Joyn: "Unsere Formate dürfen auch mal polarisieren"
Corona hat viele Produktionen bei Streaming-Diensten ausgebremst. Das betrifft auch Joyn, dennoch bleibt der Fokus in München weiterhin beim Thema Eigenproduktionen. Im Gespräch mit unserer Redaktion erläutert Geschäftsführerin Katja Hofem, was die Zuschauer in den kommenden Monaten erwartet.
teltarif.de: Frau Hofem, die Corona-Krise ist nach wie vor eine große Bewährungsprobe für Wirtschaft und Gesellschaft. Während beispielsweise Kinos buchstäblich ums Überleben kämpfen, profitieren Amazon und Netflix vom Umstand, dass die Menschen nun zuhause bleiben. Wie kommt Joyn durch die Krise?
Joyn-Geschäftsführerin Katja Hofem
Foto: Joyn GmbH
Katja Hofem: Die aktuelle Situation ist für uns alle herausfordernd. Zum einen haben auch wir als Streaming-Anbieter vor allem in den Monaten April und Mai eine höhere Nutzung unseres Angebots verzeichnen können. Menschen hatten mehr Zeit zuhause zur freien Verfügung und sehnten sich nach Unterhaltung und Abwechslung. Zum anderen hatten auch wir mit Verzögerungen bei Anlieferung und Postproduktion, sowie mit Drehabbrüchen bei unseren Eigenproduktionen zu kämpfen. Wir waren gezwungen, neue, innovative Wege zu gehen, um Content-Nachschub zu garantieren. Daraus entstanden grandiose Formate wie beispielsweise "Coras House of Love", wo wir gerade bereits eine weitere Staffel rund um Promi-Lady Claudia Obert produzieren. Alle Film- und Fernsehschaffenden halten in dieser Krise zusammen und arbeiten gemeinsam daran, die Branche am Laufen zu halten.
teltarif.de: Es gab bei Ihnen kürzlich eine interessante Neuerung. Ihr Geschäftspartner Discovery Networks hat Tele 5 von Leonine übernommen. Damit ist der Sender nun auch Teil des Live-TV-Angebots von Joyn. Außerdem hat Discovery einen längerfristigen Output-Deal mit Leonine geschlossen. Wie kann Joyn davon profitieren?
Katja Hofem: Wir freuen uns immer über neuen Content oder auch Sender, die über unseren starken Shareholder den Weg zu Joyn finden. Wir setzen auf Partnerschaften in jeder Form. Erst kürzlich haben wir mit Red Bull TV eine weitere starke Marke in unserem Portfolio ergänzt.
teltarif.de: Im Rahmen der Münchner Medientage äußerte sich unter anderem der ehemalige RTL-Chef Gerhard Zeiler zum Streaming. Seine Worte haben durchaus Gewicht, denn er verantwortet heute beim US-Konzern WarnerMedia das internationale Geschäft. Der Tenor war: Joyn und TVNOW haben eigentlich keine Chance gegen die US-Streamer, weil schlicht das Geld fehlt. RTL und ProSiebenSat.1 sollten sich lieber auf den Lizenzhandel konzentrieren und die US-Medienkonzerne mit lokalen Inhalten versorgen. Wie bewerten Sie diese Aussage?
Katja Hofem: Herr Zeiler hat etwas sehr Entscheidendes dabei ignoriert. Joyn ist nicht angetreten, um die US-amerikanischen Streaming-Anbieter zu ersetzen. Wir haben ein ganz anderes Bestreben. Wir möchten der lokale Streaming-Anbieter Nummer 1 werden und für unsere User als Aggregator für ihre liebsten Inhalte dienen. Unsere "Hyperlokalität" ermöglicht es uns, Originals mit Lokalkolorit zu produzieren. Wir können mit Dialekten und eigenwilligen Klischee spielen, da unsere Eigenproduktionen nur für den lokalen Markt produziert sind. Wir bieten unseren Nutzern authentische, lokale Inhalte, in denen sie sich wiederfinden und die ein Gefühl der Zugehörigkeit vermitteln. Darüber hinaus sind wir offen für Partnerschaften und decken dadurch mit unserem Live-TV-Angebot bereits knapp 70 Prozent des deutschen Marktes ab. Wir bündeln verschiedenste Mediatheken, sodass der Joyn User auch eine großartige Auswahl an VoD-Inhalten auf unserer Plattform findet. Und unsere Eigenproduktionen behalten wir deshalb lieber auf unserer eigenen Plattform.
teltarif.de: Man könnte natürlich den Spieß auch umdrehen. Haben Sie bei Herrn Zeiler schon angeklopft und gefragt, ob Warner seine Sender wie TNT Film, TNT Serie und TNT Comedy in Deutschland nicht über Joyn verbreiten möchte?
