Hessen: Mangelhafter Breitbandausbau im Funkloch-Land
Ein vollausgebauter Mobilfunkmast, mit Antennen von Telekom, Vodafone und o2 und Richtfunkspiegeln. In Hessen wären die Bürger froh, wenigstens 1 Netz zu empfangen. "Das Bundesland Hessen ist ein Funkloch-Land". Zu diesem absolut zutreffenden Fazit kommt ein Beitrag in der TV-Sendung "defacto" des Hessenfernsehen (HR) [Link entfernt] , welcher in diesen Tagen ausgestrahlt wurde und noch in der Mediathek abgerufen werden kann.
Ländliche Regionen in Hessen: Nicht versorgt
Ein vollausgebauter Mobilfunkmast, mit Antennen von Telekom, Vodafone und o2 und Richtfunkspiegeln. In Hessen wären die Bürger froh, wenigstens 1 Netz zu empfangen. In Hessen gibt es nach wie vor etliche Funklöcher: Handyverbindungen reißen ab oder sind gar nicht möglich, insbesondere in den ländlichen Regionen. Der Grund ist immer der gleiche: Es fehlt an Funkmasten überhaupt und es gibt zu viele technisch veraltete Anlagen mit maximal 2G (GSM). Oder es gibt einen Funkmasten des digitalen Behördenfunks (BDBOS), aber es fehlt vor Ort eine "Verbindung" zwischen Telekom, Vodafone oder Telefónica und der Bundesanstalt, um gemeinsam Standorte zu nutzen.
Deshalb hatte die Hessische Landesregierung sich eine (parteilose) Digitalministerin eingestellt. Die frühere Unternehmerin Kristina Sinemus (parteilos) hatte 2018 erklärt, sie wolle für 800 neue Mobilfunkmasten sorgen und 4000 Anlagen modernisieren. Dafür wurde auch richtig viel Geld bereit gestellt. Doch der Ausbau geht trotzdem nur "schleppend" voran.
Die hessische Digitalministerin Kristina Sinemus (parteilos) möchte den Breitbandausbau schneller voranbringen.
Foto: Picture Alliance / dpa
Ein Grund für den nach wie vor langsamen Mobilfunkausbau sind die langen Genehmigungsverfahren. In Hessen kann es zwei bis acht Monate dauern, bis der Bau eines neuen Mobilfunkmastes genehmigt ist, antwortete das Wirtschaftsministerium auf eine Anfrage der FDP-Fraktion im Hessischen Landtag.
Offenbar gibt es noch einen anderen Grund: Die Telekommunikationsunternehmen scheuen oft die hohen Investitionskosten auf dem platten Land, wo zu wenig Kunden leben, die in dem dann ausgebauten Netz für notwendige Einnahmen sorgen würden, vermutet Wolfgang Pauler vom Magazin "Chip" in der gleichen TV-Sendung.
Deshalb wollten die Grünen im Bund ein Recht auf Mobilfunk durchsetzen und die Telekommunikationsunternehmen zum Ausbau der Netze verpflichten.
TV-Sendung berichtet aus den Funklöchern vor Ort
Die Macher der TV-Sendung haben sich auf dem Land umgeschaut und verärgerte Einwohner und Rettungskräfte getroffen. Rettungseinsätze werden zu absoluten Abenteuern, wenn stellenweise selbst der staatliche digitale Rettungsfunk nicht empfangbar ist. "Dann müssen wir Passanten bitten, weiter zu fahren, bis sie wieder Netz haben und für uns die Leitstelle anzurufen", berichtet ein Rettungssanitäter vor laufender Kamera. Am Wochenende müssen Disco-Besucher erst einmal 500 Meter durch die Dunkelheit laufen, bevor Sie wieder Netz bekommen, um ein Taxi oder Freunde fürs Heimfahren erreichen können.
Vom ISDN-Festnetz zu Keinem-Netz
Doch damit nicht genug: Aus Sicht der betroffenen Kunden "zerstöre" die Telekom mutwillig eine an sich bestens funktionierende Festnetz-Telefon-Infrastruktur, weil sie lieber gestern wie heute die als "veraltet" geltende ISDN-Technik loswerden will. Als Alternative werde "Telefonieren über IP" angeboten, auch wenn die Kabellänge zwischen Telekom-Verteiler und dem Kunden für eine stabile IP-Verbindung oft viel zu lange sei. Die Telekom hingegen widerspricht in ihrem Blog deutlich: Oft sei die IP-Verbindung besser. Und der Kunde habe die Möglichkeit, einen anderen Anbieter zu wählen, beispielsweise über Satellit. Letzteres kann aufwendig und noch teurer werden. Ob es funktioniert wie gewünscht, ist auch nicht unbedingt gesagt.
