Ausprobiert

Test: Delta Chat Messenger über E-Mail - gute Idee oder GAU?

Delta Chat ist ein Messenger mit einem inter­essanten Ansatz: Anstatt eigener Server wird einfach das E-Mail-Proto­koll verwendet. Doch in unserem ausführ­lichen Test fragen wir: Öffnet Delta Chat Spam­mern Tor und Tür?
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Die Viel­falt an Messen­gern ist für viele Smart­phone-Nutzer unüber­sicht­lich - und wer bei einem Messenger ange­meldet ist, kann auch nur den Freunden und Bekannten schreiben, die beim selben Dienst sind. Mit Delta Chat tritt nun ein Messenger eines ganz neuen Typus an. Der noch in Entwick­lung befind­liche Dienst nutzt statt eines eigenen Proto­kolls und eigener Server einfach das vorhan­dene E-Mail-Post­fach des Anwen­ders.

Das hat Vorteile beim Daten­schutz - aber es gibt dadurch eben auch gewohnte Messenger-Funk­tionen, die sich nicht reali­sieren lassen. Darüber hinaus stellt sich die Frage: Öffnet Delta Chat Spam­mern Tor und Tür? Wir haben Delta Chat auf zwei Smart­phones instal­liert und getestet. Chat in Delta Chat Chat in Delta Chat
Screenshot/Montage: teltarif.de

Für Android bereits zum Testen verfügbar

Wie bereits in unserem ersten Bericht geschrieben: Delta Chat befindet sich noch im Beta-Test. Für Android ist das Early-Access-Programm bereits gestartet. Die iOS-Vari­ante und die Desktop-Versionen für Linux und Mac befinden sich noch im Beta-Stadium der Entwick­lung, können zum Teil aber auch schon auspro­biert werden. Eine Desktop-App für Windows steht noch ganz am Anfang der Entwick­lung.

Für unseren Test haben wir uns die Android-Version der App aus dem Google Play Store geladen und auf zwei Android-Smart­phones instal­liert. Das kann reibungslos funk­tionieren - muss es aber nicht. Denn das ist abhängig davon, welchen E-Mail-Provider man nutzt. Hierbei ist es uner­läss­lich einen Blick auf die Liste der unter­stützten Provider zu werfen. Anmeldung am E-Mail-Server und Hauptfenster noch ohne Chats Anmeldung am E-Mail-Server und Hauptfenster noch ohne Chats
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Einrich­tung mit GMail-Adresse kompli­ziert

Auf einem Smart­phone gaben wir einfach unsere T-Online-Mail­adresse und das dazu gehö­rende E-Mail-Pass­wort ein - und das war es. Die rest­liche Konfi­gura­tion erle­digte Delta Chat selbst. Man muss also keine Server­adressen, Port­nummern oder Verschlüs­selungs­methoden wissen - bei vielen Anbie­tern macht Delta Chat das ganz von alleine.

Bei GMail würde Delta Chat es auch gerne machen, dem steht aber eine Grund­einstel­lung in fast allen Google-Accounts entgegen. Google geht davon aus, dass die GMail-Adresse über­wiegend webba­siert über das Portal oder über die offi­zielle GMail-App unter Android verwendet wird und sperrt daher den Zugriff auf das Konto von "weniger sicheren Apps" aus. Und Delta Chat gehört noch zu diesen von Google als "weniger sicheren Apps" titu­lierten Clients, während dieselbe GMail-Adresse beispiels­weise problemlos unter Mozilla Thun­derbird nutzbar ist.

Um Delta Chat den Zugriff auf GMail zu ermög­lichen, muss der Nutzer also zunächst auf die Google-Seite Zugriff durch weniger sichere Apps gehen und dort den Schie­beregler bei "Weniger sichere Apps zulassen" auf "Ein" stellen. Hat der Nutzer bei seinem Google-Konto die Zwei-Faktor-Authen­tifi­zierung akti­viert, sollte er ein App-Pass­wort erstellen, das dann unter Delta Chat als Zugangs­pass­wort einge­geben werden muss. Diese Sicher­heits­beschrän­kungen bei Google dürften dazu führen, dass bei zahl­reichen tech­nisch weniger versierten Anwen­dern die Akti­vierung von Delta Chat mögli­cher­weise zunächst fehl­schlägt oder frus­triert abge­brochen wird.