Katja Hofem: Wir sind stets auf der Suche nach spannenden Partnern für unsere Plattform und sind offen für eine Vielzahl an Partnerschaften. Mehr möchte ich an dieser Stelle nicht verraten.
teltarif.de: Beim Thema Lizenzen sieht es allerdings für die Konkurrenz auch nicht sonderlich gut aus. Beispielsweise musste Sky auf viele beliebte Disney-Inhalte verzichten, weil der Micky-Mouse-Konzern einen eigenen Streamer startete. Und auch die Partnerschaft mit Warner/HBO dürfte wegen HBO Max nicht für die Ewigkeit gemacht sein. Bei Ihnen laufen immerhin noch viele Inhalte von ViacomCBS. Wie sieht es hier für die Zukunft aus?
Katja Hofem: Aktuell haben wir verlässliche Geschäftsbeziehungen mit allen wichtigen US-Studios. Wir bauen aber natürlich auch weiterhin unser eigenes Portfolio an Originals aus. Außerdem haben wir mit unseren Shareholdern zwei sehr zuverlässige Contenthäuser mit tollen Inhalten im Rücken. Das stimmt mich zuversichtlich, dass wir auch zukünftig bei Joyn und Joyn PLUS+ ein erfolgreiches und hochwertiges Content-Portfolio anbieten können.
teltarif.de: Eine Strategie europäischer Medienunternehmen gegen die US-Konkurrenz sind unter anderem eigene europäische Koproduktionen. Sky investiert hier stark mit seinen Originals und nutzt z.B. Synergien mit Sky Italia. Schauen Sie sich nach Partnern um?
Katja Hofem: Bereits bei der Content-Akquise bzw. -Entwicklung denken wir darüber nach, wer ein potenzieller Partner für die entsprechende Produktion sein könnte. Unsere erste internationale Koproduktion fand beispielsweise mit dem chilenischen Sender Mega zu "Dignity" statt. Und das bereits direkt zum Start unseres Angebots im Juni 2019. Darüber hinaus haben wir "MAPA" gemeinsam mit dem rbb umgesetzt. Aktuell produzieren wir "Blackout" in Zusammenarbeit mit W&B Television und Sat.1.
teltarif.de: ProSieben-Senderchef Daniel Rosemann hatte vor einiger Zeit angekündigt, den Anteil an eigenproduzierten bzw. lokalen Inhalten ausbauen zu wollen, um sich stärker von der Konkurrenz abzugrenzen. Gilt diese Strategie bei ProSiebenSat.1 nur für das lineare Fernsehen oder auch für Joyn?
Katja Hofem: Wie schon erwähnt, ist es wichtig, in eigene Marken zu investieren. Das gilt für das lineare TV, genauso wie für eine Streaming-Plattform. Und dann macht’s die Mischung. Wir sind ein junges Unternehmen und möchten ein breites und abwechslungsreiches Entertainment-Angebot bieten. Mit unseren Originals haben wir bereits starke, eigene Marken wie "jerks" oder "Frau Jordan stellt gleich" aufgebaut. Darüber hinaus geben wir mit Serien wie "Stichtag" oder "Das Internat" aber auch jungen Talenten eine Chance - und mutigen, neuen Ideen eine Plattform. Unsere Reality-Formate wie "M.O.M" dürfen auch mal polarisieren - und damit unsere Inhalte und Themen ins Gespräch bringen. Solche Formate sind sehr wichtig für uns. Gleichzeitig bieten wir Lizenzformate wie klassische US-Fiction, um auch bewährtes Comfort Binging zu ermöglichen. Darüber hinaus reichern wir unsere Plattform mit den Inhalten unserer Content-Partner an, die unterschiedlicher nicht sein können. Große lineare Marken, die schon eine breite Fanbase haben, funktionieren in der Regel auch sehr gut auf Joyn. Dadurch schaffen wir eine Plattform, wo der User je nach Lust und Laune genau das richtige für sich finden kann.
teltarif.de: Welche größeren inhaltlichen Projekte planen Sie im kommenden Jahr?
