Details zum Netzstart

Digitalminister Wissing: 1&1-Netzstart ist historischer Tag

Mit ausge­wählten Gästen aus Politik und Zulie­ferern star­tete 1&1-Chef Ralph Dommer­muth sein eigenes mobiles Netz mit O-RAN-Technik.
Aus dem 1&1-Hauptquartier in Montabaur berichtet

Der Netz­start von 1&1 fand gestern im 1&1-Haupt­quar­tier in Monta­baur statt, unweit des ICE-Bahn­hofes, der dem Ort einen gewal­tigen Schub gegeben hat, wie Digi­tal­minister Volker Wissing im Gespräch mit teltarif.de verriet. Bemer­kens­wert: Zur Einwei­hung gab es eine Video­bot­schaft des japa­nischen Premier­minis­ters Fumio Kishida, der seinem Stolz auf das japa­nische Unter­nehmen Rakuten (ausge­spro­chen "Racke-ten" in schnellem Tempo) Ausdruck verlieh. Die Regie­rung von Japan begrüße, dass erst­malig Technik aus Japan in Europa einge­setzt werde. Rakuten Chef Mickey Miki­tani war sogar höchst­per­sön­lich extra nach Monta­baur gekommen. Gesonderter Eingang zum Netzstart-Event bei 1&1 in Montabaur Gesonderter Eingang zum Netzstart-Event bei 1&1 in Montabaur
Foto: Henning Gajek / teltarif.de

Dommer­muth: Wie alles anfing

Der Reihe nach: Firmen­gründer, Unter­nehmer und CEO Ralph Dommer­muth, erklärte in seiner Ansprache in einer sehr lockeren Atmo­sphäre, wie es zum "eigenen Netz" von 1&1 gekommen sei.

Martin Witt, der seine Karriere einst bei T-Systems begannn, später bei Debitel die Hard­ware- und Technik-Abtei­lung leitete und in seiner weiteren Funk­tion als 1&1-Chef auch Präsi­dent des VATM war, hatte 2018 bei Dommer­muth ange­rufen und ihn auf die bevor­ste­hende Frequenz­ver­stei­gerung für 5G hinge­wiesen.

Dommer­muth bekannte offen, erst gar nicht verstanden zu haben, was Witt da genau vorschlug. Witt holte sich fach­kun­dige Bera­tung durch einen ehema­ligen CTO eines großen Netz­betrei­bers, dessen Urteil: "Das ist hoch­ris­kant, aber machbar", lautete. Also wurde die Idee eines "eigenen Netzes" zunächst als "Plan B" in Betracht gezogen und dann doch reali­siert. (Was Plan A war, verriet Dommer­muth nicht.)

Nachdem klar war, dass es ein "eigenes Netz" werden sollte, schaute man sich auf dem Welt­markt um, mit welcher Tech­nologie das möglich wäre. Das Team stieß in Japan auf das Open-RAN-Konzept, das hier nur "O-RAN" genannt wird. Gut gelaunt: v.l.: Mikitani (CEO Rakuten), D.Schmitt (Wirtschaft RLP), V. Wissing (DigitalMin.), R. Dommermuth (CEO 1&1) Gut gelaunt: v.l.: Mikitani (CEO Rakuten), D.Schmitt (Wirtschaft RLP), V. Wissing (DigitalMin.), R. Dommermuth (CEO 1&1)
Foto: Henning Gajek / teltarif.de

1&1 profi­tiert von den Erfah­rungen von Rakuten

Dabei kann 1&1 von den Erfah­rungen von Rakuten in dessen eigenem Netz in Japan profi­tieren. O-Ran gibt es welt­weit noch in den USA (bei "Dish"). 1&1 hat das erste Netz in Europa gestartet, welches exklusiv diese Technik einsetzt. 2021 wurde dazu mit Rakuten ein umfang­rei­cher Vertrag aufge­setzt, Rakuten über­nimmt die System- und Soft­ware-Inte­gra­tion.

Das Konzept sieht vor, dass die soge­nannten Edge-Rechen­zen­tren maximal 10 Kilo­meter von einem Sende­masten entfernt sein dürfen, damit die Latenzen für Daten nur 0,5 ms betragen. Dommer­muth kündigte für nächstes Jahr neue "Echt­zeit-Anwen­dungen" in den Rechen­zen­tren an.

