Interview

Cinedom: Amazon im Kinogeschäft "drastischer Einschnitt"

Seit Beginn der Corona-Pandemie steht der welt­weite Kino­betrieb prak­tisch still, während Strea­ming-Dienste boomen. Was bedeutet die aktu­elle Entwick­lung für die Kino­branche? Darüber spre­chen wir mit Cinedom-Geschäfts­führer Holger Pfaff.
Von Björn König

Die Kino­branche befindet sich im Umbruch. Das liegt aller­dings längst nicht nur an der Corona-Pandemie, auch viele US-Film­stu­dios gehen mit der Erst­ver­wer­tung über eigene Strea­ming-Dienste neue Wege. Und eben diese bedrohen die Kinos wie nie zuvor. Doch wie stehen Kino­betreiber selbst zu dieser Entwick­lung? Darüber spre­chen wir im teltarif.de-Inter­view mit Holger Pfaff, Geschäfts­führer des Cinedom in Köln.

teltarif.de: Herr Pfaff, die Kino­branche steht im Moment aus verschie­denen Rich­tungen stark unter Druck. Einer­seits wäre dort natür­lich die Corona-Pandemie zu nennen, auf der anderen Seite setzen große US-Studios wie NBCUniversal oder WarnerMedia verstärkt auf die Erst­ver­wer­tung mit eigenen Strea­ming-Diensten. Wie gehen Sie als Kino­betreiber mit dieser schwie­rigen Gesamt­situa­tion um?
Holger Pfaff: Die Corona-Pandemie war und ist für die Kino­branche eine nie zuvor dage­wesene Ausnah­mesi­tua­tion, die uns täglich vor neue wirt­schaft­liche und emotio­nale Heraus­for­derungen stellt. Aufgrund des aktu­ellen Infek­tions­gesche­hens herrscht weiterhin viel Unge­wiss­heit darüber, wann und unter welchen Bedin­gungen ein künf­tiger Kino­betrieb wieder möglich sein wird. Es wird daher noch dauern, bis wir lang­fristig aufatmen können. Umso mehr bedauere ich die Entschei­dung, dass einige US-Studios verstärkt auf eigene Strea­ming-Dienste setzen, anstatt auf die Distri­bution über das Kino. Dieser Wandel hat sich jedoch nicht erst mit der Pandemie entwi­ckelt und war bereits in der Vergan­gen­heit abzu­sehen. Es ist wahr­schein­lich, dass ein Teil des jeweils aktu­ellen Film­ange­bots künftig auch oder zumin­dest früher als bisher auf anderen Kanälen als nur im Kino verfügbar sein wird. Auf diese Verän­derung müssen wir uns lang­fristig einstellen und unsere Konzepte entspre­chend anpassen. Es kann sich nach der Pandemie jedoch auch eine Wendung abzeichnen. Bislang werden Strea­ming-Dienste von Verlei­hern favo­risiert – das ist zum Teil Krisen­manage­ment. Grund dafür ist auch der einge­schränkte Kino­markt. Wenn Kinos wieder flächen­deckend geöffnet sind, bietet dies auch für die Verleiher neue Reize. Die Film­dis­tri­bution über Kinos bietet schließ­lich nach wie vor mehr Erlöse. Cinedom-Geschäftsführer Holger Pfaff Cinedom-Geschäftsführer Holger Pfaff
Foto: Cinedom GmbH

