1&1 gewährt erste Einblicke in sein Mobilfunk-Netz
Bei einem virtuellen Webinar des VATM gab 1&1 erste Einblicke in ihr neues Netz.
Grafik: 1&1 - Screenshot : teltarif.de
Um den vierten Netzbetreiber, einst als Drillisch gestartet und inzwischen in 1&1 umbenannt, ranken sich Mythen, aber konkrete Details waren bisher absolute Mangelware. Selbst die seit längerem vergebene Netzvorwahl 015566 ist im realen Leben noch nirgends gesichtet worden.
Heute lud der Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten, kurz VATM zum virtuellen Webinar mit dem klaren Titel: "#5Gmasters: "1&1 x Rakuten x OpenRAN – was können wir vom 4. Netzbetreiber im deutschen Mobilfunkmarkt erwarten?"
Was den etablierten Netzbetreibern Schweißperlen auf die Stirn und schlaflose Nächte bereitete, wurde im Juni 2019 nach 500 Runden in Mainz festgelegt: "Aus 3 mach 4" - künftig sollten es vier Netzbetreiber in Deutschland sein.
Michael Martin leitet den Netzaufbau bei 1&1
Bei einem virtuellen Webinar des VATM gab 1&1 erste Einblicke in ihr neues Netz.
Grafik: 1&1 - Screenshot : teltarif.de
Michael Martin, "Director Mobile Radio Network bei der 1&1 Telecommunication SE" und Chef (CEO) der weiterhin unter dem Namen "Drillisch" existierenden "Drillisch Netz AG" hat vorher beim Schweizer Netzbetreiber Sunrise früh auf 5G gesetzt. Damals noch in klassischer Technik vom Generalunternehmer Huawei. Generalunternehmer bedeutet: Huawei baut und betreibt das Mobilfunknetz für die Sunrise.
1&1 geht anderen Weg
Bei 1&1 geht Martin einen anderen Weg, denn er baut das Netz quasi auf der grünen Wiese (englisch "Greenfield"), also von Null neu auf. Es gibt keinerlei Altlasten ("Legacy"), auf die man Rücksicht nehmen müsste.
Ja, räumt Martin ein, "wir hatten Gespräche mit den Herstellern ZTE, Ericsson und Nokia, und haben uns am Ende für Open-RAN-Technologie und die Hilfe von Rakuten entschieden". Stolz ist Martin, das selbst Telekom-Chef Tim Höttges die Wahl von Rakuten gut findet.
Der Vertrag mit Rakuten sieht die Ende-zu-Ende Verantwortung vor, also Design, Planung, Aufbau und Betrieb des Netzes in Verbindung mit der 1&1 Drillisch Netz AG. Die offizielle Betriebsherrschaft bleibt bei 1&1. Die 1&1-Schwester 1&1 Versatel liefert für das neue Netz die Glasfaseranbindungen und Data Center.
Für die Mobilfunk-Infrastruktur ist man mit "Tower Cos" (Funkturmgesellschaften wie z.B. DFMG, Vantage Towers American Towers etc.) im Gespräch: "Die wollen viele Netze auf ihren Standorten haben", deshalb könne das Netz sehr schnell aufgebaut werden.
Besonders charmant am Konzept ist, dass an einem Senderstandort auf den Mast ("Pole") nur eine aktive Antennen-Einheit ("Radio-Unit") gesetzt wird. "Der Mast wird direkt bestückt und fertig." Der Rest findet fernab in sogenannten Data Centern statt. Am Sendestandort wird es also keine grauen Kästen am Boden oder auf dem Gebäude ("Cabinets") geben, die müssen dort auch nicht extra beobachtet oder bei Defekten getauscht werden.