5G-Core von Mavenir

Das ameri­kani­sche Unter­nehmen Mavenir liefert 1&1 den notwen­digen "5G-Core", worin alle wich­tigen Kern-Funk­tionen eines Netzes (Nutzer­daten­bank, Verschal­tung der Verbin­dungen) reali­siert werden. Mavenir ist in der Tele­kom­muni­kati­ons­branche inzwi­schen kein Unbe­kannter mehr. Auch Deut­sche Telekom, Voda­fone und o2-Telefónica setzen auf diesen Anbieter aus Richardson, Texas, USA.

Orts­fester Netz­start Ende 2022

Schließ­lich wurde das eigene Netz von 1&1 Ende 2022 gestartet, war aber zunächst nur mit Hilfe eines 5G-Routers (der von AVM kommt), und nur von zu Hause an bestimmten Orten nutzbar. Der nächste Schritt: Seit dem 7. Dezember 2023 hat o2 das Natio­nale 5G-Roaming für 1&1 frei­geschaltet.

Zunächst "krachend geschei­tert"

Mit den ersten 1000 Stand­orten sind wir "krachend geschei­tert", gab Dommer­muth vor laufenden Kameras unum­wunden zu, aber an dem Ziel, 50 Prozent der Haus­halte bis 2030 zu errei­chen, will er fest­halten. Das seien etwa 12.600 Antennen. Aktuell könne er 500 Antennen pro Quartal aufbauen. Dabei gibt es noch eine gewal­tige Heraus­for­derung: "Alle Antennen müssen per Glas­faser ange­bunden werden, mit Richt­funk funk­tio­niert die Archi­tektur nicht", stellte Dommer­muth klar. Das bedeutet, bis alle Stationen wirk­lich laufen, wird es noch eine Weile dauern.

1&1, betonte Dommer­muth mehr­fach, habe immer als ein Team gehan­delt. Der Traum vom eigenen Netz wurde schritt­weise erfüllt, die Firma habe Hunderte und Tausende Wider­stände über­winden müssen. Dommer­muth dankte Martin Witt und seinem Team ausdrück­lich, "ohne die Mitar­beiter wäre das alles nicht möglich gewesen."

Chef ist enga­giert und inter­essiert

Geduldig erklärte 1&1-Chef Dommermuth den internationalen TV-Teams Funktion und Prinzip seines eigenen Mobilfunknetzes Geduldig erklärte 1&1-Chef Dommermuth den internationalen TV-Teams Funktion und Prinzip seines eigenen Mobilfunknetzes
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
Insider berich­teten gegen­über teltarif.de, dass Dommer­muth von seinen Mitar­bei­tern zu Weih­nachten ein Smart­phone (Samsung Galaxy Z Flip 5) geschenkt bekommen habe. Bisher hatte er demnach noch ein älteres Nokia-Mobil­telefon (nicht inter­net­fähig) verwendet. Das Geschenk werde von Dommer­muth intensiv genutzt. Er probiere vieles im Netz aus und stelle viele Fragen: "Warum ist das so und warum geht das so nicht?"

Beob­achter berichten, dass alle Vorgänge im Unter­nehmen über den Schreib­tisch des Chefs laufen, der es sich trotz eines inten­siven Tages­pro­gramms am Frei­tag­abend nicht nehmen ließ, noch etwa drei Stunden zu einer Betriebs­weih­nachts­feier seines Unter­neh­mens an einem anderen Standort weiter zu fahren, um auch dort seinen Mitar­bei­tern zu danken und den Start zu feiern.

Infor­mative Webseite

Dommer­muth stellte seine neue Webseite vor, die Konfi­gura­tions­hin­weise für alle mögli­chen (oft schon aus dem Hersteller-Support heraus­gefal­lenen) Modelle enthält, wie sie mit dem neuen Netz genutzt werden können. Darin habe man viel Zeit inves­tiert.

