Vermarktet

Festnetz 2013: Von Gnaden des Regulierers

Der Festnetzmarkt bleibt abhängig von der Bundesnetzagentur
Von

BNetzA-Präsident Jochen Homann BNetzA-Präsident Jochen Homann
muss 2013 wichtige Entscheidungen treffen
Foto: dpa
Eigentlich sollte man meinen, 15 Jahre nach der Deregulierung des Festnetzes schwindet der Einfluss der Bundes­netzagentur auf den Markt. Doch das ist mitnichten der Fall. Denn weiterhin befindet sich die wichtigste Festnetz-Ressource, nämlich das gute alte Kupferkabel-Telefonnetz, ganz überwiegend in der Hand eines Anbieters, der Deutschen Telekom. Die zunehmend wichtigeren Breitband­kabel-Anbieter verfügen zwar über alternative Infrastruktur, konkurrieren aber vor allem bezüglich der Leistung des Breitband­anschlusses. Die Telefontarife sind bei Kabel Deutschland & Co. ähnlich hoch wie bei der Telekom.

BNetzA-Präsident Jochen Homann BNetzA-Präsident Jochen Homann
muss 2013 wichtige Entscheidungen treffen
Foto: dpa
Immerhin hat der DSL-Discounter Easybell die durch die jüngste Senkung der IC-Entgelte zum Mobilfunk aufgetane Marktlücke genutzt und einen günstigen DSL-Tarif inklusive Telefonie-Flatrate in alle deutschen Netze (Festnetz und Mobilfunk) kreiert. Sollten solche Angebote aber nicht bald deutlich zahlreicher werden und vor allem auch bei den großen Breitband-Providern auftauchen, dann ist der Regulierer gefragt. Eine naheliegende - und zugleich bewährte - Maßnahme wäre, die Verpflichtung zum Angebot von Call by Call nicht nur der Telekom aufzuerlegen, sondern allen Anbietern von Vollanschlüssen mit erheblicher Marktmacht. Die Stimmen in diese Richtung werden lauter, und das nicht nur von den Call-by-Call-Anbietern selber, die hier aus Eigennutz Lobbyarbeit betreiben, sondern zum Beispiel auch von der Deutschen Telekom, die Chancengleichheit mit den Kabelnetzen fordert.

Vom Handy aus gibt es zwar auch kein Call by Call, jedoch ist dort die Situation insofern anders, als Kosten und Zeitaufwand für den Anbieterwechsel sich auf ein paar Euro und ein paar Minuten für den SIM-Karten-Tausch beschränken. Es gibt inzwischen zahlreiche auf die jeweilige Zielgruppe zugeschnittene Discounter-SIMs, von günstigen und einfachen Minutenpreisen national, über günstige Minutenpreise international bis hin zu zahlreichen Flatrates für einzelne oder mehrere in- und ausländische Netze. Zwar ist kein Anbieter überall hin günstig; Nutzer haben aber durch die Wahl eines geeigneten Tarifs die Möglichkeit, zumindest für ihre wichtigsten Gesprächsziele die Kosten zu optimieren. Die größten durch die Prepaid-Discounter nicht entschärften Handy-Kostenfallen - Roaming und Anrufe zu Service-Nummern - sind zumindest innerhalb der EU durch gesetzliche Preisobergrenzen teilweise entschärft worden. Von daher ist es durchaus vorstellbar, dass eine künftige Marktbeurteilung der Bundesnetzagentur ein Marktversagen bei den Kosten für Fremdnetz- und Auslandstelefonate im Festnetz feststellt, jedoch nicht vom Handy aus.

Die Neudefinition des Festnetzes

Noch schwieriger wird für den Regulierer die Entscheidung zum VDSL Vectoring. Dieses ändert fundamental die Logik hinter dem Festnetz. Statt als viele einzelne Kabel, die jeweils zu einem bestimmten Kunden führen, wird das Festnetz mit Vectoring als ein geteiltes Medium betrachtet, das N Sender (auf Seiten der Vermittlungsstelle oder des Kabelverzweigers, an dem eingespeist wird) mit N Empfängern (in den Haushalten) verknüpft. Bei niedrigen Frequenzen, wo das Übersprechen zwischen den Adern im Kabel noch gering ist, gilt weitgehend eine 1:1-Zuordnung wie bisher auch: Das niederfrequente Signal für Empfänger 765 wird also überwiegend in Sender 765 eingespeist, und nur zum kleinen Teil in andere Sender. Je höher die Frequenz und damit auch das Übersprechen wird, desto mehr Signalanteile müssen jedoch in die anderen Sender eingespeist werden. Dies erfolgt durch Analyse des Verhaltens des Kabelbaums genau so, dass sich die einzelnen Signalanteile beim gewünschten Empfänger (hier: 765) bestmöglich addieren, bei allen anderen Empfängern hingegen bestmöglich gegenseitig unterdrücken. Im Ergebnis können hohe Frequenzen - und damit hohe Bitraten - viel besser zum Endkunden übertragen werden als bei klassischem DSL und VDSL.