Daten­schutz: Vorteile, Nach­teile und GAU bei Gruppen

Die weitere Einrich­tung von Delta Chat ist hingegen kein Problem: Delta Chat greift zwar auf das Smart­phone-Adress­buch zu, über­trägt dieses aber nicht an irgend­welche Server - weil es gar keine zentralen Server gibt. Die ange­gebenen Zugangs­daten für den eigenen E-Mail-Account werden nur für die Kommu­nika­tion genutzt. Es muss weder ein Name noch eine Tele­fonnummer ange­geben werden. Vom Daten­schutz-Aspekt her bietet Delta Chat also deut­liche Vorteile gegen­über herkömm­lichen proprie­tären Messen­gern.

Chat-Über­sicht und Chat-Fenster sehen prin­zipiell aus wie bei bekannten Messen­gern, und auch die Bedie­nung ist wie bei WhatsApp, Threema, Tele­gram, Signal und anderen Apps. Bei der Zustel­lung von Nach­richten ist uns aufge­fallen, dass dies über das E-Mail-Proto­koll immer etwas lang­samer geht als über die proprie­tären Messenger-Proto­kolle. Bei Delta Chat kamen die Nach­richten unge­fähr fünf bis zehn Sekunden nach dem Versand an, während es bei anderen Messen­gern nur ein bis drei Sekunden sind.

Delta Chat nutzt das eigene E-Mail-Post­fach übri­gens so, dass man dies auch im Post­fach sehen kann. In beiden unserer Accounts (T-Online und GMail) legte der Messenger einen Unter­ordner "Delta Chat" an, in dem jeweils die Nach­richten und für jede Nach­richt eine Empfangs­bestä­tigung ange­zeigt wurden. Auch die farbigen Haken für die Lese­bestä­tigung werden also in Form einer E-Mail über­tragen. Dadurch kommt in diesen Ordnern bei zahl­reichen Mittei­lungen natür­lich eine ganze Menge an E-Mails zusammen. Im Klar­text lesbar sind die Text­nach­richten im E-Mail-Post­fach aufgrund der Verschlüs­selung durch Delta Chat übri­gens nicht, statt­dessen steht dort: "Dies ist eine verschlüs­selte OpenPGP-Nach­richt. Um die E-Mail zu entschlüs­seln, muss ein OpenPGP-Add-on instal­liert werden." Zusätzlich erforderliche Schritte bei der Nutzung von GMail Zusätzlich erforderliche Schritte bei der Nutzung von GMail
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Nutzer ohne Delta Chat und Gruppen: Spam-Gefahr und Daten-GAU

Der große Nach­teil herkömm­licher Messenger ist, dass man Personen, die beim eigenen Dienst nicht ange­meldet sind, keine Nach­richten schi­cken kann. Diesen Nach­teil gibt es bei Delta Chat nicht: Schreibt man einem Kontakt aus dem Adress­buch, der Delta Chat nicht instal­liert hat, wird die Nach­richt einfach als E-Mail zuge­stellt.

Das klingt zunächst wie ein toller Vorteil - doch wir machten uns bald Gedanken darüber, ob das nicht eine Einla­dung an Spammer sein könnte. Auch ein E-Mail-Spammer muss - wie ein Delta-Chat-Nutzer - gültige E-Mail-Adressen haben, damit die Nach­richt ankommt. Doch der Massen­versand ist durch Anlegen einer Gruppe in Delta Chat sehr einfach. Großer Nach­teil für den Spammer: Seine gültige Absen­deradresse wird im Klar­text über­tragen und kann nicht wie sonst beim Spam-Versand gefälscht werden.

Mitten in unsere Über­legungen hinein platzte dann ein expe­rimen­tier­freu­diger teltarif.de-Leser, der nach unserer ersten Ankün­digung zu Delta Chat einfach einmal eine Gruppe anlegte und dort unsere allge­meine teltarif.de-Mail­adresse aufnahm. Sofort wurde uns alles, was er in der Gruppe machte, per E-Mail signa­lisiert: Nicht nur die Nach­richten, die er dort schrieb, sondern auch, welche Mitglieder er noch in die Gruppe aufnahm oder wieder entfernte.

In Gruppen: Delta Chat als gefähr­liche Daten­schleuder

Und spätes­tens jetzt war es mit dem Daten­schutz­verspre­chen von Delta Chat endgültig vorbei und der Messenger mutierte zu einer gefähr­lichen Daten­schleuder: Alle E-Mail-Adressen der Grup­penmit­glieder wurden uns im Klar­text ange­zeigt, auch unsere (die ja nicht geheim ist) war für alle sichtbar. Wer seine E-Mail-Adresse aller­dings geheim halten möchte, für den ist die uner­wünschte Aufnahme in eine Delta-Chat-Gruppe aber mögli­cher­weise der Daten-GAU.

