Rückblick

Jubiläum: 30 Jahre World Wide Web für alle

Viele Bausteine des digi­talen Lebens stammen aus den USA, vom Internet-Proto­koll TCP/IP über die ersten Personal Computer bis hin zum iPhone. Der Grund­stein für das World Wide Web (WWW) aber nicht.
Von dpa /

Tim Berners-Lee bei einer CERN-Veranstaltung im Jahr 2019 Tim Berners-Lee bei einer CERN-Veranstaltung im Jahr 2019
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Es gibt runde Jahres­tage, die man gar nicht oft genug feiern kann. Vor 30 Jahren, am 30. April 1993, stellte das Euro­päi­sche Kern­for­schungs­zen­trum Cern den Programm­code des World Wide Web (WWW) der Öffent­lich­keit zu Verfü­gung und begrün­dete damit einen beispiel­losen Sieges­lauf der Web-Tech­nologie. Als Geburtstag des Webs gilt aber auch der 6. August 1991, der Tag, an dem das Webkon­zept in einer Gruppe im Usenet veröf­fent­licht wurde. Oder die Tage um das Weih­nachts­fest 1990 herum, als der erste Webserver online ging.

Egal, welchen Jahrestag man begeht: Trei­bende Kraft hinter der Entwick­lung des WWW war der Brite Tim Berners-Lee, ein schnell spre­chender Physiker, der vor Ideen nur so spru­delt. Der Forscher arbei­tete damals am euro­päi­schen Kern­for­schungs­zen­trum Cern in Genf und wollte nicht nur seine eigenen Gedan­ken­gänge sortieren und vernetzen, sondern auch das berüch­tigte Infor­mations-Chaos am Cern in Grenzen halten.

Erstes Konzept stammte bereits von 1989

Im März 1989 hatte Berners-Lee bereits ein Papier veröf­fent­licht, in dem die Grund­sätze des Web vorge­stellt wurden: ein digi­tales Infor­mati­ons­netz, bei dem die Inhalte als univer­seller Hyper­text aufbe­reitet und mit anklick­baren Links vernetzt werden. Inner­halb weniger Monate entwi­ckelte Berners-Lee die dafür notwen­digen Kompo­nenten: URLs wie info.cern.ch für Web-Adressen, die Seiten­beschrei­bungs­sprache HTML für Web-Pages, das tech­nische Proto­koll HTTP für Links und das Konzept für einen Webbrowser.

Tim Berners-Lee bei einer CERN-Veranstaltung im Jahr 2019 Tim Berners-Lee bei einer CERN-Veranstaltung im Jahr 2019
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Aus der Chef­etage des Cern erhielt der Brite aller­dings zunächst wenig Unter­stüt­zung: "Vague but exci­ting" - "Vage, aber aufre­gend" lautete der hand­schrift­liche Kommentar seines Chefs Mike Sendall auf dem Titel­blatt des Memos. "Es gab kein Forum, von dem ich eine Antwort erwarten konnte. Nichts geschah", erin­nerte sich Berners-Lee später in seinem Buch "Der Web-Report".

Ein platt­form­über­grei­fende digi­tale Kommu­nika­tion war damals nicht nur für die Chefs des Cern schwer vorstellbar. Die Online-Welt bestand Ende der 80er Jahre noch aus abge­schot­teten Online-Diensten. In den USA buhlten Dienste wie CompuServe und AOL um Nutzer, in Deutsch­land unter­nahm die Bundes­post ab 1977 mit dem Bild­schirm­text (Btx) erste Schritte in die Online-Welt. 1992 zählte Btx-Chef Eric Danke aber nur rund 320.000 Teil­nehmer, obwohl der Dienst nach den ursprüng­lichen Prognosen längst ein Service mit mehreren Millionen Mitglie­dern hätte sein sollen. Besser lief es mit dem tech­nisch vergleich­baren System Minitel in Frank­reich, das in den meisten Haus­halten zu finden war. Doch weder Btx, noch AOL noch Minitel konnten die Inhalte auf ihren Platt­formen mit anderen Diensten einfach teilen.

Netscape als weit­ver­brei­teter Browser

Mit dem Word Wide Web sollte sich das radikal ändern. Doch bevor das Web sich tatsäch­lich inter­national durch­setzen konnte, bedurfte es noch einer Anschub­hilfe aus den USA. Dem Web von Tim Berners-Lee und seines Kollegen Robert Cail­liau fehlte noch ein rich­tiger Browser mit grafi­scher Benut­zer­ober­fläche für PCs, Macs und die in der Infor­matik übli­chen Unix-Work­sta­tions. Das Cern sah sich nicht in der Lage, diese Entwick­lung zu finan­zieren.

Diese Aufgabe über­nahmen dann Entwickler aus den USA. 1991 entstand von der Univer­sity of Cali­fornia in Berkeley der Browser ViolaWWW, der aber bald wieder in der Versen­kung verschwand. Ein rich­tiger Durch­bruch für die Web-Tech­nologie gelang dagegen dem Studenten Marc Andre­essen. Er entwi­ckelte vor 30 Jahren an der Univer­sity of Illi­nois den ersten Mosaic-Browser und machte sich später mit Netscape daran, seine Soft­ware zur führenden Online-Platt­form zu machen.

Aber auch der Netscape-Erfolg währte nicht ewig. Micro­soft-Gründer Bill Gates erkannte 1994 den Trend, rief zur Verfol­gungs­jagd auf und zettelte den "Browser-Krieg" an, in dem Netscape auf der Strecke blieb. Inzwi­schen ist auch der Internet Explorer von Micro­soft Geschichte. Der Browser-Markt wird seit über zehn Jahren von Google Chrome für den Desktop und Android-Smart­phones und Apples Safari für das iPhone domi­niert.

W3C: Gremium für Web-Stan­dar­disie­rung

Tim Berners-Lee ging 1994 in die USA, um am Massa­chu­setts Insti­tute of Tech­nology (MIT) das World Wide Web Consor­tium (W3C) zu gründen. In diesem Gremium werden unter seiner Leitung bis heute die tech­nischen Entwick­lungen des Webs stan­dar­disiert. Für seine Verdienste wurde der Brite von Königin Elisa­beth II. in den Ritter­stand erhoben und erhielt den Orden "Knight Commander of the Order of the British Empire". 1997 wurde er in den auf nur 24 Personen begrenzten "Order of Merit" aufge­nommen. Im Jahr 2009 erhielt Berners-Lee den Webby Award, die wich­tigste Auszeich­nung im Online-Bereich, für seine Lebens­leis­tung. Seit 2016 hat der Brite einen Lehr­stuhl an der Univer­sität Oxford. Reich wurde Berners-Lee durch seine Erfin­dung aller­dings nie.

Der Brite sorgt sich um seine Erfin­dung. Zum 30. Jahres­tages der Veröf­fent­lichung seines rich­tungs­wei­senden Papiers warnte er vor dem Daten­miss­brauch, Desin­for­mationen, Hass­rede und Zensur. Kritisch sieht Berners-Lee auch die Versuche, mit Hilfe von Block­chain-Technik eine nächste Gene­ration des Webs aufzu­bauen, in der es einfa­cher möglich sein soll, für Inhalte zu bezahlen. Krypto-Währungen wie Bitcoin seien "nur Speku­lation", sagte Berners-Lee in einem Inter­view mit dem Fern­seh­sender CNBC.

Rund sechs Prozent der Deut­schen haben noch nie das Internet genutzt. Beson­ders viele Komplett-Offliner gibt es in der Alters­gruppe der 65- bis 74-Jährigen.

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