Interview

Wegen Nutzerdaten: hr-Intendant neidisch auf Netflix

Er gilt als Digi­tal­experte in der ARD und startet jetzt an der Spitze des Hessi­schen Rund­funks. Wie Florian Hager auf den Strea­ming-Konkur­renten Netflix blickt und was er in dem ARD-Sender nun angehen will.
Von dpa /

Neuer Intendant des Hessischen Rundfunks im Interview Neuer Intendant des Hessischen Rundfunks im Interview
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Digital, digital, digital: Florian Hager hat in der ARD schon viele Projekte ange­schoben und war zuletzt für das wohl wich­tigste des Sender­ver­bunds verant­wort­lich: Ausbau der Media­thek. Nun startet er als neuer Inten­dant des Hessi­schen Rund­funks (hr). Im Inter­view der Deut­schen Presse-Agentur sprach der 45-Jährige darüber, warum er ein biss­chen neidisch auf Netflix ist und warum er auf Wetter und Wirt­schaft setzt.

Frage: Der ARD wird immer wieder vorge­worfen, dass sie auf aktu­elle Nach­rich­ten­lagen zu schwer­fällig reagiert. Mit dem Ausbau des ARD-Nach­rich­ten­sen­ders tages­schau24 will man Brea­king-News-Lagen besser in den Griff bekommen. Der Krieg in der Ukraine ist trau­rige Feuer­taufe für die Pläne. Ihr Eindruck?

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Antwort: Ich finde, dass der gesamte öffent­lich-recht­liche Rund­funk seit letztem Donnerstag früh auf allen Platt­formen zu jeder Zeit seinem Auftrag absolut gerecht wird. Die Kolle­ginnen und Kollegen liefern richtig gute Qualität ab, um uns zu erklären, was dort Unfass­bares passiert. Wir befinden uns eben auch in einem Infor­mati­ons­krieg, der vor allem über die sozialen Medien geführt wird. In Situa­tionen wie dieser zeigt es sich, wie eminent wichtig es ist, eigene Infor­mati­ons­quellen am Ort des Gesche­hens zu haben und trans­parent zu machen, was wir nicht wissen oder nicht über­prüfen können.

Frage: Lassen Sie uns einen harten Schnitt machen und auf Ihren Start als neuer Inten­dant des Hessi­schen Rund­funks schauen. Was sind für Sie die wich­tigsten Punkte, wenn Sie die Moder­nisie­rung des hr vor Augen haben?

Antwort: Es geht auf jeden Fall nicht darum, Inno­vati­ons­geschichten hinaus­zupo­saunen, um zu signa­lisieren: Wir haben verstanden. Inno­vati­ons­theater können wir uns beim hr nicht leisten. Da spielt die schwie­rige Finanz­situa­tion mit hinein. Es geht um die Umset­zung von vielem, was bereits ange­stoßen wurde. Hierbei gilt es, zwei­gleisig zu fahren: Ich muss keinem mehr im Sender erzählen, dass es wichtig ist, in die digi­tale Welt aufzu­bre­chen, um unserem Auftrag gerecht zu werden, und ein Angebot an alle zu machen. Gleich­zeitig wissen wir, dass wir immer noch sehr viele Menschen mit linearen Programmen errei­chen. Und dass wir dafür die Struk­turen und die Unter­neh­mens­kultur Schritt für Schritt weiter­ent­wickeln müssen. Es wird extrem wichtig, das jetzt auf die Straße zu bekommen und möglichst alle zu begeis­tern.

Frage: Wie würden Sie für Leute, die nicht in Hessen wohnen, den hr beschreiben? Uns fällt ein: Wetter, Börse und der schräge Murot-"Tatort". Reicht das aus?

Antwort: Die DNA der ARD und damit auch des hrs ist die Regio­nalität. Wir verstehen uns als Medi­enhaus in und für Hessen und errei­chen aktuell werk­täg­lich 65 Prozent der Bevöl­kerung mit unseren Ange­boten. Dabei spielen natür­lich unsere Infor­mati­ons­ange­bote eine wich­tige Rolle. Allen voran hr-iNFO und die "Hessen­schau" als regio­nale Infor­mati­ons­marke auf allen rele­vanten Ausspiel­wegen.