teltarif.de: In den USA wurde schon über eine Insol­venz des größten Multi­plex-Kino­betrei­bers AMC Thea­tres speku­liert, auch ein Verkauf an Amazon stand im Raum. Hier in Deutsch­land betreibt AMC Thea­tres über seine euro­päi­sche Gesell­schaft Odeon unter anderem die UCI-Multi­plex­kinos. Ange­nommen, ein Konzern wie Amazon stiege tatsäch­lich ins Kino­geschäft ein. Welche Folgen hätte dies aus Ihrer Sicht für die Branche?
Holger Pfaff: Es wäre eine deut­liche Verän­derung und ein dras­tischer Einschnitt für die gesamte Kino- und Film­land­schaft. Amazon hätte mit dem Zukauf die Möglich­keit, sein Angebot einem noch größeren Publikum zu präsen­tieren und die eigene Mono­pol­stel­lung damit weiter auszu­bauen. Dies könnte dazu führen, dass Regis­seure, Produ­zenten und Filme­macher künftig nicht mehr an diesem Big Player vorbei­kämen. Andere, klei­nere Produk­tions­firmen hätten lang­fristig keine Chance dagegen anzu­kommen. Dies könnte das Aus für die Indi­vidua­lität inner­halb der Kino­branche bedeuten. Gleich­zeitig sehe ich jedoch auch eine Chance in der Über­nahme, die Kinos zusätz­liches Film­mate­rial unab­hängig von der Film­fabrik Holly­wood liefert und das Film­angebot so stei­gert. Damit könnte Kino wieder an Attrak­tivität gewinnen.

teltarif.de: Ein Kino­besuch am Wochen­ende mit der ganzen Familie war bislang kein Schnäpp­chen, wenn man auch noch Popcorn und Cola mit einrechnet. Im März star­tete Para­mount+ in den USA. Dort sollen nun Erst­aus­strah­lungen von Para­mount Pictures für unter zehn US-Dollar maximal 45 Tage nach Kino­start laufen. Wie können Sie da als Kino­betreiber noch gegen­halten?
Holger Pfaff: Wir müssen die Entwick­lungen weiter beob­achten und daraus unsere Stra­tegie für die Wieder­eröff­nung ableiten. Fakt ist jedoch, dass wir unseren Gästen mit unver­gleich­barer Bild- und Tontechnik ein Film­erlebnis bieten können, das sich nicht daheim auf der Couch abbilden lässt. Ich glaube daher weiter an die Zukunft des Kinos und daran, dass Besu­cher das Erleb­nis­kino weiterhin schätzen, auch wenn der Film zusätz­lich auf Strea­ming-Platt­formen ange­boten wird. Der Preis wird zudem nicht allein ausschlag­gebend für die Rück­kehr der Besu­cher sein. Viel­mehr wird es darum gehen, ihnen die Verun­siche­rung, die sie über das vergan­gene Jahr entwi­ckelt haben, zu nehmen und ihnen mit durch­dachten Hygie­nekon­zepten, die wir bereits im vergan­genen Jahr umge­setzt haben, einma­lige Kino­erleb­nisse zu ermög­lichen.

teltarif.de: AMC Thea­tres hatte aufgrund der Entschei­dung von Universal Pictures seine Filme zuerst im Strea­ming zu veröf­fent­lichen kurzer­hand gedroht, deren Titel aus dem Programm zu nehmen. Würden Sie einen solchen Schritt eben­falls gehen?
Holger Pfaff: Einen derar­tigen Schritt sehen wir aktuell nicht. Wir wollen unseren Besu­chern weiterhin ein breites Film­angebot bieten. Dennoch sehe ich in solchen Entschei­dungen der Kino­betreiber ein hohes Risiko für die Film­ver­leiher. Sollten sich mehrere Kinos dazu entschließen, Filme gewisser Verleiher gänz­lich aus ihrem Programm zu nehmen, würde das auch enorme Verluste für die Studios bedeuten, die sie so nicht hinnehmen könnten. Hierfür ist das Erlös­modell von Strea­ming-Anbie­tern aktuell nicht attraktiv genug.