Unser expe­rimen­tier­freu­diger Leser hatte sich vorge­stellt, seinen News­letter­versand zukünftig einfa­cher über eine Delta-Chat-Gruppe zu orga­nisieren. Doch wir konnten als unfrei­williges Grup­penmit­glied live mitbe­obachten, wie dieses Expe­riment gehörig in die Hose ging, und das aus mehreren Gründen. So etwas wie die Bcc-Funk­tion bei Mails fehlt bei Delta-Chat-Gruppen: Über die Funk­tion hatten wir alle E-Mail­adressen aus der Gruppe im Klar­text erhalten. Der Daten­schutz war also keines­wegs gewähr­leistet. Außerdem fehlte in den Mails die gesetz­lich vorge­schrie­bene Abmel­demög­lich­keit (Opt-out) bei dem Grup­penver­sand.

Es ist also möglich, dass E-Mail-Nutzer, die Delta Chat gar nicht kennen und nicht mitbe­kommen haben, dass sie dort in eine Gruppe aufge­nommen wurden, plötz­lich von E-Mails bombar­diert werden, die sie nicht einmal abbe­stellen können. Loswerden kann man dies nur, wenn man im E-Mail-Account alle Absender auf eine Sperr­liste setzt. Delta Chat kann also regu­läre und rechts­konforme News­letter-Versand-Systeme mit Abmel­delink unter gar keinen Umständen ersetzen.

Typi­schen Messenger-Features fehlen & Fazit

Dadurch, dass Delta Chat E-Mail-Proto­kolle verwendet, ist zwar die Kontakt­aufnahme außer­halb des Messen­gers einfa­cher, es fehlen aber typi­sche und heute bereits gewohnte Messenger-Features, die nur reali­sierbar sind, wenn die Kommu­nika­tion über einen zentralen Server läuft.

Wie gesagt: Die Zustell­bestä­tigung mit den Häkchen haben die Macher von Delta Chat über eine separat versandte E-Mail gelöst. Nicht zu reali­sieren ist auf diesem Weg aller­dings die Live-Benach­rich­tigung, dass jemand gerade tippt, wie man das beispiels­weise von WhatsApp kennt. Man weiß also nie, ob der Chat­partner gleich noch etwas schickt oder ob man das Smart­phone wieder sperren und in die Hosen­tasche stecken kann.

Reichweite ja, aber Vertraulichkeit... Reichweite ja, aber Vertraulichkeit...
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Eben­falls momentan nicht zu reali­sieren sind über Delta Chat Sprach- und Video­tele­fonie, was für viele Messenger-Nutzer heut­zutage zur alltäg­lichen Nutzung dazu­gehört, beispiels­weise wenn man Freunde oder Verwandte im Ausland anrufen möchte. Dazu muss dann wieder ein anderer Messenger verwendet werden.

Versandt werden können per Delta Chat außer Texten und Emojis aber mit der Kamera aufge­nommene Fotos und Videos, Dateien vom internen Spei­cher, aufge­nommene Sprach­nach­richten und Kontakte aus dem Adress­buch. Hierbei sollte man aber die maximal zuläs­sige Größe für E-Mail-Anhänge des eigenen Mail-Provi­ders beachten.

Fazit: Tolle Idee - aber ohne echtes Daten­schutz-Verspre­chen

Auf den ersten Blick ist Delta Chat als Messenger, der das E-Mail-Proto­koll verwendet, eine geniale Idee und erfüllt damit sogar eine lange geäu­ßerte Idee von EU-Poli­tikern nach inter­opera­blen Messen­gern, bei denen jeder mit jedem unab­hängig vom Messenger kommu­nizieren kann. Ein Vorteil ist, dass auch Nutzer, die Delta Chat gar nicht kennen, darüber einfach erreicht werden können.

Doch schon bei der Einrich­tung werden tech­nisch nicht so versierte Nutzer schei­tern, wenn der eigene Mail­provider wie zum Beispiel GMail den Zugriff externer Apps, die als unsi­cher gelten, auf das Post­fach blockiert. Und die Grup­penfunk­tion könnte sich zum echten Daten-GAU entwi­ckeln, wenn Delta Chat nicht eine Möglich­keit einfügt, dass die Grup­penmit­glieder unter­einander die Mail­adressen stan­dard­mäßig nicht sehen oder sich mit einem Klick von Spam abmelden können.

Alle wich­tigen Messenger verglei­chen wir für Sie in unserer umfang­reichen Messenger-Über­sicht.

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