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Chatkontrolle: Private Nachrichten & Verschlüsselung tot?

Anbieter von Messen­gern, E-Mail- und Chat-Diensten sollen gezwungen werden, alle privaten Nach­richten und Fotos auto­matisch nach verdäch­tigen Inhalten zu durch­suchen.
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Protest gegen die Chatkontrolle im Fußballstadion von Union Berlin Protest gegen die Chatkontrolle im Fußballstadion von Union Berlin
Foto: Picture Alliance/dpa
Mit einem mini­malen Zuge­ständnis hoffen die EU-Regie­rungen, nächste Woche eine Mehr­heit für das umstrit­tene "Chat­kon­trolle"-Gesetz zu erzielen. Darauf macht der Euro­paab­geord­nete Patrick Breyer (Piraten) aufmerksam.

Alle Nach­richten müssten durch­sucht und gemeldet werden?

Nach der vorge­schla­genen Verord­nung sollen Anbieter von Messen­gern, E-Mail- und Chat-Diensten gezwungen werden, alle privaten Nach­richten und Fotos auto­matisch nach verdäch­tigen Inhalten zu durch­suchen und der EU zu melden.

Wachs­wei­cher Kompro­miss?

Um eine Mehr­heit für diese "beispiel­lose Massen­über­wachung" zu errei­chen, schlug die EU-Rats­prä­sident­schaft am Dienstag vor, dass die Scanner zunächst nur nach zuvor klas­sifi­ziertem Mate­rial suchen und die noch weniger verläss­liche Tech­nologie zur Klas­sifi­zie­rung unbe­kannter Bilder oder Unter­hal­tungen einem späteren Stadium vorbe­halten bleiben soll.

Der vorge­schla­gene "Deal" solle von den Botschaf­tern disku­tiert werden und könnte nächste Woche von den Minis­tern ange­nommen werden. Protest gegen die Chatkontrolle im Fußballstadion von Union Berlin Protest gegen die Chatkontrolle im Fußballstadion von Union Berlin
Foto: Picture Alliance/dpa

Eindring­liche Warnung vor Chat­kon­trolle

Breyer, der sich als "digi­taler Frei­heits­kämpfer und Mitver­handler" des Vorschlags bezeichnet, warnte deut­lich vor den Folgen eines solchen "Deals":

"Erstens würde der vorge­schla­gene Text den Einbau von Über­wachungs­rou­tinen und Schwach­stellen in derzeit sicher Ende-zu-Ende verschlüs­selten Messenger-Apps wie WhatsApp oder Signal vorschreiben. Dies würde das Ende der sicheren Verschlüs­selung bedeuten, da wir nie sicher sein könnten, ob unsere Nach­richten oder Fotos an Personen weiter­geleitet werden, die wir nicht kennen und denen wir nicht vertrauen können. Das so genannte 'client-side scan­ning' würde entweder unsere Kommu­nika­tion grund­legend unsi­cher machen, oder die euro­päi­schen Bürge­rinnen und Bürger könnten WhatsApp oder Signal über­haupt nicht mehr nutzen, wie es die Anbieter bereits in Aussicht gestellt haben."

Zwei­tens, so Breyer weiter, würde das vorge­schla­gene wahl­lose massen­hafte Scannen der privaten Kommu­nika­tion von Millionen von Bürgern, die nicht einmal im Entfern­testen mit Straf­taten in Verbin­dung stehen, unwei­ger­lich von den Gerichten gekippt werden, wodurch die Hoff­nungen von Kindern oder Opfern völlig enttäuscht würden.

Wahl­lose Durch­suchungen verstoßen gegen Grund­rechte

Alle unab­hän­gigen Rechts­experten und sogar der juris­tische Dienst des EU-Rates seien sich einig, dass eine wahl­lose Durch­leuch­tung privater Nach­richten nicht mit den Grund­rechten und der Recht­spre­chung des EU-Gerichts­hofs vereinbar ist. Das Desaster um die geschei­terte Richt­linie zur Vorrats­daten­spei­che­rung würde sich wieder­holen.

Minder­jäh­rige schi­cken sich "lustige Bild­chen"

Breyer argu­men­tiert drit­tens, dass die Kinder durch das wahl­lose Scannen massen­haft krimi­nali­siert würden: Allein in Deutsch­land seien 40 Prozent der Tatver­däch­tigen wegen Besitzes von ‚Kinder­por­nografie‘ minder­jährig. Jugend­liche sind sich der Straf­bar­keit scheinbar lustiger Inhalte, die sie oft unge­wollt über Chat-Kanäle erhalten, oft nicht bewusst.

Täter und Krimi­nelle könnten auf neue hoch­sichere Wege auswei­chen

Die Suche nach bereits bekanntem, also "altem Mate­rial" helfe nicht, Opfer zu iden­tifi­zieren und zu retten oder sexu­ellen Kindes­miss­brauch zu verhin­dern. Viel­mehr werde der Schutz der Opfer dadurch erschwert, dass Krimi­nelle auf sichere, dezen­tra­lisierte Kommu­nika­tions­kanäle auswei­chen, die selbst mit einem rich­ter­lichen Beschluss nicht abge­hört werden könnten.

Obwohl einige US-ameri­kani­sche Unter­nehmen wie Meta euro­päi­sche Nach­richten schon heute "nur" nach "bekanntem Mate­rial" scannen, würden bis zu 80 Prozent der gemel­deten Nach­richten von der Polizei als nicht straf­recht­lich rele­vant einge­stuft, sodass höchs­tens unschul­dige Bürger in Verdacht geraten würden.

Über­las­tung der Straf­ver­fol­gungs­behörden durch massen­hafte Fehl­alarme

Die Kommis­sion gehe davon aus, dass sich die Zahl der gemel­deten Nach­richten infolge der künftig verpflich­tenden Chat­kon­trolle verviel­fachen werde, was die Straf­ver­fol­gungs­behörden über­schwemmen und massiv die Ressourcen über­for­dern würde, die ohnehin schon für gezielte oder verdeckte Ermitt­lungen gegen die orga­nisierten Hersteller solchen Mate­rials und gegen den laufenden sexu­ellen Miss­brauch von Kindern fehlten.

Breyer befürchtet, so die Tore für eine wahl­lose Über­wachung zu öffnen, werde zu einem "Damm­bruch" führen, zumal Europol bereits gefor­dert hat, auch nach anderen Arten von Inhalten suchen zu dürfen.

Der vorge­schla­gene "Kompro­miss" berühre nicht einmal andere grund­legende Probleme des Gesetz­ent­wurfs. So drohten das Ende der anonymen Kommu­nika­tion, und die Möglich­keit für anonyme Infor­man­ten­hin­weise infolge der obli­gato­rischen Alters­über­prü­fung verloren zu gehen. Auch drohe das Verbot von alltäg­lichen Messenger-, Social-Networ­king-, Spiele- und Video­kon­ferenz-Apps für Jugend­liche unter 16 Jahren, selbst wenn deren Eltern zustimmen.

Vorschlag braucht abso­luten Neustart

Für Breyer, der eine Website zum zur Chat­kon­trolle-Verord­nung einge­richtet hat, brauche der Vorschlag drin­gend einen "Neustart", der auf Sicher­heit durch Design anstatt auf Massen­über­wachung, Bevor­mun­dung und Zerstö­rung der IT-Sicher­heit setzen soll. Auf den Punkt gebracht: "Die Zukunft unserer Privat­sphäre und Sicher­heit steht auf dem Spiel!"

Das Thema Chat­kon­trolle wird schon länger disku­tiert.

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