Zauberformel Data Center
Die Grafik zeigt die Unterschiede zwischen konventionellen Netzen und dem Prinzip von Rakuten bei 1&1
Grafik: 1&1 - Screenshot : teltarif.de
Die Schwester 1&1-Versatel ist auf Data Center spezialisiert. Sogenannte CU Units (Centralized Units) bringen den Content näher zum Kunden. Im neuen 5G-Netz von 1&1 sind 4 Core Data Center, 20-30 CU Edge Data Center und 500 sogenannte Far Edge Data Center oder DU (für Distributed Unit) vorgesehen.
An einem DU hängen in der Regel 20 bis 40 Sendestationen, das hängt von der Geografie ab. Für die zunächst angepeilten 50 Prozent Abdeckung der Bevölkerung peilt 1&1 etwa 12.000 Antennen-Standorte an.
Ressourcen-Pooling
Neuartig ist das Pooling von Ressourcen. Die sogenannten "Baseband Units" werden in den "Far Edge" Datenzentren "gepoolt", auf Deutsch: geteilt. Das bedeutet: Ein Bürohochhaus, das tagsüber gut besucht ist, könnte sich Ressourcen mit einem Fußballstadion teilen, wo es abends oder am Wochenende hoch her geht. Die notwendige Kapazität kann dann bedarfsweise zugeteilt werden.
Alle Netzwerkfunktionen laufen voll virtualisiert (NFV) auf Standard-Servern mit X86-Prozessoren. Diese Technik ist weit verbreitet und entsprechend günstig zu bekommen.
Damit verfolgt 1&1 einen komplett neuen Ansatz: "Das Konzept gibt es in Europa so noch nicht." Seine Erfahrungen konnte Know-how-Lieferant Rakuten in Japan sammeln ("Rakuten 1.0"), und es funktioniert und läuft. Aber: Das deutsche Netz wird "keine 1:1-Replik des japanischen Netzes".
Sende-Start auf 2,6 GHz
Da die von 1&1 ersteigerten Frequenzen bei 2,1 GHz real noch nicht verfügbar sind, hat 1&1 Frequenzen auf 2,6 GHz von o2 angemietet. Der Aufbau des eigenen Netzes soll noch Ende dieses Jahres beginnen.
1&1 hat keine Vorgaben, wo sie Antennen hinstellen wollen. Aber man habe schon 10 Millionen Kunden, die man aber erst auf das eigene Netz umschalten ("migrieren") will, wenn ein gewisser Teil des neuen Netzes zusammenhängend läuft. Man möchte seinen Kunden nicht ein Kundenerlebnis bieten, wo sich das Handy laufend zwischen dem neuen Netz von 1&1 und dem Roaming-Netz von o2 hin- und herbuchen muss.
Auf jeden Fall will Martin "deutlich mehr als in den Auflagen der BNetzA beschrieben" aufbauen. Die bis 2025 geforderten 25 Prozent der Bevölkerung will er wesentlich früher erreichen.
Größtes Interesse an 800 MHz
Eins stellte Martin absolut klar: "Wir haben großes Interesse an 800 MHz. Um nachhaltig wettbewerbsfähig zu sein, braucht man Low Band", also die Frequenzen bei 800 MHz. Martin sieht dabei 800 MHz nicht wie seine Konkurrenten als "Flächenfrequenz" (speziell für dünner besiedelte Regionen), sondern will sie gerade in Städten nutzen, um für Indoor Coverage sorgen zu können.
Das hat er in der Schweiz gelernt: "Dort ist jeder Antennenstandort mit 800 MHz ausgestattet, um Indoor-Coverage in den Städten hin zu bekommen." Und kündigt an: "Wir werden bei 800 MHz mit ins Rennen gehen."
Als größte Herausforderung beim Aufbau des neuen Netzes sieht Martin die Beschaffung der Standorte. Wenn die Grundstücksbesitzer ja gesagt haben und die Genehmigungen vorliegen, könne alles sehr schnell gehen.
Wird es fremde Anbieter (Service-Provider, MVNOs) im 1&1 Netz geben? Technisch sei das machbar, "die Diskussion haben wir aber noch nicht geführt."
o2 setzt auf eine All in One Antenne beim Netzausbau.