RTL Radio CEO: "Hörer schätzen kuratierte Angebote"
Im deutschen Hörfunkmarkt ist aktuell viel Bewegung. Das liegt einerseits am zweiten Bundesmux, welcher den Hörern ein deutliches Plus an digitaler Radiovielfalt bieten wird. Auf der anderen Seite tut sich aber auch viel im Bereich Streaming und Podcasts. Hier haben sowohl RTL als auch ProSiebenSat.1 eigene Apps gestartet. Über diese und weitere Themen sprechen wir mit Stephan Schmitter, CEO von RTL Radio Deutschland sowie Head of Audio der Mediengruppe RTL Deutschland.
Stephan Schmitter ist CEO von RTL Radio Deutschland
Foto: RTL Radio Deutschland
teltarif.de: Herr Schmitter, in der Corona-Krise setzten die Bürger stark auf aktuelle Informationen. Davon profitierten vor allem Radiosender durch hohe Einschaltquoten. Trotzdem hat die Krise insbesondere den Privatstationen erheblich geschadet, da Werbeerlöse ausblieben. Müssen sich private Medienunternehmen vor diesem Hintergrund ökonomisch noch breiter aufstellen?
Stephan Schmitter: Es stimmt, dass wir mit Beginn der Krise mehr Zuspruch erfahren haben denn je – wir sind für die Menschen einmal mehr verlässlicher Begleiter in dieser Zeit der Unsicherheit. Die Nachfrage nach Radio- und Audioinhalten ist insgesamt gestiegen, besonders dynamisch im digitalen Bereich bei Audio-On-Demand-Angeboten.
In der durch die Krise beeinträchtigten konjunkturellen Lage und der weiterhin angespannten Stimmung bei den Verbrauchern lässt sich dies aber leider nicht automatisch in Werbeerlöse umsetzen, was den werbefinanzierten privaten Hörfunk natürlich vor Herausforderungen stellt. Gleichwohl ist Radio ein Medium, das gerade in Krisenzeiten seine Stärken ausspielen kann. In seiner Wirkung auf die Nachfrage ist Radiowerbung ein ganz wichtiger Faktor und kann einen erheblichen Beitrag zum Wiederanlaufen der Wirtschaft nach der Krise leisten. Ich bin daher davon überzeugt, dass über Werbung finanzierte Medien – besonders der Hörfunk – nach Überwindung der Krise wieder sehr profitabel agieren können.
teltarif.de: Medienpolitik ist in Deutschland bekanntlich Ländersache. Das gilt insbesondere für die Frequenzvergabe. Während es in Ländern wie Berlin oder Bayern viel Wettbewerb auf UKW und DAB+ gibt, hat sich NRW zu einem Duopol von WDR und Radio NRW entwickelt. Ist der zweite bundesweite DAB-Multiplex in Sachen Vielfalt ein Ausweg aus diesem Dilemma?
Stephan Schmitter: Ich glaube, dass der zweite DAB+-Multiplex einen Zuwachs an Vielfalt mit sich bringt, von dem die Gattung Radio insgesamt profitiert. Die nationale terrestrische Verbreitung der Stationen ermöglicht es den privaten Anbietern, Programme und Marken auch für Radio national zu denken. Ich glaube, dass dies nochmal mehr Menschen für unsere Gattung nachhaltig begeistern wird. Natürlich müssen wir sie auf uns aufmerksam machen, aber wir glauben, dass der Zug dann sehr schnell an Fahrt aufnimmt.