Bis 2030 Netz, wo Menschen leben oder arbeiten

Viele glauben, 5G sei nur Spielerei. TV-Teams setzen heute schon drauf Viele glauben, 5G sei nur Spielerei. TV-Teams setzen heute schon drauf
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
Digi­tal­minister Volker Wissing stellte noch mal die Bedeu­tung und die Vorteile von 5G vor, etwa im Rettungs­wesen, wo die Daten des Pati­enten schon unter­wegs ins Kran­ken­haus über­mit­telt werden können, oder die intel­ligente Vernet­zung zur Opti­mie­rung von Fahrt­routen oder die Fern­war­tung in der Indus­trie.

Und weiter: Das volle Poten­zial werde noch gar nicht genutzt. Wissing wieder­holte das Ziel der Politik: Bis 2030 soll es überall, wo Menschen leben oder arbeiten Netz geben.

Digi­tal­minister Wissing sichert Unter­stüt­zung zu

Minister Wissing: "Wir haben den Netzausbau spürbar beschleunigt, das wird auch im Ausland schon anerkannt." Minister Wissing: "Wir haben den Netzausbau spürbar beschleunigt, das wird auch im Ausland schon anerkannt."
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
Der Minister findet es gut, dass es einen "vierten voll­wer­tigen Netz­betreiber" gibt. Ein Netz­betreiber könne eigene Produkte entwi­ckeln. Es sei "span­nend", das erste O-RAN-Netz in Europa zu haben. Dazu brauche man gute Kondi­tion, einen langen Atem, müsse gut trai­niert sein und über umfang­reiche Erfah­rung verfügen. Wissing lobte die "frucht­bare Koope­ration zwischen Deutsch­land und Japan". Eines Tages werde der 8. Dezember als "histo­risch" ange­sehen werden: "Danke, dass Sie den mutigen Schritt gehen. Bleiben Sie Inno­vati­ons­treiber."

Unter­stüt­zung des Landes Rhein­land-Pfalz

Die rhein­land-pfäl­zische Wirt­schafts­minis­terin Daniela Schmitt zeich­nete die Lauf­bahn von Dommer­muth nach: Mitte der acht­ziger Jahre hatte er eine Bank­aus­bil­dung durch­laufen und 1988 die Firma "1&1 EDV & Marke­ting" gegründet. Dabei habe er seine Wurzeln nie vergessen oder verlassen, es sei ein großer Tag für 1&1, ein großer Meilen­stein. "Digi­tale Infra­struktur ist wichtig, ist ein entschei­dender Stand­ort­faktor." Bei 1&1 arbeiten über 3000 Beschäf­tige, davon alleine 1500 in Monta­baur. Die Minis­terin sicherte die volle Unter­stüt­zung der Landes­regie­rung zu.

Mickey Miki­tani (Rakuten): Viele haben es nicht geglaubt

Mickey Miki­tani, Gründer und Chef von Rakuten, war sicht­lich stolz: "Viele glaubten nicht, dass das funk­tio­niert. Wir bieten unli­mitierten Speed und Volumen und erlauben neue Geschäfts­modelle."

Neue Produkte, neue Technik: Frage der Sicht­weise

Im Rahmen der Hinter­grund­gespräche tauchte der Vergleich mit Elon Musk und den anfangs grau­samen Spalt­massen bei Tesla auf, während Musk eher auf seinen Elektro-Motor verwies. Auch wenn man Dommer­muth und Musk nicht verglei­chen könne, 1&1 bringe ein neues Netz und eine neue Tech­nologie in den Markt und setze ein Zeichen.

Eine Einschät­zung (von Henning Gajek)

Ich muss ehrlich zugeben, ich war anfangs von der Idee, zu den drei mehr oder weniger löch­rigen Mobil­funk­netzen noch ein viertes nagel­neues Netz dazu zu erhalten, nicht begeis­tert. 1&1-CEO Ralph Dommer­muth hat ein anderes Konzept: "Wir werden nie autark sein", erklärte er den verblüfften Jour­nalisten in die Mikro­fone, "sondern immer mit anderen Netz­betrei­bern zusam­men­arbeiten, um alle Kunden errei­chen zu können". Darin steckt viel Realismus, weil ein vier­facher Ausbau auch der einsamsten Flecken völlig unrea­lis­tisch wäre. Die Idee von O-RAN folgt dem Trend immer neue Funk­tionen in Soft­ware zu gießen, die sich schneller als Hard­ware ändern lässt.