Im Mobilfunk sind ähnliche Technologien unter den Begriffen MIMO (N Antennen beim Sender und N Antennen beim Empfänger ermöglichen insgesamt fast die N-fache Datenrate auf ein- und derselben Frequenz) und Beam-Forming (N Antennen beim Sender; N Empfänger mit je einer Antenne und zusammen im Optimalfall ebenfalls zusammen N-facher Datenrate) bereits erfolgreich im Einsatz.

Vectoring verspricht somit hohe Bitraten zu überschaubaren Investitionen. Zwar muss die Technik, an die ein Telefonkabel anbieterseitig angeschlossen ist, komplett ausgetauscht werden. Doch die Kabel selbst können in der Erde bleiben, und auch kundenseitig werden in der Regel wohl keine neuen Modems benötigt werden. Die ganze Magie der Signalaufteilung (Downstream) bzw. Signal­zusammenfassung (Upstream) passiert ja in der Vermittlungsstelle beziehungsweise im Kabelverzweiger.

Alle Anschlüsse auf einmal

Jedoch verlangt Vectoring, dass in der Vermittlungsstelle alle Adern eines Kabels auf die Vectoring-Sendestation aufgeschaltet werden, und nicht nur die Adern der jeweiligen Kunden, die die zugehörigen Leistungen beziehen. Jedes Adernpaar, das weggelassen wird, schmälert die Vectoring-Leistung, und wenn auf dem Adernpaar gar ein alternatives DSL-Signal liegt, dann bewirkt es auch noch unkontrollierte Störungen für das Vectoring-Bündel. Die bisherige Entbündelung, bei der jedes einzelne Adernpaar der Teilnehmeranschlussleitung (kurz: TAL) nach Bedarf einzeln zu Telekom-Konkurrenten wie Vodafone umgelegt wurde, wenn der Kunde den Anbieter wechselte, ist nicht mehr praktikabel.

Statt "pro Endkunde" dürfte bei Vectoring künftig das Konkurrenzmodell "pro Vermittlungsstelle" bzw. "pro Kabelverzweiger" gelten. Einen Teil ihrer Vermittlungsstellen darf die Telekom also selbst mit Vectoring aufrüsten, einen anderen Teil wird sie an die Konkurrenz übergeben müssen. Fundamental ist die Frage, nach welchem Schlüssel die Vermittlungsstellen zugeteilt werden: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst? Nach einem Verteilverfahren? Nach dem Losverfahren? Oder werden die Vectoring-Rechte gar versteigert, wie bisher schon Funkfrequenzen? Hier muss die Bundesnetzagentur bald eine Entscheidung treffen, um den Vectoring-Markt nicht insgesamt zu behindern. Und sie muss zugleich eine möglichst gute Entscheidung treffen, um die Konkurrenz im Festnetz weiterhin stark zu halten, und um eine Remono­polisierung zugunsten der Telekom zu verhindern.

15 Jahre nach der Deregulierung hängt der Festnetz-Markt mehr vom Regulierer ab als je zuvor. Ohne ihn könnte die wichtigste anstehende Innovation nicht erfolgen. Wenn sie doch ohne ihn erfolgte, dann wahrscheinlich auf Kosten einer Remono­polisierung. Zugleich ist im Festnetz die Wettbewerbsintensität bei Sprachtelefonie auf den wahrscheinlich niedrigsten Stand seit 1999 oder 2000 gefallen. Zwar enthalten (fast) alle modernen Breitband-Anschlüsse eine Festnetz-Flatrate; für andere Gesprächsziele sind die Preise aber tendenziell überteuert. Hier sind teils deutliche Ausweichtendenzen der Nutzer zu sehen: So verwenden viele auch zu Hause ihr Handy, um andere Handys anzurufen - weil es einfach billiger ist als vom Festnetz-Telefon aus.