Wir sind sehr glücklich, dass RTL die Chance bekommen hat, mit zwei Programmen dabei zu sein. TOGGO Radio – das Kinder- und Familienradio sowie RTL Radio – Deutschlands Hit-Radio werden als terrestrisch empfangbare nationale Angebote einen echten Mehrwert bieten und die regionalen Programme aus dem RTL-Portfolio bestmöglich ergänzen. Übrigens sehe ich die Frequenzordnung in Deutschland nicht als Dilemma – genauso wenig wie das duale System mit privatem und öffentlich-rechtlichem Rundfunk. Natürlich gibt es Hörfunkmärkte mit mehr oder weniger Angebot und Wettbewerb. Die hohen deutschlandweiten Radio-Reichweiten – auch in NRW – zeigen aber, dass Radio überall einen hohen Zuspruch erfährt und dass hier sehr viel richtig gemacht wird.
teltarif.de: RTL Radio wechselte 2015 ins Hot-AC-Format, übernommen wurde z.B. "Arno und die Morgencrew", welche bereits erfolgreich bei 104.6 RTL in Berlin lief. Gleichwohl ist diese Art von Formatradio zwar massentauglich, aber kein Alleinstellungsmerkmal. Und gerade dies wäre doch im Zeitalter von DAB+ und Internetradio besonders wichtig.
Stephan Schmitter: Unsere Programme – übrigens in vielen Regionen Marktführer – haben schon eine Menge Alleinstellungsmerkmale, sonst wären sie nicht so erfolgreich. Die Corona-Zeit hat dies nochmal eindrucksvoll bewiesen: Wir haben sehr bekannte Personalities, denen die Hörer vertrauen, wir bereiten lokale und nationale Informationen so auf, dass unserer Hörer damit auch etwas anfangen können und wir unterhalten und unterstützen rund um die Uhr. Aber natürlich nimmt der Wettbewerb im Audio-Umfeld zu und die Aufmerksamkeit der Massen verteilt sich auf immer mehr Angebote. Wir haben selbstverständlich auch zukünftig das Ziel, eine breite Zielgruppe ansprechen. Deshalb erweitern wir ständig unser Angebot mit digitalen Produkten, mit denen wir eine spitzere Zielgruppe erreichen können, zum Beispiel mit Podcasts, Audio-Skills oder Streams. Ich glaube, das Zusammenspiel dieser Angebotspalette ist ein gutes Rezept für das Audio-Zeitalter der Zukunft.
teltarif.de: Streaming-Dienste wie Spotify oder Deezer sind auch für das klassische Radio ein starker Wettbewerber, denn ähnlich wie bei Netflix und Prime Video gibt es jederzeit das Wunschprogramm auf Abruf. Radiosender reagieren darauf mit eigenen Webradio-Channels. Ist dies der richtige Ansatz?
Stephan Schmitter: Webradio-Angebote, wie Musik-Channels, gibt es bei unseren Stationen schon sehr lange und deren Nutzung steigt weiterhin kontinuierlich an. Sie ergänzen das bestehende lineare Programm und bieten eine große Vielfalt bei den Musikrichtungen. Damit können die Sender auf ganz unterschiedliche Nutzungsbedürfnisse ihrer Hörer eingehen. Der Großteil der Menschen kann und möchte gar nicht täglich seine eigene Musik zusammenstellen, sondern schätzt weiterhin in großem Maße kuratierte Angebote. Hier sind sie bei uns richtig, denn ein ausgewähltes und redaktionell zusammengestelltes Angebot unter einer ihnen bekannten Marke, mit der sie sich identifizieren können, ist unser starkes Versprechen. Zudem bieten unsere Channels auch viel mehr als reine Musik. Unsere kuratierten Angebote – ob linear oder auf Abruf – stehen für eine ganz besondere Mischung von Content, insbesondere für Information und Services – oftmals mit regionalem Einschlag. Und natürlich für menschliche Wärme. Welcher digitale Player kann das so gut wie wir?
teltarif.de: Mit AUDIO NOW setzt die Mediengruppe Bertelsmann auf eine eigene Podcast-App. Welche Erfahrungen haben Sie bislang mit dem Produkt gesammelt?