teltarif.de: Warum ist die Erst­ver­wer­tung für Kinos eigent­lich so wichtig? Das Kino­erlebnis würde für den Besu­cher ja auch nicht unbe­dingt schlechter, wenn der Film später startet. Zumin­dest, wenn man ihn vorher noch nicht auf anderem Wege konsu­miert hat.
Holger Pfaff: Wenn Verleiher dazu über­gehen, ihre Filme neben dem Kino parallel auch über Strea­ming-Anbieter zu präsen­tieren, wird ein Teil der Zuschauer sicher­lich nicht mehr ins Kino kommen – sie schauen dann von Zuhause aus. Vor allem, wenn sie bereits für diese Strea­ming-Anbieter Abos abge­schlossen haben und die Filme darin enthalten sind. Das stellt uns vor neue Heraus­for­derungen. Besu­chern müssen deshalb neue Anreize für ihren Kino­besuch geboten werden, um sie von der Couch wegzu­holen. An diesen Konzepten arbeiten wir aktuell. Hinzu kommt, dass viele Block­buster explizit für das Kino produ­ziert werden. Auf der großen Lein­wand und mit sattem Sound entfalten sie erst ihr Poten­zial. Dieses beson­dere Erlebnis sollte Besu­cher gleich zur Veröf­fent­lichung des Films geboten werden. Cinedom am Kölner Mediapark Cinedom am Kölner Mediapark
Foto: Cinedom GmbH

teltarif.de: Wie könnten Kinos nach der Krise für das Publikum noch attrak­tiver werden, wenn sie an Exklu­sivität verlieren?
Holger Pfaff: Das Kino und sein Angebot müssen, wie es auch in anderen Bran­chen üblich ist, mit der Zeit gehen und die stetig neuen Anfor­derungen erfüllen. Das ist keine neue Situa­tion – mit dieser Entwick­lung setzen wir uns schon seit einigen Jahren ausein­ander. Sobald es die Lage wieder zulässt, setzen wir auch wieder verstärkt auf Events, um bei unseren Gästen neue Anreize zu schaffen. Zudem sind Kombi-Ange­bote geplant, die über das reine Anschauen von Filmen hinaus­gehen. Fest steht: Wir wollen unseren Besu­chern ein Erlebnis bieten. Dafür wollen wir auch den nächsten Schritt in der Digi­tali­sie­rung gehen und auch beim Thema Nach­hal­tig­keit nach­rüsten.

teltarif.de: Ein Multi­plex­kino in einer Millio­nen­metro­pole wie Köln lässt sich wirt­schaft­lich anders betreiben, als ein fami­lien­geführtes Kino mit wenigen Sälen in einer eher länd­lichen Region. Sehen Sie die viel­fäl­tige Kino­land­schaft in ihrer bishe­rigen Form lang­fristig bedroht?
Holger Pfaff: Bis Ende 2020 gab es erst sechs bis sieben Kino­schlie­ßungen, also nicht unbe­dingt viel mehr als in anderen Jahren auch, wo sich die Öffnungen und Schlie­ßungen mehr oder weniger die Waage halten. Ich hoffe daher, dass so viele Kinos – ob Arthouse oder Multi­plex – wie möglich den Weg aus der Krise schaffen. Das ist wichtig, um die kultu­relle Viel­falt zu erhalten. Dennoch gilt zu beachten, dass auch wir als Multi­plex­kino aufgrund unserer Größe einen hohen Aufwand betreiben, um den Anfor­derungen gerecht zu werden. Für ein kleines Kino mit wenigen Sälen ist dieser Aufwand um einiges geringer.

teltarif.de: Wie hat sich die Besu­cher­zahl im Cinedom vor dem Hinter­grund der wach­senden Strea­ming-Konkur­renz insge­samt entwi­ckelt, wenn man die pande­mie­bedingten Auswir­kungen heraus­rechnet?
Holger Pfaff: Wir haben in den vergan­genen Jahren trotz der wach­senden Beliebt­heit von Strea­ming-Anbie­tern eine stabile Besu­cher­fre­quenz wahr­genommen. Im Jahr 2019 durften wir noch über 1,1 Millionen Besu­cher im Cinedom begrüßen und verzeich­neten einen Markt­anteil von über 50 Prozent. Auch jetzt während der Schlie­ßung sehen wir weiterhin eine hohe Anteil­nahme der Gesell­schaft. Ich habe fast schon das Gefühl, dass in keinem Jahr so viel über Kinos berichtet wurde, wie im vergan­genen Jahr. Hieran möchten wir auch nach der Schlie­ßung mit vollen Sälen wieder anknüpfen.