Ralph Dommer­muth ist ein Unter­nehmer, der auf den Rat seiner Mitar­beiter hört. Das ist heut­zutage nicht unbe­dingt üblich. Nachdem er von der Idee des eigenen Netzes über­zeugt worden war, hat er als gelernter Bank­kauf­mann gerechnet und fest­gestellt, wie das Sinn ergeben kann.

Was hier­zulande kaum regis­triert wurde, ist, welche große Bedeu­tung die Verwen­dung von Open RAN (pardon O-RAN) in Deutsch­land für Japan hat. Zu den tech­nisch bril­lanten, aber poli­tisch umstrit­tenen Produkten aus China gibt es auf einmal eine Alter­native und es eröffnet sich ein neues Ökosystem für neue und bekannte Hersteller. Das tut der Branche sicher gut.

Für die 1&1-Kunden ändert sich im Augen­blick erst einmal wenig bis gar nichts. Sie werden im Hinter­grund in ein neues Vermitt­lungs-Netz umge­schaltet, und können dieses und nächstes Jahr weiter das gewohnte o2-Telefónica-Netz nutzen, viel­leicht sogar erst­malig mit 5G. Dazu bekommen Kunden an 60-70 Stand­orten noch bessere 5G-Versor­gung vor Ort dazu. Es werden einige weitere Stationen dazu kommen.

Das nächste Datum wird die Umschal­tung ins Netz von Voda­fone sein, das bis dahin die notwen­dige Technik im eigenen Netz aufbauen und einrichten muss. Dann kann es in einzelnen Fällen dazu kommen, dass Kunden, die bisher von o2 versorgt wurden, mit Voda­fone kein Netz haben und solche Fälle könnten häufiger als bisher sein. Voda­fone könnte aber auch durch­starten und diese Funk­löcher stopfen, bevor es zu Problemen kommt.

Seit Freitag ist klar: Die Politik steht hinter Dommer­muth, einem Unter­nehmer, der den Mut und die Hart­näckig­keit besitzt, den Traum vom eigenen Netz durch­zuziehen. Das gefällt der Politik, die eine Wirt­schaft im stän­digen Wett­bewerb möchte. Für sein Konzept wurde Ralph Dommer­muth lange belä­chelt oder nicht ernst genommen. Bezeich­nen­der­weise wurden zum Netz­start keine Vertreter der "Netz-Liefe­ranten" o2-Telefónica oder Voda­fone gesichtet, auch seitens der Deut­schen Telekom war kein Abge­sandter zu sehen. Dafür kann 1&1 nicht nur die Sende­türme von Vantage-Towers, sondern auch von American Towers (ATC), die sonst o2 "versorgen", nutzen.

Mit der Schüt­zen­hilfe aus Berlin und Mainz kann 1&1 derweilen sein eigenes Netz weiter auf- und ausbauen. Der Trend ist heute schon erkennbar: Ein Anbieter, der von der Sende­antenne bis zum Handy alles selbst macht, ist "old school". Jetzt sind Platt­form-Anbieter gefragt, die ihre Dienste jedem anbieten können, der sie buchen und bezahlen will: Die Sende­sta­tionen vom Anbieter A, die Turm­stand­orte vom Anbieter B, die Dienst­leis­tungen Kunden­kon­takt und Service von 1&1 oder einem anderen güns­tigeren Anbieter aus dem Dril­lisch-Universum. Dazu gibt es viele neue Dienste, die in "Echt­zeit" nicht nur für Indus­trie und Gewerbe, sondern auch für Endkunden inter­essant werden können.

Wir sollten uns auf allerlei Über­raschungen gefasst machen. Aber: Wir sollten vom neuen Netz keinen Preis­sturz erwarten. Dafür sind auch deut­liche Preis­stei­gerungen aktuell sehr unwahr­schein­lich.

In einer weiteren Meldung lesen Sie einen Über­blick zum aktu­ellen Mobil­funk­ausbau.