Stephan Schmitter: AUDIO NOW hat nach seinem ersten Jahr alle Erwartungen übertroffen. Die Nutzung hat sich rasant nach oben entwickelt und wir sehen eine unglaubliche Dynamik beim Medium Podcast. Der Podcast hat entscheidende Vorteile: Ein hohes emotionales und kognitives Involvement, eine sehr große Werbewirkung sowie eine verhältnismäßig kaufkräftige Zielgruppe. Die Nutzer schätzen sehr, dass sie für alle ihre individuellen Interessen – von A wie Angeln bis Z wie Zivilrecht – durch einen Podcast ausführliche Informationen und Hintergründe bekommen. Außerdem lassen sich Podcasts schnell, aktuell und im Vergleich zum Bewegtbild relativ kostengünstig produzieren – und sie geben viel Raum zum Ausprobieren. Wir konnten so bereits nach ein paar Monaten eine große Bandbreite an neuen Formaten anbieten und auch die relevanten Player im Markt auf die Plattform holen. Mittlerweile sind z.B. die Podcasts der ARD-Landesrundfunkanstalten und der BBC bei uns verfügbar – genau wie die Formate von ZEIT, Spiegel und SZ. Wir sehen AUDIO NOW als ein partnerschaftliches Modell, denn wir glauben: Wir können mit der Plattform nur der „Local Hero“ sein, wenn wir gemeinsam mit allen anderen relevanten Publishern arbeiten. Wir nehmen Kritik und Verbesserungswünsche an der Plattform ebenso gerne an wie die Bedürfnisse einzelner. Außerdem wollen wir gemeinsam verlässliche Metriken entwickeln, die uns mittelfristig auch helfen, das Angebot für Werbekunden zu verbessern.
teltarif.de: Auch andere Aggregator-Plattformen, wie radio.de oder der Radioplayer Deutschland, setzen mittlerweile auf Podcast-Angebote. Wie würden Sie AUDIO NOW im Vergleich zu diesen Produkten einordnen?
Stephan Schmitter: Wir haben hier den großen Vorteil, dass wir die Formate mit und für die Partner der Bertelsmann Content Alliance (Mediengruppe RTL Deutschland, RTL Radio, UFA, Verlagsgruppe Random House, Gruner + Jahr und BMG) entwickeln, deren Marken, Geschichten, Sendungen und Persönlichkeiten bereits über andere Kanäle ein Millionenpublikum erreichen. Sie verfügen über eine unheimlich hohe Strahlkraft und unsere Eigenproduktionen stehen oftmals exklusiv auf der Plattform. Die Erfahrung der Kollegen aus den Häusern ermöglicht uns, viele tolle Podcasts mit großer Kompetenz anbieten zu können, seien es journalistische Formate wie "Die Stunde Null: Deutschlands weg aus der Krise" von Capital, Lagerfeuer-Podcasts wie das "RTL-Dschungelcamp" und "Die Pochers hier!" oder Special Interest Angebote wie der Familien-Podcast "Geolino Spezial".
teltarif.de: ProSiebenSat.1 hat mit "FYEO" mittlerweile eine Audio-App im Angebot. Was gleich auffällt: Im Gegensatz zu FYEO stehen bei Ihnen auch die Radiosender bzw. Webradio-Channels der Mediengruppe RTL prominent im Mittelpunkt. Dabei gibt es sogar eigene Popup-Channels wie das "Nitro Sommerradio". Wird sich Audio Now mittelfristig für weitere Sender außerhalb der Mediengruppe RTL öffnen?
Stephan Schmitter: AUDIO NOW steht grundsätzlich allen Publishern offen. Wir freuen uns über den starken Zuspruch, denn es ist uns ein großes Anliegen, ein zugangsoffenes, vielfältiges und transparentes Angebot zu sein.
teltarif.de: Ihr Mitbewerber ProSiebenSat.1 hat sich bei FYEO für ein Freemium-Modell entschieden, bei dem es eine Mischung aus kostenfreien Inhalten und einem Subscription-Modell für eigene Original-Inhalte gibt. AUDIO NOW ist hingegen derzeit komplett kostenfrei. Wird dies in Zukunft so bleiben oder planen Sie ein anderes Finanzierungsmodell?