teltarif.de: Cinedom hat für ein großes Mulit­plex­kino aus histo­rischen Gründen eine eher unge­wöhn­liche Eigen­tümer­struktur. Das hat unter anderem mit der Insol­venz der KirchGruppe in den 2000er-Jahren zu tun, welche indi­rekt ein zentraler Gesell­schafter des Kinos war. Ab 2012 arbei­teten Sie eng mit der heutigen Vue Enter­tain­ment-Tochter Cine­maxx zusammen. Wäre es vorstellbar, dass Cinedom auf lange Sicht voll­stän­diger Teil der Gruppe wird?
Holger Pfaff: Die Zusam­men­arbeit mit Cine­maxx besteht bereits seit längerem nicht mehr. Der Cinedom agiert voll­kommen unab­hängig im Markt und daran wird sich nach aktu­ellem Stand auch in naher Zukunft nichts ändern.

teltarif.de: Mit welchen Inno­vationen wollen Sie nach der Pandemie durch­starten und die Zuschauer zurück ins Kino locken?
Holger Pfaff: Wir waren die letzten Monate nicht untätig und haben die Zeit während der Schlie­ßung genutzt, um bishe­rige Akti­vitäten zu über­denken und neue Konzepte für den Cinedom zu entwi­ckeln. Im Vorder­grund steht hierbei vor allem Besu­chern neue Anreize zu bieten. Aktuell arbeiten wir daher an einer Stär­kung der Auto­mati­sie­rung und Perso­nali­sie­rung. Letz­tere soll dazu dienen, unser Angebot noch gezielter auf unsere Besu­cher­gruppen abzu­stimmen. Die Auto­mati­sie­rung soll dazu beitragen, den Prozess vom Ticket­kauf bis zum Vorstel­lungs­beginn noch effi­zienter zu gestalten und Warte­zeiten nach­haltig zu redu­zieren. Abge­sehen von den Inno­vationen bin ich jedoch der Über­zeu­gung, dass die Menschen es nach Monaten der Einschrän­kungen satt­haben, zu Hause zu bleiben. Sie sehnen sich nach gemein­samen Erleb­nissen. Dass die Begeis­terung unge­bro­chen ist, zeigt uns auch die hohe Nach­frage vor dem zweiten Lock­down. In den vergan­genen Monaten erreichten uns zudem unzäh­lige Nach­richten unserer Gäste, die das Kino­erlebnis genauso vermissen, wie wir. Das lässt mich zuver­sicht­lich in Rich­tung Zukunft blicken.

teltarif.de: Herr Pfaff, vielen Dank für das Gespräch.

Zur Person: Holger Pfaff
Holger Pfaff ist seit 2020 Geschäfts­führer des Cinedom Köln. Zuvor war er als freier Stra­tegie- sowie Marke­ting­berater tätig und arbei­tete 18 Jahre lang in verschie­denen natio­nalen und inter­natio­nalen Zentral­funk­tionen für die Deut­sche Luft­hansa AG. Holger Pfaff fungierte außerdem als Account Director in verschie­denen Werbe­agen­turen und hat dort die Kommu­nika­tion inter­natio­naler Kunden ganz­heit­lich verant­wortet.

Über die aktu­elle Situa­tion der Kino­branche spra­chen wir in einem weiteren Inter­view mit Chris­tine Berg, Vorstands­vor­sit­zende des Haupt­ver­bandes Deut­scher Film­theater.

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