Auch über die Landes­grenzen hinaus liefern wir einen sicht­baren Beitrag des hr in einer digi­talen ARD, die sich zum Inhalte-Netz­werk entwi­ckelt. Und da verant­wortet der hr unter anderem mit den von Ihnen erwähnten Themen­fel­dern Wetter und Wirt­schaft/Börse zwei abso­lute Zukunfts­themen, die wir weiter ausbauen wollen: Wirt­schaft als Teil von Gesell­schaft, neben den Börsen­werten die Auswei­tungen auf alle wirt­schaft­liche Felder bis hin zum Thema Nach­hal­tig­keit. Und beim Wetter von der konkreten Wetter­vor­her­sage bis hin zu einer konse­quenten Sicht auf den Klima­wandel: meteo­rolo­gisch, wirt­schaft­lich und poli­tisch. Und last but not least das Thema Kultur. Der hr wird bereits jetzt als einer der größten Kultur­för­derer in Hessen wahr­genommen, mit den Aushän­geschil­dern hr-Sinfo­nie­orchester und hr-Bigband. Darauf können wir stolz sein und aufbauen.

Frage: Was sind Ihre Lieb­lings­sen­dungen in der ARD und im hr?

Antwort: Ich persön­lich verorte mich eher im Doku­men­tari­schen, bin ein Infor­mati­ons­junkie und nutze situa­tions­bedingt eigent­lich von Insta­gram bis linearem Radio alle Medi­engat­tungen. Das gilt auch für die Ange­bote des hr. Aus meiner Zeit bei Arte, Funk und der Media­thek haben sich darüber hinaus sehr unter­schied­liche Formate in meiner Favo­riten­liste etabliert.

Frage: Die ARD funk­tio­niert manchmal wie die Bundes­länder - beim Finanz­aus­gleich ist das so. Finanz­stär­kere ARD-Häuser wie der West­deut­sche Rund­funk helfen dem Saar­län­dischen Rund­funk und Radio Bremen aus. Der hr steckt in einer ange­spannten finan­ziellen Lage. Sollte der Sender nicht besser auch zur Gruppe gehören, die von anderen Häusern gestützt wird?

Antwort: Das Ziel ist, den hr so aufzu­stellen, dass er auch über 2024 hinaus eigen­ständig und entwick­lungs­fähig bleibt. Dazu setzen wir auf Syner­gie­effekte inner­halb der ARD-Gemein­schaft - gerade auch in programm­fernen Berei­chen und durch die Möglich­keiten, die uns die Digi­tali­sie­rung bietet. Darüber hinaus ist ein Ausbau von Einzel­part­ner­schaften bei konkreten Projekten wichtig. Die schon bestehenden Koope­rationen mit dem SWR oder dem ZDF bei infra­struk­turellen Themen sind schöne Beispiele und sollen ausge­baut werden.

Frage: Sie haben mit Ihrer Arbeit stark auf die ARD-Media­thek gesetzt. Was ist Ihnen in der Zeit als Channel-Manager nicht gelungen? Sind Sie auf Netflix neidisch?

Florian Hager Florian Hager
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Antwort: Wir haben in der ARD erkannt, dass wir mit unserer "Fixie­rung" auf Sende­plätze in einem fort­lau­fenden Programm nicht mehr alle Menschen errei­chen. Die komplexen Produk­tions­pro­zesse dahin­gehend weiter­zuent­wickeln - damit haben wir gerade erst ange­fangen.

Weil Sie Netflix ange­spro­chen haben: Ich bin über­zeugt davon, dass in der Platt­for­möko­nomie nicht mehr nur der Inhalt im Mittel­punkt steht, sondern auch die Bezüge wichtig sind. Und da reden wir von Daten. Deswegen ist in Zukunft neben dem Inhalt der Kontext mindes­tens genauso wert­voll, weil wir ohne diesen und ohne die entspre­chenden Daten die Kunden­bezie­hung nicht lang­fristig aufbauen können. Da hinken wir Netflix hinterher und da bin ich ein biss­chen neidisch.

