Digitalradio

Notfall-Alarm via DAB+: Wo bleibt die EWF-Funktion?

"Emer­gency-Warning-Func­tio­nality" – kurz EWF, ermög­licht die schnelle und zuver­läs­sige Warnung der Bevöl­kerung im Kata­stro­phen­fall über DAB+. Leider nur in der Theorie. In der Praxis gibt es bisher nur kleine Pilot­pro­jekte. Kaum ein Digi­tal­radio unter­stützt die Warn­funk­tion. Dabei könnte eine Bevöl­kerungs­war­nung im Rund­funk Leben retten.
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In Wien gibt es bereits einen Bevölkerungs-Warnkanal über DAB+ In Wien gibt es bereits einen Bevölkerungs-Warnkanal über DAB+
Foto: Markus Weidner/teltarif.de
Es ist nachts um halb 3. Bei Ursula M. springt der Radio­wecker an: "Dies ist eine amtliche Unwet­ter­war­nung des Deut­schen Wetter­dienstes vor Stark­regen im Schwarz­wald. Es werden in den kommenden vier Stunden Regen­mengen von bis zu 150 Litern pro Quadrat­meter erwartet. Es kann zu groß­flä­chigen Über­schwem­mungen kommen. Sollten Sie in einem Flusstal wohnen, empfehlen wir Ihnen das Haus sofort zu verlassen und sich in höhere Lagen zu begeben."

Bislang kaum Geräte mit EWF-Funk­tion

In Wien gibt es bereits einen Bevölkerungs-Warnkanal über DAB+ In Wien gibt es bereits einen Bevölkerungs-Warnkanal über DAB+
Foto: Markus Weidner/teltarif.de
Das ist keine Fiktion, sondern wäre heute bereits Realität - und hätte im Westen Deutsch­lands viel­leicht sogar Leben retten können. "Emer­gency-Warning-Func­tio­nality", kurz EWF, ermög­licht die schnelle und zuver­läs­sige Warnung der Bevöl­kerung im Kata­stro­phen­fall. Egal ob Hoch­wasser, extreme Unwetter, Chemie­unfall oder Terror­anschlag – über das Digi­tal­radio DAB+ könnte die Bevöl­kerung schnell über drohende Gefahren infor­miert werden.

Das laufende Radio­pro­gramm wird im Falle einer Notfall­alar­mie­rung unter­bro­chen und die Radio­geräte schalten selbst­ständig auf den Warn- und Infor­mati­ons­kanal um. Radios, die sich im "Standby-Betrieb" befinden, wie der Radio­wecker von Ursula M., werden auto­matisch akti­viert. Zusätz­lich zur Warn­durch­sage erscheint auf den Radio­dis­plays die Warn­mel­dung mehr­spra­chig und mit detail­lierten Instruk­tionen und Hinweisen.

So lautet das Szenario in der Theorie. Und so lautet es bereits seit knapp 10 Jahren. In der Realität sieht es aber ernüch­ternd aus: Bis auf zwei Pilot­pro­jekte in Sachsen-Anhalt und Erlangen gibt es keine Region in Deutsch­land, in dem eine solche Bevöl­kerungs­war­nung über DAB+ bisher erprobt wurde. Kurz­fristig wurde die Funk­tion anläss­lich des bundes­weiten Warn­tages national auf dem Kanal des Deutsch­land­funks im ersten natio­nalen Multi­plex getestet, doch das war es auch schon. Bisher gibt es mit einer Ausnahme kein einziges statio­näres Gerät, das die EWF-Funk­tion unter­stützt. Ledig­lich in vielen Werks­radios in Fahr­zeugen ist die Kata­stro­phen­war­nung verfügbar.

Mobil­funk und Internet sind nicht krisen­sicher

Nun gibt es nach der Hoch­wasser-Kata­strophe im Westen viele Ideen bezüg­lich einer verbes­serten Bevöl­kerungs­war­nung. Viele zielen ab auf verbes­serte Handy-Apps ab oder die Funk­tion des Cell Broad­cas­ting. Das ist verständ­lich, schließ­lich ist das Smart­phone inzwi­schen bei vielen zum Lebens­mit­tel­punkt und zur Kommu­nika­tions­zen­trale geworden.

Bei fast allen Kata­stro­phen der vergan­genen Jahre hat sich aber auch gezeigt, dass der Mobil­funk als Erstes ausfällt. So war es bei Terror­anschlägen, bei Chemie­unfällen, aber erst recht bei Natur­kata­stro­phen. Auch bei dem Hoch­wasser im Westen fiel der Strom binnen kürzester Zeit aus. Schnell versagten auch Internet und Mobil­funk, Warn­mel­dungen per Katwarn und Co. erreichten die Handy-Nutzer nicht mehr. Dagegen funkten die Rund­funk­sen­dean­lagen, die über Notstrom­aggre­gate verfügen, ohne Unter­bre­chung weiter.

Jedes Bundes­land braucht einen Warn­kanal im Digi­tal­radio

Die Einrich­tung von EWF-Kanälen über DAB+ ist kein "Hexen­werk". Ähnlich wie der Verkehrs­kanal des Baye­rischen Rund­funks, der auch für Warn­mel­dungen genutzt wird, verbraucht ein solcher Kanal kaum Audio­band­breite (also nur wenige CU) in einem Digi­tal­radio-Multi­plex. Die Aussendung kann voll­auto­matisch per Computer gene­rierter Stimme erfolgen, es sind also nicht einmal Mode­ratoren notwendig, welche die Meldungen vorlesen. Von daher verur­sacht ein solcher Kanal kaum Kosten. Diese Warn­kanäle könnten bei den ARD-Rund­funk­anstalten ange­sie­delt werden.

Prin­zipiell sollte es für jedes Bundes­land einen solchen Warn­kanal im Digi­tal­radio geben. Neben der Einrich­tung der EWF-Funk­tio­nalität in den einzelnen Multi­plexer müsste man aber auch den Endge­räte-Herstel­lern verbind­lich vorschreiben, die Funk­tion in ihre Geräte einzu­bauen. Eine Möglich­keit hierfür hätte es im vergan­genen Jahr mit der EU-Richt­linie gegeben, wonach jedes neu in den Handel kommende Radio mit Text­anzeige (RDS-Funk­tion) auch einen Zugang zum digi­talen Radio ermög­lichen muss. Leider wurde diese Chance verpasst.

Doch auch in einem Digi­tal­radio-Empfänger ohne spezi­elle EWF-Funk­tion würde ein Warn­kanal sinn­voll sein. Jaulen an einem gewissen Ort die Sirenen oder fällt der Strom aus, könnte man diesen Kanal an einem mit Batte­rien oder Akku betrie­benem Radio­gerät ansteuern und sich über die Warnung erkun­digen.

In einem normalen Radio­pro­gramm müsste man dagegen bis zu den Nach­richten zur vollen Stunde warten. Viele Sender strahlen nachts über­haupt keine Nach­richten oder Mode­rationen aus, hier würde also auch keine Bevöl­kerungs­war­nung im Ernst­fall erfolgen. Der Warn­kanal wäre hier also eine sinn­volle Möglich­keit, um sich schnell und umfas­send zu infor­mieren.

Noch ist die Reich­weite für einen solchen Kanal begrenzt. Nur rund ein Viertel der Bevöl­kerung hat schon Zugang zu mindes­tens einem DAB+-Radio, die Verkaufs­zahlen steigen aber über­pro­por­tional.

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