Katja Hofem: Das Jahr startet sehr unterhaltsam im Auftrag der Liebe mit unserer Reality-Show "Claudias House of Love", darauf folgt die Coming-of-Age-Serie "Katakomben" und die vierte Staffel unserer Erfolgsserie "jerks". Gegen Ende des Jahres hoffen wir bereits die High-End-Produktion "Blackout" mit Moritz Bleibtreu in der Hauptrolle auf unserer Plattform verfügbar zu machen.
teltarif.de: Das Konzept von Joyn war von Anfang an auch auf eine intuitive und simple Nutzung ausgelegt. Mit dem Registrierungsprozess via 7Pass gibt es nun zumindest eine unschöne Hürde für potenzielle Nutzer. War das wirklich unvermeidbar?
Katja Hofem: Aufgrund lizenzrechtlicher Vorgaben unseres Content-Partners ProSiebenSat.1 ist für die Nutzung entsprechender Inhalte eine kostenfreie Registrierung notwendig. Diese Vorgaben setzen wir selbstverständlich um. Wir möchten die Nutzung von Joyn aber natürlich weiterhin intuitiv und simpel gestalten, durch die Registrierung über 7Pass haben User ab sofort auch die Möglichkeit, sich ganz einfach über Social-Media einzuloggen. Die Registrierung verbessert die Nutzererfahrung sogar. Dadurch ist es uns möglich personalisierte Empfehlungen, zusätzliche Features wie Lesezeichen und Cross-Device-Nutzung anzubieten.
teltarif.de: Unsere Redaktion hatte die Angebote von Zattoo, Waipu TV und Joyn kürzlich noch einem Test unterzogen. Vor allem im Bereich Usability der Nutzeroberfläche als auch bei den Umschaltgeschwindigkeiten schien es noch Verbesserungsbedarf zu geben. Auch wirkte es so, als ob das Live TV in der App gegenüber den SVoD-Inhalten in den Hintergrund rückt. Welche Strategie verfolgen Sie hier und welche technischen Verbesserungen sind noch geplant?
Katja Hofem: Live-TV ist eine wichtige Säule unseres Angebots. Knapp die Hälfte der Nutzung auf unserer Plattform findet dort statt. Erst kürzlich haben wir dort die Auswahlmöglichkeitn "Sport-Sender" integriert, um so eine bessere Übersichtlichkeit der Sender zu ermöglichen. Darüber hinaus integrieren wir Live-TV-Highlights auch in unserer Hero-Lane, sodass aktuelle Live-Events prominent platziert sind und leicht gefunden werden können. Wir hören dabei auf die Stimmen unserer Community und freuen uns über Verbesserungsvorschläge und Anregungen. Wir arbeiten kontinuierlich an unserer Plattform und daran Joyn für unsere Nutzer noch besser zu machen.
teltarif.de: Discovery hat den weltweiten Start eines eigenen Streaming-Dienstes angekündigt. Welche Auswirkungen hat dies auf das Joint Venture mit ProSiebenSat.1 bezüglich Joyn in Deutschland?
Katja Hofem: Der erwähnte Streaming-Dienst ist eine globale Initiative von Discovery und entspricht deren internationaler Strategie, den Fokus noch stärker auf Direct-to-Consumer-Angebote zu setzen. Hier in Deutschland hat Discovery gemeinsam mit ProSiebenSat.1 mit Joyn bereits ein erfolgreiches und starkes OTT-Angebot auf dem Markt. Joyn bleibt weiterhin das wichtigste Direct-to-Consumer-Angebot für Discovery auf dem deutschen Markt, in das sie gemeinsam mit ProSiebenSat.1 weiter investieren werden. Unsere Shareholder sind nach wie vor von ihrer Zusammenarbeit überzeugt, sodass der Weiterentwicklung und dem Ausbau unserer Plattform nichts im Wege steht.
teltarif.de: Frau Hofem, vielen Dank für das Gespräch.
Zur Person: Katja Hofem
Katja Hofem war bis 2006 Programmleiterin bei RTL 2. Als Co-Geschäftsführerin von Discovery Communications in Deutschland verantworte sie den Sender DMAX. Bei der ProSiebenSat.1 Media SE leitete Hofem den Frauensender Sixx und übernahm im Anschluss die Geschäftsführung von Kabel Eins. 2016 wechselte sie als Chief Operating Officer in das Management von ProSiebenSat.1 TV Deutschland und verantwortete als Geschäftsführerin der ProSiebenSat.1 TV Deutschland den Bereich Small Channels sowie New Channel Development. 2019 folgte schließlich der Wechsel in die Geschäftsführung von 7TV bzw. nunmehr Joyn GmbH.
In einem weiteren Interview sprachen wir mit Susanne Aigner von Discovery über die Pläne für den deutschen Markt.