Chatkontrolle gegen Kindesmissbrauch verletzt Grundrechte
EU-Pläne zur Chatkontrolle wohl kaum umsetzbar
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Die Pläne der EU-Kommission im Kampf gegen Bilder
missbrauchter Kinder im Netz verletzen einer Studie zufolge die
Grundrechte von Internetnutzern und sind wenig wirksam. Die Anzahl
gemeldeter Fälle von Missbrauchsdarstellungen dürfte zwar deutlich
nach oben gehen, heißt es in einer Bewertung des Wissenschaftlichen
Dienstes im Europaparlament. Zugleich dürfte die Genauigkeit der
Treffer jedoch deutlich ab- und die Belastung der Ermittlungsbehörden
zunehmen. Die Studie, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt,
wurde heute im Innenausschuss des Parlaments vorgestellt.
"Nur selten legen Expertisen des Europäischen Parlaments ein so vernichtendes Urteil zu Gesetzesvorhaben der EU-Kommission vor", sagte der FDP-Abgeordnete Moritz Körner der dpa. "Die EU-Kommission wäre richtig beraten, ihren Vorschlag sofort zurückzuziehen." Der Piraten-Abgeordnete Patrick Breyer teilte mit: "Die geplante verdachtslose, flächendeckende Nachrichten- und Chatkontrolle zerstört das digitale Briefgeheimnis und ist grundrechtswidrig." Kindern sei nicht mit einer Verordnung geholfen, "die unweigerlich vor dem Europäischen Gerichtshof scheitern wird, weil sie gegen die Charta der Grundrechte verstößt".
Kommunikation im Netz inklusive verschlüsselter Nachrichten scannen?
EU-Pläne zur Chatkontrolle wohl kaum umsetzbar
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Hintergrund ist ein Vorschlag von EU-Innenkommissarin Ylva Johansson
vom Mai 2022, mit dem sie die stark zugenommene Verbreitung von
Kinderpornografie eindämmen will. Bürgerrechtsorganisationen und
andere Kritiker nutzen dafür das Schlagwort "Chatkontrolle". Sie
sehen darin einen Versuch, die Kommunikation im Netz inklusive
verschlüsselter Nachrichten zu scannen. Auch aus der Bundesregierung
kommt Widerstand gegen den Vorschlag, über den die EU-Staaten und das
Europaparlament noch verhandeln müssen. Justizminister Marco
Buschmann (FDP) schrieb am Donnerstag auf Twitter: "Die Chatkontrolle
hat im Rechtsstaat nichts zu suchen. Erst recht, weil sie auch aus
Sicht der Strafverfolgung offenbar mehr schadet als nützt."
Kritisiert wird vor allem, dass die Pläne nicht nur vorsehen, bereits bekannte Darstellungen aufzuspüren, die über Online-Messenger verschickt werden. Zusätzlich umfassen sie auch das Aufspüren neuer Abbildungen sowie des sogenannten Grooming, bei dem Erwachsene mit Missbrauchsabsicht Kontakt zu Minderjährigen suchen.
Gesamtwirksamkeit der vorgeschlagenen Rechtsvorschriften begrenzt
Johansson verteidigt ihren Vorschlag bislang vor allem mit Verweis auf geplante Schutzmaßnahmen. Zunächst einmal müssten alle Unternehmen analysieren, wie groß das Risiko sei, dass auf ihren Seiten Kinderpornografie geteilt werde. Gegebenenfalls müssten sie dann Gegenmaßnahmen ergreifen. Falls dies nicht ausreiche, könne ein Gericht oder eine andere Behörde das Scannen der Inhalte anordnen.
Der Wissenschaftliche Dienst des Europaparlaments widerspricht der Schwedin in seiner 140-seitigen Untersuchung. Er betont zwar mehrfach, dass die Notwendigkeit, Kinder vor Missbrauch zu schützen, unbestritten sei. Die Einschätzung der Wissenschaftler fällt aber deutlich aus: "Es kann der Schluss gezogen werden, dass die Gesamtwirksamkeit der vorgeschlagenen Rechtsvorschriften begrenzt sein dürfte." Die vorgeschlagenen Schutzmaßnahmen seien unzureichend.
Technologien zur Erkennung neuer Inhalte sowie von Grooming unpräzise
Ein Grund sei unter anderem, dass die Technologien zur Erkennung neuer Inhalte sowie von Grooming unpräzise seien. "Die Mehrheit der befragten Experten geht davon aus, dass dies zu einer Zunahme der gemeldeten Inhalte und einer Abnahme der Genauigkeit führen wird." Dies werde sich erheblich auf die Belastung der Ermittlungsbehörden auswirken. Zudem verweisen die Wissenschaftler darauf, dass einige Täter auf das Darknet ausweichen würden.
Die Erhebung betont, dass der Vorschlag unter anderem gegen das Verbot der pauschalen Vorratsdatenspeicherung verstoßen würde. Dieser Verstoß gegen die EU-Grundrechtecharta könne nicht gerechtfertigt werden. Verschlüsselte Kommunikation werde durch die Pläne grundsätzlich in Frage gestellt. Die geplante Einrichtung eines EU-Zentrums im Kampf gegen Kindesmissbrauch bewerten die Autoren der Erhebung dagegen grundsätzlich positiv.
Vor dem Wissenschaftlichen Dienst hatten bereits Europas oberste Datenschützer ein vernichtendes Urteil über die Vorschläge gefällt. Auch dabei ging es vor allem um schwerwiegende Bedenken mit Blick auf die Privatsphäre und die personenbezogenen Daten Einzelner.
Bislang haben sich weder das Parlament noch die EU-Staaten auf eine Haltung zu dem Vorschlag verständigt. Sobald beide Seiten sich positioniert haben, müssen sie miteinander verhandeln. Endlos Zeit haben sie nicht. Am 3. August 2024 läuft eine Übergangsregelung aus. Derzeit dürfen die Plattformen die Nachrichten ihrer Nutzer scannen - allerdings nur auf bereits bekanntes Material, nicht auf neue Darstellungen oder Grooming.
Die Position "Chatkontrolle hat im Rechtsstaat nichts verloren" hat die FDP auch schon früher vertreten.