Stephan Schmitter: Im Moment sehen wir den allergrößten Teil des Angebots werbefinanziert. Angebote mit großer Reichweite und zielgeneuer Nutzung bieten für den Werbemarkt großes Potenzial, das wir weiter entwickeln und ausschöpfen werden. Gleichzeitig sehen wir, dass es grundsätzlich eine Zahlungsbereitschaft für wertigen und exklusiven Audio-Content gibt und diese beiden Stränge auch zusammenlaufen können. Wir werden diese Entwicklungen daher weiter beobachten.
teltarif.de: Thema Smart Speaker: Ihre Sender sind z.B. über Amazon Alexa via Aggregatoren (TuneIn, radio.de, Radioplayer Deutschland) wie auch über eigene Skills verfügbar. Für Hörer ist nicht immer klar, worin der Nutzen dieser eigenen Skills besteht, wenn man die Sender auch über integrierte Standarddienste abrufen kann. Nicht selten führen die zusätzlich integrierten Apps sogar zu technischen Problemen. Welche Erfahrungen haben Sie diesbezüglich gesammelt?
Stephan Schmitter: Wir hatten bislang keine technischen Probleme mit eigenen Skills und sehen hier auf jeden Fall einen Zusatznutzen, deren Funktionen über die Standarddienste nicht abrufbar sind. Songinformationen, Services wie Wetter und Verkehr oder der nochmalige Abruf bestimmter Inhalte – diese und weitere Anwendungen laufen nicht über die integrierten Dienste.
teltarif.de: Unterscheidet sich das Nutzerverhalten Ihrer Hörer im Internet gegenüber den klassischen Verbreitungswegen (UKW, DAB+)?
Stephan Schmitter: Auf jeden Fall gibt es hier starke Unterschiede. Die Hörer suchen sich über unsere Abrufangebote im Netz ganz zielgerichtet Inhalte aus, die sie anlassbezogen – zum Beispiel beim Sport oder Kochen – nutzen. Auch bei der Nutzungszeit gibt es große Unterschiede – klassische Radioprogramme haben unter der Woche und morgens ihren Peak, Podcasts und Musikstreams sind am Wochenende und abends sehr stark gefragt. Unsere digitalen Angebote geben uns zudem die Möglichkeit, noch schneller auf die Bedürfnisse unserer Nutzer zu reagieren. Zu Beginn der Corona-Pandemie war die Nachfrage nach spezifischen Informationen so groß, dass wir einen eigenen Corona-Info-Web-Channel gestartet haben. Auch mit diversen Podcast-Produktionen haben wir sehr schnell auf die neue Situation reagiert.
teltarif.de: Herr Schmitter, vielen Dank für das Gespräch.
Zur Person: Stephan Schmitter
Stephan Schmitter ist Head of Audio der Mediengruppe RTL Deutschland und CEO von RTL Radio Deutschland mit Sitz in Berlin, der größten privaten Radiogruppe in Deutschland. Er studierte in München Kommunikations-, Theater- und Politikwissenschaften. 1996 begann er seine Laufbahn im Radiogeschäft: Zunächst acht Jahre bei Radio Gong 96,3 in München unter anderem als Programmdirektor und Moderator der Morgensendung. Seit 2007 ist er Geschäftsführer der RTL Radio Center Berlin GmbH – der Muttergesellschaft der Stationen 104.6 RTL, 105’5 Spreeradio, the wave – relaxing radio, und der RTL Radiovermarktung – sowie der Skyline Medien GmbH (93,6 JAM FM). 2018 wurde er zum CEO von RTL Radio Deutschland bestellt, im Mai 2019 zum Head of Audio der Mediengruppe RTL Deutschland und zum Geschäftsführer der Audio Alliance GmbH. Er ist Mitglied des Boards der Bertelsmann Content Alliance.
Stephan Schmitter über das Verhältnis von Radio und Smart Speakern