ULD

Datenschützer: Adressen aller Bundesbürger im Umlauf (aktualisiert)

Politik will Datenmissbrauch nun einen Riegel vorschieben
Von AFP / Thorsten Neuhetzki

Nach Einschätzung des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz in Schleswig-Holstein (ULD) sind die Adressen "der gesamten bundesdeutschen Bevölkerung" für Marketingzwecke und Verkaufsakquisen im Umlauf. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, vagabundierten außerdem "etwa 10 bis 20 Millionen Kontodaten" illegal herum. Sie würden insbesondere von Call-Centern für dubiose Geschäftspraktiken genutzt, sagte ULD-Leiter Thilo Weichert. Die sensiblen Daten würden vor allem beim Telefonverkauf, bei Glücksspielen und Preisausschreiben, aber auch bei Verkaufsbörsen im Internet abgeschöpft.

Nach Einschätzung von Weichert stehen die Behörden bei der Aufdeckung des Datenskandals erst am Anfang. "Wir sehen jetzt immer mehr von der Spitze des Eisbergs", sagte er der "SZ". Wie die Zeitung weiter berichtet, ermittelt die Staatsanwaltschaft Köln mittlerweile aufgrund von Strafanzeigen gegen die in Dortmund und Köln ansässige Firma LottoTeam. Das Unternehmen soll dem Bericht zufolge aufgrund fingierter Verträge aus Call-Centern die Konten von Verbrauchern geplündert haben. "Wir haben ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugsverdachts eingeleitet", bestätigte Oberstaatsanwalt Günther Feld der "SZ". Er gehe davon aus, dass gegen die Firma zwischenzeitlich "überall in Deutschland Strafanzeigen vorliegen werden".

Die Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein, die den jüngsten Datenmissbrauch-Skandal aufgedeckt hatte, geht davon aus, dass vor allem in Wirtschaftsunternehmen Personendaten abgeschöpft werden. "Dazu braucht man nur ein bisschen IT-Kenntnisse und kriminelle Energie", sagte Sprecher Thomas Hagen der "SZ". Alle Branchen, in denen Daten gesammelt würden, seien von Datenklau-Skandalen bedroht.

Der Kieler Verbraucherschützer will dem Bericht zufolge auch belastbare Indizien dafür vorliegen haben, dass selbst unter Behörden ein illegaler Datenaustausch stattfindet. "Wenn sie ihr Auto beim TÜV angemeldet haben, steht doch meistens einige Wochen später die GEZ wegen der Anmeldung des Autoradios vor der Tür", sagte er.

Politiker aller Parteien wollen Gegenmaßnahmen ergreifen

Die große Koalition will dem ausufernden Handel mit persönlichen Daten nun einen Riegel vorschieben. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble werde sich nach seiner Rückkehr von den Olympischen Spielen mit Datenschutz-Experten treffen, kündigte ein Ministeriumssprecher am Mittwoch in Berlin an. Schäuble werde unter anderem mit den Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern und den zuständigen Aufsichtsbehörden über mögliche Gegenmaßnahmen sprechen. Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck forderte eine "Generalrevision" der geltenden Regelungen. Auf den Prüfstand gehörten der gesamte Datenschutz sowie der strafrechtliche Bereich, sagte Beck bei einem Besuch in Jena.

Verbraucherminister Horst Seehofer prach sich für eine rasche Gesetzesänderung aus. Ohne ausdrückliche Zustimmung der Betroffenen sollten persönliche Daten künftig nicht mehr weitergegeben werden dürfen. Dafür hatten sich bereits Bundesjustizministerin Brigitte Zypries und Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach eingesetzt. Wer mit Daten handele, müsse deren Nutzung dokumentieren, forderte Seehofer. Darüber hinaus sollten marktbeherrschende Firmen an Vertragsabschlüsse nicht mehr die Zustimmung zur Datenverwertung knüpfen dürfen.

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