Rückblick

20 Jahre UMTS: Wegbereiter für mobiles Internet

Vor 20 Jahren freute sich der Bundes­finanzminister: Er bekam etwa 51 Mrd. Euro (100 Mrd. D-Mark) an Lizenz­gebühren aus der UMTS-Verstei­ge­rung. Was hat's gebracht?
Teltarif war von Anfang an dabei. Es berichtet

Am 18. August endete die legen­däre UMTS-Frequenz-Verstei­ge­rung in Mainz, die am 31. Juli 2000 gestartet war. Am Ende dieser denk­wür­digen Auktion standen 100.000.000.000 DM (51 Milli­arden Euro) auf der Uhr. Sechs Lizenzen wurden wie Schul­zeug­nisse vergeben.

Neben der Deut­schen Telekom/T-Mobile („D1“), Mannes­mann Mobil­funk („D2“) heute Voda­fone, Audi­to­rium S.A./E-Plus (heute Teil von o2), VIAG Interkom (heute o2), Mobilcom-Multi­media (damals gemeinsam mit France Télécom, heute Orange) bot die Group 3G, ein Joint-Venture von Telefónica Spanien und der Finni­schen Telekom, die dann die Marke „Quam“ erfanden. Der Bieter Debitel (damals noch ohne Mobilcom) stieg bei etwa 1 Milli­arde Mark aus der Auktion unbe­schadet aus.

Eindrücke aus Mainz

Die Bundesnetzagentur in Mainz. Vor 20 Jahren Schauplatz der 100 Milliarden Mark Auktion Die Bundesnetzagentur in Mainz. Vor 20 Jahren Schauplatz der 100 Milliarden Mark Auktion
teltarif.de
teltarif.de-Redak­teur Henning Gajek war damals in Mainz live vor Ort und erin­nert sich: Die Auktion war beendet. Vertreter der 6 Lizenz­ge­winner wurden gebeten nach Mainz zu kommen, wo in einer Feier­stunde die Urkunden vor Pres­se­ver­tre­tern über­geben werden sollten.

Vor dem Gebäude der Bundes­netz­agentur waren viele Schau­lus­tige versam­melt, darunter auch einige Demons­tranten, die gegen die mögliche Strah­len­be­las­tung durch UMTS protes­tierten. Als erstes traf ein Fahr­zeug mit dem dama­ligen T-Mobile und späteren Telekom-Chef René Ober­mann ein, begleitet von seinem Spre­cher Philipp Schin­dera. Ober­mann gab den anwe­senden Jour­na­listen noch auf der Straße Inter­views zur Frage, was man mit 3G anfangen werde, um dann nach drinnen zu gehen.

Ihm folgte Jürgen von Kucz­kowski, damals Chef von Mannes­mann D2-Privat, der mit seinen weißen Haaren wie ein weit gereister, erfah­rener Regie­rungs­chef wirkte und sich erst die Mikro­fone zurecht­rückte, bevor er vor laufenden Kameras zu Proto­koll gab, dass diese Lizenz gewiss nicht billig gewesen sei, man damit aber viel vorhabe.

Nun entstand eine Pause und Horst Lenn­artz, Technik Chef von E-Plus konnte an den Jour­na­listen uner­kannt vorbei zum Eingang gelangen, wo ihn der dama­lige Chef der Regu­lie­rungs­be­hörde Scheu­erle mit den Worten „Mein Beileid“ empfing. Was war geschehen? Aus dem Bieter-Konsor­tium „Audi­to­rium“ (E-Plus und andere) war der HongKonger Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­mogul Li Ka-shing („Three“‘/“Drei“) offenbar wenige Minuten vor Ende der Auktion ausge­stiegen. Angeb­lich, ohne einen einzigen Pfennig bzw. Cent Anteil an den gigan­tisch rund 8 Milli­arden Euro teuren Lizenz­kosten bezahlt zu haben.

Sehe­ri­sche Fähig­keiten

Wieder gab es eine Pause, bis ein Mini-LKW mit dem Aufdruck VIAG Interkom versuchte, vor der Netz­agentur einzu­parken. Das erregte die Aufmerk­sam­keit der zahl­rei­chen TV- und Radio­jour­na­listen und schaffte eine Bühne für Maxi­mi­lian von Ardelt, damals der Chef von VIAG Interkom. Ardelt klet­terte aus dem Fahr­zeug und schimpfte sofort in die laufenden Kameras: „Ihr seid ja total verrückt! So viel Geld für ein paar Blätter Papier. Das werden unsere Enkel noch merken!“

Drinnen zeigte Gerhard Schmidt (Mobilcom) seine Urkunde wie ein gutes Schul­zeugnis. "Ich habe es immer gesagt, ich werde eine Lizenz haben", freute er sich. Und die Vertre­terin der Group 3G war völlig über­rum­pelt. "Yes, we have a license. Oh..."