Aber ich glaube, dass wir trotzdem einen Vorteil gegen­über diesen Platt­formen haben, weil wir diesen Drei­klang spielen können von linearen Ange­boten, die ja noch extrem erfolg­reich sind, eigenen digi­talen Ange­boten und Präsenz auf Dritt­platt­formen - wenn wir uns da im Öffent­lich-Recht­lichen als Netz­werk verstehen und das auch so leben.

Frage: Daten­schutz hat etwas mit Vertrauen zu tun...

Antwort: Je mehr Perso­nali­sie­rung Sie wollen, desto mehr Daten müssen Sie preis­geben. Ich würde da gerne als öffent­lich-recht­licher Anbieter etwas selbst­bewusster vorgehen: Wer, wenn nicht wir, geht sauber mit diesen Daten um? Wir legen daten­schutz­recht­lich ganz bewusst höchste Maßstäbe an uns selbst. Hier würde ich mir deshalb noch ein wenig mehr Frei­heiten wünschen. Das Thema Vertrauen ist darüber hinaus ganz gene­rell ein wich­tiges, um auch in einer immer digi­taleren Welt unseren Auftrag erfüllen zu können.

Frage: Sie haben mit dem Aufbau des digi­talen Ange­bots Funk von ARD und ZDF für jüngere Leute vor Jahren einen großen Wurf hinge­legt. Rück­bli­ckend: Wie viel Wider­stand gab es gegen dieses Projekt?

Antwort: Klar gab es erst einmal intern und extern große Wider­stände gegen ein rein digi­tales, neues Angebot dieser Größen­ord­nung. Das Gute: Die Lern­kurve war für alle Betei­ligten sehr steil. Wir konnten all unsere Erkennt­nisse - zur Ziel­grup­pen­ori­entie­rung, zur Format­ent­wick­lung im digi­talen Umfeld oder zu neuen Arbeits­weisen - mit allen Häusern teilen. Das war und ist heute noch für ARD und ZDF ein echter Gewinn, davon profi­tieren wir sehr.

Frage: Sie gelten als Mr. Erneue­rung im öffent­lich-recht­lichen Rund­funk. Wie oft tragen Sie noch Krawatte?

Antwort: Mir ist der Anzug durchaus ange­nehm. Ich brauche keine Krawatte, um Auto­rität rüber­zubringen. Aber ich muss jetzt auch nicht zwin­gend jugend­lich wirken und die Krawatte weglassen. Bei einer früheren Inten­dan­ten­sit­zung, bei der ich in meiner bishe­rigen Funk­tion dabei war, hatte ich Anzug und Krawatte an und war dann der Einzige ohne Turn­schuhe.

Frage: Sie sind aber für alle der Flo, oder?

Antwort: Ich habe mir meinen Spitz­namen nicht ausge­sucht. Das ist über die Jahre entstanden und das werde ich jetzt wohl auch nicht mehr wegkriegen. Ich kann aber durchaus verstehen, wenn mich Menschen lieber siezen möchten. Ich komme mit beidem sehr gut klar und denke, das wird sich über die Zeit jeweils ergeben.

Zur Person: Florian Hager startet am Dienstag (1. März) als neuer Inten­dant des Hessi­schen Rund­funks (hr). Er ist Nach­folger von Manfred Krupp, der in den Ruhe­stand geht. Davor war Hager bereits in einer weiteren wich­tigen Schlüs­sel­posi­tion für die ARD tätig. Der 45-Jährige betreute als Channel-Manager die Weiter­ent­wick­lung der ARD-Media­thek. Er ist schon Jahr­zehnte in mehreren Funk­tionen für den öffent­lich-recht­lichen Rund­funk tätig. So baute er auch das digi­tale Jugend­angebot Funk von ARD und ZDF auf. Hager wurde in Aalen in Baden-Würt­tem­berg geboren.

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