Egal, wer nun recht hat: Die Folgen sind fatal. Die Leute können gar nicht mehr oder nicht mehr zuverlässig telefonieren. Das kann im Extremfall sehr gefährlich werden, wenn beispielsweise der Hausnotruf nicht mehr funktioniert. Die berichteten Fälle sind kein Einzelfall, nicht nur in Hessen, sondern auch bundesweit gibt es diese Probleme.
Anhand von Beispielen und nach Recherchen von teltarif.de zeigt sich folgendes Bild: Der notwendige Netzausbau vor Ort kommt manchmal selbst im Festnetz nicht rechtzeitig zu Stande, weil private Anbieter diverse Kabelverzweiger (KvZ) "reserviert" haben, dann aber mit dem geplanten Ausbau nicht rechtzeitig in Gang kommen oder längst andere Pläne haben, die Reservierungen aber (noch) nicht zurückgegeben haben.
Götel "blockiert" Telekom-Verteiler?
Im Gebiet des Vogelsbergs sind beispielsweise die Kabelverzweiger von der Firma Götel aus Göttingen (Mitglied im BREKO) "reserviert". Bevor das Unternehmen Götel Glasfaser ausbauen kann, wird eine Zustimmungsquote im Ort von 60 Prozent oder mehr gefordert.
Sprich: 60 Prozent der örtlichen Haushalte müssen verbindlich einen Glasfaseranschluss (FTTH) bestellt haben, bevor die Bagger rollen und überhaupt ausgebaut wird. Das ist aus wirtschaftlichen Gründen nachvollziehbar, aber die Anwohner vor Ort fühlen sich dabei absolut überfordert ("Was brauch ich 1 GBit/s für 80, 90 oder 100 Euro im Monat?"). Werden es weniger, wird Götel dort nichts bauen.
Bürgermeister fordern Ausbau durch die Telekom
Im Vogelsbergkreis haben sich Bürgermeister und Gemeinderäte mit großer Mehrheit dafür ausgesprochen, dass die Telekom ausbauen soll. Die darf das aber nur tun, wenn sich kein anderer privater Anbieter findet.
Die betroffenen Gemeinden und ihre Anwohner sind sauer, weil sie befürchten, dass am Ende gar niemand baut. Die Telekom würde wohl mit klassischem Vectoring (FTTC = Glasfaser bis zum Kasten an der Straße) ausbauen, weil sich die örtlichen Bewohner mit den dabei maximal möglichen 250 MBit/s "bestens versorgt" fühlen. Für Gewerbetreibende, die in ausgewiesenen Gewerbegebieten angesiedelt sind, soll es aber auf jeden Fall echte Glasfaser bis ins Haus oder Gebäude geben. Irgendwann einmal.
Eine Einschätzung
Je tiefer man sich in die Materie einarbeitet, desto höher steigt der Frust, warum der Netzausbau in einem Dschungel von Zuständigkeiten und "lieb gemeint" nicht voran kommt.
Wenn die Telekom aus wirtschaftlichen Gründen die störungsfrei funktionierende ISDN-Technik abkündigt, solange keine wirklich funktionierende Alternative vor Ort geboten werden kann, sind Betroffene zu Recht erbost und verzweifelt. Einen (erwünschten) Nebeneffekt scheint es zu haben. Mancherorts wird der vorher schleppende Netzausbau "über Nacht" beschleunigt, wenn sich örtliche oder überregionale Presse einschalten oder die Kameras des Fernsehens auftauchen.
Private Unternehmen können die gigantischen Ausbau-Aufgaben alleine kaum stemmen. Doch staatliche Förderung schnell und zuverlässig dorthin zu bekommen, wo sie gebraucht wird, scheint ebenso schwierig bis unmöglich zu sein. Je schneller eine schonungslose Bestandsaufnahme der Lücken und der exakten Baukosten für ihre Beseitigung gemacht wird, desto schneller kann eine Ausschreibung erfolgen, um diese Funk- und Versorgungslöcher ein- und für allemal zu schließen.