Der Weit­blick des Maxi­mi­lian Ardelt

Maximilian Ardelt, 1994-2000 im Vorstand VIAG AG, bewies Weitblick. Maximilian Ardelt, 1994-2000 im Vorstand VIAG AG, bewies Weitblick.
Foto: Picture Alliance / dpa
VIAG-Interkom-Chef Maxi­mi­lian von Ardelt behielt mit seiner Vorher­sage am Ende Recht. Die viel zu teuren Lizenzen lagen der Branche sehr lange im Magen und sorgten schnell für eine gigan­ti­sche Markt­be­rei­ni­gung, die bis in die heutige Zeit andauern sollte.

Die Seifen­blasen von Mobilcom-Multi­media

Der fünfte Lizenz­in­haber Mobilcom-Multi­media hatte bei E-Plus eine Lizenz als virtu­eller Netz­be­treiber (MVNO) gelöst und ging test­weise nur mit eigenen Mitar­bei­tern unter der Vorwahl 01566 an den Start. Doch schnell wurde klar, dass die Kosten für Lizenz und den notwen­digen Netz­aufbau den Rahmen sprengen würden. Beim Geld­geber France Télécom (heute Orange), die Mobilcom-Gründer Gerhard Schmidt nur deswegen beigesprungen waren, weil der Chef des fran­zö­si­schen Staats­kon­zerns damals ein persön­li­ches Problem mit dem Deut­sche Telekom Chef Ron Sommer hatte, wurde noch einmal nach­ge­rechnet.

Das klare Ergebnis: „Raus hier!“ Bundes­kanzler Gerhard Schröder musste den Fran­zosen klar­ma­chen, dass sie die Kosten dieses Aben­teuers zu über­nehmen hätten. Die Arbeits­plätze bei der Mobilcom-Unter­neh­mens­gruppe konnten gerettet werden und Gerhard Schmidt wurde aus seinem Unter­nehmen „hinaus kompli­men­tiert“.

"Quatsch aus München" - Quam

Das 6. Joint-Venture „Group 3G“ (Tele­fo­nica und die finni­sche Sonera) star­teten unter höchster Geheim­hal­tung unter dem Marken­namen „Zoom“, um dann in der Öffent­lich­keit als „Quam“ aufzu­treten. Auch hier gab es ein Roaming-Abkommen bei E-Plus und das Netz star­tete mit der Vorwahl 01505. Eine chao­ti­sche Orga­ni­sa­tion, kardi­nale Fehler beim Vertrieb und die anfäng­liche Nicht­er­reich­bar­keit des Quam-Netzes aus anderen deut­schen Netzen lösten bei der Telefónica (Spanien) bald die Entschei­dung aus, sofort die Notbremse zu ziehen. Alle Kunden­ver­träge wurden gekün­digt, alle Karten und das rudi­men­täre Netz abge­schaltet und abge­baut. Der ehema­lige Geschäfts-Partner, die finni­sche Sonera, schrammte haar­scharf ein einer gigan­ti­schen (Staats-)Pleite vorbei und rettete sich in die Arme der schwe­di­schen Telia unter Telia-Sonera. (Nach­trag: 2016 benannte sich TeliaSonera in Telia um. 2017 wurde der Marken­name "Sonera" auch in Finn­land komplett still­ge­legt.)

Da waren es noch vier, am Ende dann noch drei

Geblieben waren zunächst vier Anbieter, von denen sich die zwei Newcomer E-Plus und VIAG die ganze Zeit schwer­taten, ein halb­wegs flächen­de­ckendes Netz in Deutsch­land aufzu­bauen. Eigent­lich war schnell klar, dass nur eine Fusion von E-Plus und VIAG Interkom/o2 die Lage retten könnte, aber es brauchte fast 10 Jahre, bis alle Fragen und persön­li­chen Befind­lich­keiten geklärt waren.

Hoff­nungs­träger und Geld­quelle

Damals im Jahr 2000 galt UMTS, die dritte Mobil­funk­ge­nera­tion, als Hoff­nungs­träger für ein neues mobiles Zeit­alter. Von den meisten belä­chelt, wurde in Videos und auf Bildern die heutige Realität vorher­ge­sagt: Mobiles Arbeiten, wo man möchte, sofern es dort Netz gibt. Vernet­zung von Geräten, Maschinen und Menschen - das selbst­ver­ständ­lichste der Welt.

