt 1&1 (viel­leicht) seine Wünsche erfüllt. Dadurch würde der wirk­lich flächen­de­ckende Netz­ausbau weiter verzö­gert, weil dafür dadurch kein Geld mehr in der Kasse ist. Ist das sinn­voll?

Hilft die Einheits-Netz­ge­sell­schaft?

Rein funk­tech­nisch gesehen würde eine Netz­ge­sell­schaft, die Deutsch­land komplett (wirk­lich komplett, bis in den tiefsten Wald und die fernste Wiese, einschließ­lich Seen und Inseln) ausbaut, völlig ausrei­chen. Diese Netz­ge­sell­schaft hätte dann aber ein Monopol und deren Inhaber möchten am Ende Rendite sehen. Ließe man den Staat bauen, hätten wir die "Deut­sche Bundes­post 2.0" zurück, weil diese Gesell­schaft schnell "mit sich selbst beschäf­tigt" wäre und dadurch träge und langsam würde. Genau das ist ja der Grund für den Wett­be­werb. Netz A baut im Ort X mehr auf und bekommt dadurch mehr Kunden. Das spornt Netz B an, auch mehr zu bauen, um die Kunden behalten zu können. Wenn aber Anbieter D gar nichts baut und trotzdem güns­tiger als die Netz­be­treiber A, B und C ist, dann verlieren die großen Anbieter schnell die Lust und bauen weniger oder nichts mehr.

Echte Kosten umlegen?

Eine Lösung könnte sein: National Roaming ja, aber gegen spür­baren Aufpreis. So hoch, dass ein Kunde von 1&1-Dril­lisch unterm Strich mindes­tens genau so viel wie ein Kunde eines bereits etablierten Anbie­ters dafür zahlen muss.

Wem das zu teuer ist, dem sollte 1&1 viel­leicht nur regional funk­tio­nie­rende Tarife verkaufen dürfen. Wer nur in einer Stadt oder Region bleibt, wird damit glück­lich sein. Wer mehr will, muss dann halt mehr zahlen. Plus Tages­ti­cket für eine tempo­räre Netz­ver­sor­gung für eine andere Stadt/Region, den man schnell über eine App buchen kann, wie eine Fahr­karte.

Der Wett­be­werb müsste sich dann auf die Service-Qualität und den Netz­ausbau verla­gern. Wer besser ausbauen kann und will, darf höhere Preise nehmen, wer güns­ti­gere Tarife haben will, muss dafür spür­bare Abstriche hinnehmen. Super-Netz für nahezu nix - funk­tio­niert nicht.

Während 1&1-Dril­lisch noch darüber nach­denkt, wie der 5G-Netz­start aussehen könnte, gibt es haus­in­tern Grund zum Feiern: Bei der Kunden­zu­frie­den­heit, da wurden sie bei der Zeit­schrift "Connect" mehr­fach Test­sieger.

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