Zukunft

Selbstfahrer-Systeme im Auto werden wichtiger als der Motor

In Zukunft werden Autos noch stärker Teil der vernetzten Welt. Für Impulse dazu hat VW den Apple-Manager Johann Jungwirth zu sich gelotst. Der hält Partnerschaften zwischen neuer IT- und alter Autowelt für nötig.
Von dpa /

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Johann Jungwirth hat Innovationen bei Apple vorangetrieben, seit November soll er im VW-Auftrag die Zukunft der digitalisierten Mobilität gestalten. Ein erstes Signal dabei: Vor kurzem kaufte sich VW für 300 Millionen Dollar beim Fahrtenvermittler Gett ein - ein Konkurrent von Uber. Über welche weiteren Stationen die Reise gehen könnte, umreißt Jungwirth im dpa-Interview.

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Johann Jungwirth (43) lenkt im VW-Konzern den neu geschaffenen Fachbereich Digitalisierungsstrategie. Europas größter Autobauer verpflichtete ihn zum 1. November 2015 - inmitten der Diesel-Krise. Zuvor war Jungwirth, intern "Jay Jay" genannt, Manager und Entwickler bei Apple im kalifornischen Cupertino. Davor arbeitete er für Daimler und forschte vom Silicon Valley aus am autonomen Fahren sowie an Elektroantrieben, Telematik und Fragen der Interaktion zwischen Mensch und Maschine in vernetzten Fahrzeugen. Jungwirth wurde in Reußmarkt (Rumänien) geboren, studierte Elektrotechnik in Baden-Württemberg und ist Diplom-Ingenieur.

Frage: Reicht ein Uber-Klon, und schon ist man im Zukunftsspiel dabei?

Antwort: Unser Ansatz ist viel breiter: Auf dem Weg in die Zukunft der Mobilität gibt es viele andere Mobilitätsservices, etwa ein Airbnb für Fahrzeuge - wir nennen das intern auch Community Car. So denken wir zum Beispiel darüber nach, den Kunden unserer Konzernmarken eine Plattform und einen digitalen Schlüssel dafür anzubieten, dass sie ihr Fahrzeug teilen, verleihen oder für weitere Services nutzen können. Denn privat gehaltene Fahrzeuge stehen in der Regel 23 Stunden am Tag irgendwo ungenutzt herum - das ist doch schade. Aber wenn mein Auto in dieser Zeit ein bisschen Geld für mich verdienen könnte, wäre das nicht schlecht.

Frage: Diese Konzepte sind bekannt. Was macht VW da einzigartig? Wenn es nur um Mobilität geht, ist es doch egal, ob im Toyota oder im VW?

Antwort: Das sehe ich ganz anders. Denn beim klassischen Autobesitz spielen die Marken nach wie vor eine enorme Rolle, weil Autos hoch emotionale Produkte sind. Und selbst wenn Lenkrad und Pedale einmal ganz verschwinden, macht das Marken noch lange nicht austauschbar. Wir haben zum Beispiel eine Konzeptdesign-Vision für einen selbstfahrenden Bentley - ein rollendes Luxus-Wohnzimmer, das ist der Wahnsinn! Die vielen Konzernmarken werden sich auch im autonomen Zeitalter bestens differenzieren können.

Frage: Wo könnten die Marken mit ihren Konzepten denn Platz finden?

Antwort: Es wird da ganz neue Möglichkeiten geben. Wir müssen nur kreativ sein. Zum Beispiel wird die Fokussierung auf den Blick der Passagiere in Fahrtrichtung mit dem voll automatisierten Fahren entfallen. Wir könnten neben Luxus-Lounges und autonomen Pods für den Stadtverkehr mit unterschiedlicher Ausstattung und Größe auch Kino-Autos bauen oder rollende Wellness- und Fitnessräume. Ich bin sicher: Das wird hoch emotional und alle unsere Marken werden ihren Platz finden. Wie bei Häusern: Vom Reihenhaus bis zur Luxusvilla.

Frage: Und wo bleibt für A nach B der Anspruch von "Volks"-wagen?

Antwort: Genau das ist Volkswagen, wir können mit selbstfahrenden Fahrzeugen auf Abruf den Transport demokratisieren und soziale Mobilität erhöhen. Damit können alle Menschen, auch Menschen ohne Führerschein, Alte, Kranke, Kinder und Blinde in den Genuss von individueller Mobilität kommen. Wir haben das für Berlin durchsimuliert. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die Kosten pro Kilometer bei unseren Konzepten für gebuchte Mobilität-on-Demand nach Bedarf auf das Niveau vergleichbar mit den Kosten für den klassischen privaten Besitz eines Fahrzeugs reduziert werden können.

Frage: Ein Horror für die Taxiindustrie und Fahrlehrer, oder?

Antwort: Das ist in der Tat eine große Veränderung.

Frage: Wo wir gerade beim Tod sind: Stirbt der Motor als Auto-Herz?

Antwort: Motoren und auch Fahrwerke als wesentlich bestimmende Teile der Fahrdynamik sicherlich nicht, denn wie wichtig Unterscheidungsmerkmale bleiben, habe ich ja schon erklärt. Aber ich denke, das bei uns zu entwickelnde selbstfahrende System - also das, was den Fahrer ersetzt und Autos automatisch und in drei bis fünf Jahren sogar ganz fahrerlos fahren lassen wird in den ersten Städten - das wird zum neuen Herzstück des Autos im 21. Jahrhundert werden. Und da hat der Zwölf-Marken-Konzern Volkswagen einen Riesenvorteil, denn wir müssen dieses System nur einmal entwickeln - für alle Marken und Anwendungsgebiete.

Frage: Das machen die Apples und Googles dieser Welt auch. Und die kaufen einfach bei Autozulieferern wie Magna oder Continental, was sie brauchen. Wer gewinnt dieses Rennen, wird es Allianzen geben?

Antwort: Ich glaube, es wird verschiedene Partnerschaften geben. Wir haben 300 Millionen US-Dollar in Gett investiert. Die sind schon die Nummer Eins in Europa. Ich finde es klug und richtig, nicht alles selber zu machen. Und auch beim Thema selbstfahrendes System wird es verschiedene Kombinationen geben: Bei Google etwa sehen wir das ja schon mit den ersten Automobilherstellern als Partner [Anmerkung: Mit Fiat-Chrysler]. Man ist aufeinander angewiesen.

Frage: Gilt das auch für die Autobauer untereinander? Beim Kauf des Kartendienstes Nokia-Here sehen wir schon eine deutsche Allianz.

Antwort: Eindeutig Ja, bei bestimmten Themen, etwa wenn es um Karten und Daten geht oder um die Kommunikation mit der Infrastruktur. Wir kreieren mit Here einen gemeinsamen Location-Index, man könnte es auch einen Realitäts-Index nennen. Es gibt Daten, die sind herstellerspezifisch, aber es gibt auch viele Gemeinsamkeiten dabei. Und da müssen wir teilweise herstellerübergreifend arbeiten, allein schon um den größtmöglichen Nutzen für alle Autofahrer zu schaffen - etwa wenn es um Glatteiswarnungen geht oder Nadelöhre am Stauende.

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