Die dama­lige Euphorie fütterte die Bereit­schaft, unend­lich viel Geld auszu­geben. Gefreut hat sich der dama­lige Finanz­mi­nister Hans Eichel, der UMTS als „Unerwar­tete Mehrein­nahmen zur Tilgung von Staats­schulden“ umin­ter­pre­tierte. Aber: Das 100-Milli­arden-Mark-Rekord­ergebnis im Sommer 2000 hemmte den Netz­ausbau in Deutsch­land über Jahre, denn das Geld dafür war ja schon weg.

Und diese Auktion setzte nicht nur den Start­punkt für das mobile Internet, sondern auch für eine teure, von vielen Teil­neh­mern als folgen­schwer kriti­sierte Frequenz­po­litik in Deutsch­land.

YouTube-Video: Von 2G bis 5G: Eine Zeit­reise

Bei der 2000er-Auktion, in der ein vergleichs­weise kleines Frequenz­paket von kommer­ziell nutz­baren sechsmal 2x10 MHz zu Höchst­preisen unter den Hammer kam, sollte es nicht bleiben. Es folgten weitere teure Auktionen, um das Mobil­funk­spek­trum für das wach­sende Daten­vo­lumen zu erwei­tern. Immerhin erreichten die Verstei­ge­rungen der Frequenzen für LTE in 2010 und 2015 sowie 5G in 2019 nicht die spek­ta­ku­läre Höhe wie im Jahr 2000.

Viel Geld für viel Papier

Insge­samt, so rechnet es beispiels­weise Telefónica Deutsch­land (o2) vor, haben die deut­schen Netz­be­treiber in den vergan­genen 20 Jahren mehr als 65 Milli­arden Euro nur in Lizenzen inves­tiert – mehr als die Netz­be­treiber im glei­chen Zeit­raum in den eigent­li­chen Netz­ausbau inves­tierten. Und bei den Kollegen von der Telekom oder Voda­fone gibt es sicher­lich keinen Wider­spruch.

Eine Studie der Mobil­funk­welt­or­ga­ni­sa­tion GSMA gibt o2 eindeutig Recht: Länder mit hohen Frequenz­kosten verfügen über eine schlech­tere Netz­ver­sor­gung als Länder mit nied­rigen Lizenz­ge­bühren. o2 zieht daraus den Schluss: Hätte das gesamte Geld direkt in die Infra­struktur (Sende­sta­tionen, Netz­technik) fließen können, könnte schon heute in jedem Winkel Deutsch­lands ein Hoch­ge­schwin­dig­keits­netz verfügbar sein. Kritiker fragen sich aller­dings, ob das Geld komplett inves­tiert oder auch in Form von Divi­denden ausbe­zahlt worden wäre.

Verlän­gern statt verstei­gern

Markus Haas, seit 1998 bei VIAG Interkom und heute CEO von o2, kennt den Markt so gut, wie wenige Andere. Er wieder­holt seine Forde­rung : „Es ist drin­gend an der Zeit, in der Frequenz­po­litik neue Wege zu gehen und den flächen­de­ckenden Ausbau der digi­talen Infra­struktur in Deutsch­land mit aller Kraft voran­zu­treiben.“ Und weiter: „Es geht um nichts weniger als die digi­tale Zukunft des Wirt­schafts­stand­orts Deutsch­land. Deshalb sollten wir Bestands­fre­quenzen verlän­gern, statt sie zu verstei­gern.“ Mit dem neuen geplanten TKG könnte sein Wunsch erfüllt werden, viel­leicht.

Die teuren Verstei­ge­rungen erschweren den Netz­ausbau aber nicht nur wegen der Milli­arden, die sie der Branche entziehen. Noch heute lasten die Frequenz­kosten für UMTS in Millio­nen­höhe als jähr­liche Abschrei­bungen auf der Gewinn- und Verlust­rech­nung der betei­ligten Unter­nehmen. Telefónica Deutsch­land (o2) hatte nach der Fusion mit E-Plus zwei UMTS-Lizenzen im Bestand. Im Ergebnis tragen diese Abschrei­bungen zu wieder­holten bilan­zi­ellen Netto­ver­lusten und Verlust­vor­trägen in Milli­ar­den­höhe bei. Erst Ende 2020 werden diese Abschrei­bungen nach Ablauf der Nutzungs­rechte auslaufen.

