Originals im Streaming: Masse statt Klasse?
Titus Welliver (r.) ist als Detective Harry Bosch bei Prime Video im Dienst
Foto: Amazon Studios
Wer sich nur ein wenig mit Jeff Bezos beschäftigt, stößt unweigerlich auf ein Zitat: "Go Big or Go Home". Keine Frage, wenn man sich die Entwicklung von Amazon anschaut, leuchtet diese Philosophie sofort ein. Interessant ist aber, dass sie eigentlich gar nicht auf das Versandgeschäft gemünzt war. Die Aussage fiel in einem Artikel des amerikanischen Privatinvestoren-Portals The Motley Fool und bezog sich explizit auf Amazon Studios.
Die Einheit ist im US-Konzern für die Produktion hochkarätiger Filme und Serien zuständig, welche wiederum ausschließlich zahlenden Prime-Abonnenten zugänglich sind. Netflix-Chef Reed Hastings tritt zwar in Interviews etwas bescheidener auf, doch auch er lässt keinen Zweifel daran, dass man bei Eigenproduktionen nicht sparen will. Ob die Versprechungen den Praxistest bestehen, haben wir uns angeschaut.
Amazon mit wenigen Highlights
Titus Welliver (r.) ist als Detective Harry Bosch bei Prime Video im Dienst
Foto: Amazon Studios
Zunächst vorab: Im Hinblick auf "Go Big" hat Bezos nicht gelogen. Die teuerste Serie der Welt soll tatsächlich bei Amazon laufen. Konkret handelt es sich um "Herr der Ringe". Allein beim Rechteerwerb hat der US-Versandriese 250 Millionen US-Dollar auf den Tisch gelegt, hinzu kommen 25 Millionen US-Dollar für jede einzelne Episode. Allein für die erste Staffel wurde eine halbe Milliarde US-Dollar eingeplant. Der Preis dürfte sogar noch steigen, da die Serie vermutlich nicht nach einer Staffel endet. Zum Vergleich: Für die Ausstrahlungsrechte an einer Bundesligasaison flossen rund eine Milliarde Euro in die Kassen der DFL.
Das ist zwar grundsätzlich sehr beeindruckend, kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich weitere Serienhighlights bei Amazon eher in Grenzen halten. Zu den wirklich beliebten Produktionen zählen beispielsweise "Bosch", "Goliath" oder "Tom Clancy's Jack Ryan". Auch "The Marvelous Mrs. Maisel" mit Rachel Brosnahan konnte bei Publikum und Kritikern überzeugen und wurde sogar mit einem Golden Globe sowie acht Emmy-Awards ausgezeichnet. Danach wird die Luft allerdings bei Prime Video schon ziemlich dünn. Viele weitere Serien waren entweder weniger populär oder sind einfach nur eingekaufte Lizenzware.
Netflix bringt Massenware
Bei Netflix hat sich seit 2014 viel geändert. Anfangs konnte der Streamer aus Los Gatos noch mit vielen Highlights auftrumpfen, darunter beispielsweise "House of Cards", "Orange Is The New Black" oder das Epos "Marco Polo" Die teuerste Serie war dort eindeutig "The Crown". Das historische Drama erzählt von der jungen Königin Elisabeth und dem britischen Königshaus. Für die Serie wurde sogar eigens der Buckingham Palace eins zu eins nachgebaut. Mit 130 Millionen US-Dollar pro Staffel liegt man hier im Vergleich zum Amazon noch vergleichsweise günstig, dürfte aber viele andere amerikanische und europäische Produktionen in die Schranken verweisen.
Mittlerweile heißt aber auch hier das Prinzip eher Masse statt Klasse. Der Netflix-Katalog wird mit teils völlig unbekannten Serien aus asiatischen Ländern überschwemmt. Netflix setzt zunehmend auf kleinere Produktionen in den weltweiten Märkten und fokussiert auf die Geschmäcker des regionalen Publikums. So finden sich im Katalog mittlerweile auch türkische Serien, wie Börü (2018), welche jedoch beim europäischen bzw. US-Publikum kaum eine signifikante Rolle spielen.
Kommentar: Sinkende Qualität bei steigenden Preisen
Leider lässt die Qualität bei den US-Streamern deutlich nach. Der Katalog wird mit zunehmendem Umfang beliebiger, dennoch steigen die Preise. Man versucht weltweit jedes Publikum zu erreichen und verliert dabei das große Ganze aus den Augen. Die Strategie, zunehmend auf regionale Inhalte und Geschmäcker zu achten und dabei weniger Geld für große Highlights in die Hand zu nehmen, könnte mittelfristig viele Zuschauer vergraulen.
Insbesondere beim europäischen Start von Disney+ dürften die Streamer dies noch deutlich zu spüren bekommen, denn dort erwarten die Abonnenten überdurchschnittlich viele Studio-Highlights von Disney und Fox. Es ist aber gut möglich, dass auch Netflix und Amazon schon bald einen Strategiewechsel vollziehen, um dieser neuen Konkurrenz Paroli zu bieten. Selbst, wenn es dabei nur um eine Preissenkung geht.
Welche Filme und Serien bei welchem der großen Dienste gerade laufen, finden Sie auf unserer Streaming-Übersichtsseite.