Unklar

Wie umweltschädlich ist Streaming wirklich?

Strea­ming ist der große Frei­zeit-Trend unserer Zeit. Und die Sorge um das Klima ist das große Problem unserer Zeit. Aller­dings gibt es bis heute keinen Konsens, wie viel CO2 das Streamen eigent­lich verur­sacht.
Von dpa /

Diskussionen um den Stromverbrauch von Streaming Diskussionen um den Stromverbrauch von Streaming (Symbolbild)
Bild: picture alliance/dpa
Bei der welt­größten Fach­messe für TV-Stoffe, der Mipcom in Cannes, über­strahlt in dieser Woche das Thema Strea­ming wieder alles andere. Allein in Deutsch­land haben laut einer ARD/ZDF Online Studie die Erwach­senen ab 14 Jahren - das sind 73,2 Millionen Menschen - voriges Jahr im Schnitt täglich eine Stunde und 16 Minuten im Netz Videos geschaut. Und mindes­tens über fünf Milli­arden Menschen gehen heute welt­weit online - Tendenz weiter stei­gend. Das hat auch Folgen für die Umwelt. Aber welche? Akteure wie Telekom, Netflix oder Amazon weisen jeden­falls immer wieder darauf hin, dass der Umwelt­effekt im Vergleich etwa zu Fliegen oder Auto­fahren gering sei.

Umfas­sen­dere Studien dazu sind aller­dings einige Jahre alt. Und sie kommen zu deut­lich abwei­chenden Resul­taten. Auf 100 bis 175 Gramm Kohlen­dioxid (CO2) pro Stunde Strea­ming kommt etwa eine Studie des Hamburger Borderstep Insti­tuts, also ähnlich wie die Emis­sionen eines Klein­wagens bei einem Kilo­meter Auto­fahrt. Die Unter­suchung stammt aus dem Jahr 2020 und bezieht sich auf 2018.

Auswahl der Daten ist sehr komplex

Diskussionen um den Stromverbrauch von Streaming Diskussionen um den Stromverbrauch von Streaming (Symbolbild)
Bild: picture alliance/dpa
Die unab­hän­gige Denk­fabrik "Shift Project" aus Paris hat fast zeit­gleich eine eher globale Rech­nung aufge­macht: Die Emis­sionen aus digi­talen Nutzungen - also von Strea­ming über den Betrieb von Daten­banken bis hin zum Gebrauch von Such­maschinen - könnten bis 2025 je nach Prognose einen Anteil zwischen fünf Prozent und mehr als neun Prozent bei der Erzeu­gung der globalen Treib­haus­gase ausma­chen.

Als eine Art Stan­dard gilt inzwi­schen eine Unter­suchung der engli­schen Orga­nisa­tion Carbon Trust, die unter anderem von Netflix finan­ziert wurde. Sie kam vor gut zwei Jahren zu dem vergleichs­weise weniger alar­mie­renden Ergebnis, dass eine Stunde Strea­ming in Europa unge­fähr nur 55 Gramm CO2 verur­sacht. Wenn es denn stimmt.

"Schon die Auswahl der Daten ist sehr komplex", kommen­tiert Birgit Heid­siek das "White Paper" von Carbon Trust. "Para­meter wie die in Rechen­zen­tren einge­setzten Kälte­mittel sind in dieser Berech­nung nicht berück­sich­tigt worden. Zum Ener­gie­bedarf für die Kühlung, der in Rechen­zen­tren zwischen 35 und 50 Prozent liegt, kämen noch klima­schäd­liche Kälte­mittel hinzu, die durch Wartung oder Leckagen aus den Klima­anlagen austreten, so die Expertin und Initia­torin des Projektes Green Film Shoo­ting.

Nach Angaben der Bundes­regie­rung verbrauchten die mehr als 50.000 Rechen­zen­tren in Deutsch­land im Jahr 2020 rund 16 Milli­arden Kilo­watt­stunden, was rund drei Prozent des gesamten Strom­ver­brauchs in Deutsch­land entspricht.

Über­sicht zu verschie­denen Anwen­dungs­fällen fehlt

"Die einzelnen Unter­suchungen sind zwar gut und relativ voll­ständig, aber eine Über­sicht zu verschie­denen Anwen­dungs­fällen fehlt", kriti­siert auch der Wissen­schaftler Chris­tian Herglotz vom Depart­ment Elek­tro­technik-Elek­tronik-Infor­mati­ons­technik an der Fried­rich-Alex­ander Univer­sität in Erlangen, "es ist beispiels­weise etwas völlig anderes, wenn ich ein Video bei Netflix streame oder ich ein Video aufnehme und es in sozialen Netz­werken hoch­lade und dann teile. Bei ersterem wird der Groß­teil der Energie bei den Endge­räten verbraucht, bei letz­terem in den Daten­cen­tern. Insbe­son­dere der Bereich der sozialen Netze wurde noch gar nicht ernst­haft unter­sucht."

Wer umwelt­freund­lich streamen möchte, sollte in jedem Fall ener­gie­effi­ziente Endge­räte nutzen. Je kleiner der Bild­schirm, desto geringer der Ener­gie­ver­brauch. Auch der Ausspielweg hat eine große Auswir­kung wie Heid­siek betont: "Beim Video­strea­ming über Glas­faser werden pro Stunde zwei Gramm CO2 verur­sacht, wenn dies über Kupfer­kabel, also VDSL, erfolgt, verdop­pelt sich der CO2-Ausstoß auf vier Gramm." Wird mobil über UMTS geschaut (was in Deutsch­land bereits abge­schaltet ist), dann schlägt die Daten­über­tra­gung mit 90 Gramm CO2 in der Stunde zu Buche.

Auch wenn die goldenen Jahre für Anbieter wie Netflix oder Disney+ vorbei sein mögen, wird immer mehr gestreamt. Doch dieser Boom hat eine Kehr­seite, die eben­falls floriert: Seit 2022 wächst erst­mals wieder die TV-Pira­terie – dank Strea­ming.

Mehr zum Thema Streaming