UMTS als Türöffner für die digi­tale Welt

3G ist out - 4G und 5G übernehmen die Frequenzen 3G ist out - 4G und 5G übernehmen die Frequenzen
Foto: teltarif.de
Hoff­nungen auf Wachstum wurden an UMTS geknüpft. Die Tech­no­logie sollte den Kunden die Tür zu einer völlig neuen digi­talen Welt aufstoßen. Es sollte nicht mehr nur um Tele­fonie, sondern auch um die mobile Inter­net­nut­zung gehen. Dann platzte erst einmal die Inter­net­blase und erst 2004 gab es Geräte und passende Tarife. Kunden trauten sich langsam, von unter­wegs online zu gehen, E-Mails zu versenden oder Fotos zu teilen.

Das machte Mobil­funk endgültig zu einem Massen­markt-Phänomen, das mit dem nächsten Stan­dard 4G (=LTE) den rich­tigen Schub bekam. Wieder hat es gedauert, bis nach der LTE-Auktion im Jahre 2010 das erste 4G-Smart­phone zwei Jahre später in den Handel kam. Der Sprung von 3G zu 4G verstärkte den Kunden­nutzen: Wo es gute und stabile 4G-Versor­gung gab, ließen sich Musik und hoch­auf­lö­sende Videos auf einmal mobil ruck­el­frei streamen. Seitdem schießt die Daten­nut­zung expo­nen­tiell in die Höhe. Lag das mobile Daten­vo­lumen laut Bundes­netz­agentur im Aukti­ons­jahr 2015 noch bei 575 Millionen Giga­byte, betrug es in 2019 bereits rund 2,8 Milli­arden Giga­byte.

Beispiels­weise jeder zweite Privat­kunde in Deutsch­land ist heute im o2-Netz unter­wegs. o2 erhebt daher den Anspruch, die meisten mobilen Daten im Land zu trans­por­tieren: In 2019 waren es rund eine Milli­arde Giga­byte. Oder anders: Je mehr o2 sein Netz ausbaut und verstärkt, desto viel mehr nutzen es die Kunden. Manche Kunden glauben daher fälsch­li­cher­weise, dass o2 gar nichts ausbauen würde.

20 Jahre nach der UMTS-Auktion ist völlig klar: Mobil­funk ist aus dem Alltag nicht mehr wegzu­denken. Es hat sich zur kriti­schen Infra­struktur entwi­ckelt hat. Und das geht auf 3G zurück.

Neue Zeiten­wende: 5G

Heute stehen die Netz­be­treiber erneut vor einer Zeiten­wende. Für o2 beispiels­weise geht es um Inves­ti­tionen von etwas mehr als vier Milli­arden Euro. Das Unter­nehmen möchte dafür die letzten Lücken mit LTE schließen und 5G einzu­führen. Auch die Telekom und Voda­fone haben mit 5G große Pläne und sind längst damit gestartet, während o2 noch darüber nach­denkt, wann und wo es los geht.

Als Geschwin­dig­keit werden bis bei 5G im Moment zu 20 GBit/s und eine Verzö­ge­rungs­zeit von bis hinunter zu einer Milli­se­kunde ange­peilt. 5G soll der Wirt­schaft und Gesell­schaft neue Möglich­keiten bieten. Eine Million Geräte pro Quadrat­ki­lo­meter können mitein­ander verbunden werden. Indus­tri­elle Herstel­lung und Logistik sowie smarte Lösungen für Mobi­lität und Groß­städte sollen mit 5G effi­zi­enter, güns­tiger und nach­hal­tiger werden.

Der Wunsch nach dieser allum­fas­senden Konnek­ti­vität ist groß. Erst­mals kamen erste 5G-Geräte bereits kurz nach der Auktion auf den Markt. UMTS als ursprüng­li­cher Treiber dieser Digi­ta­li­sie­rung wird nun Schritt für Schritt von den leis­tungs­fä­hi­geren Tech­no­lo­gien 4G (LTE) und 5G abge­löst. Telekom, Voda­fone und o2 planen, die bisher für 3G genutzten Frequenzen bis spätes­tens 2022 umzu­widmen, sprich 3G wird dann Stück für Stück ausge­schaltet. Die Kunden müssen ihren Gerä­te­park aktua­li­sieren. Im Gegenzug können sie dann von einem besseren Netz und einem "digi­talen Erlebnis" profi­tieren, das die dama­ligen Erwar­tungen an UMTS bei weitem über­treffen wird.

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