Schulhardware

Digitales Klassenzimmer: Deutschland hinkt hinterher

Das digitale Klassenzimmer ist nicht nur auf der diesjährigen Didacta in Stuttgart ein großes Thema. Auch viele Lehrer, Schüler und Forscher diskutieren stets das Für und Wider der Einführung von digitalen Medien in den Unterricht. Wir haben Ihnen einige Punkte zusammengefasst.
Von dpa / Jennifer Buchholz

Immer mehr Klassen erproben das Lernen mit Tablets und Notebooks Immer mehr Klassen erproben das Lernen mit Tablets und Notebooks
Bild: dpa
Es ist ein bildungs­politischer Dauer­brenner: Wie gehen Lehrer mit dem unter­schied­lichen Leistungs­niveau ihrer Schüler um? Die Aufgabe stellt die Pädagogen vor große Heraus­for­de­rungen - neue Medien könnten sie dabei unter­stützen, sind viele Experten überzeugt. Bei Europas größter Bildungs­messe Didacta in Stuttgart (25. bis 29. März) können Lehrer, Eltern und Schüler viel über das digitale Klassen­zimmer lernen - das in Deutschland vielerorts noch Wunsch­traum ist. Doch es gibt auch warnende Stimmen.

Lernt es sich mit Tablets und Laptops besser?

Immer mehr Klassen erproben das Lernen mit Tablets und Notebooks Immer mehr Klassen erproben das Lernen mit Tablets und Notebooks
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Der Mannheimer Lernforscher Stefan Münzer meint: "Medien­nutzung kann viel helfen, weil sie den Schülern mehr Freiraum und Selbst­ständig­keit bietet und Schüler damit selbst­regulierend lernen können." Die Politik sekundiert: Tablets böten vor allem bei individualisierten Lern­formen neue didaktische Möglich­keiten, ist der Stuttgarter Kultus­minister Andreas Stoch (SPD) überzeugt.

In den neuen Gemeinschafts­schulen in Baden-Württemberg, in denen Schüler mit Hauptschul- bis Gymnasial­empfehlung zusammen lernen, sind diese besonders beliebt, weiß Wolfgang Kraft, Chef des Landes­medien­zentrums (LMZ). "Der Unterricht ist weniger auf den Lehrer konzentriert als bislang. Die Schüler übernehmen eine aktive Rolle."

Für und Wider der Lernmethoden

Digitale Medien holen die Schüler da ab, wo sie stehen: Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes haben 96,3 Prozent der 10- bis 15-Jährigen in den vergangenen drei Monaten das Internet genutzt, bei den 16- bis 24-Jährigen waren es 98,3 Prozent. Doch es gibt auch Gegen­stimmen: Der Hirn­forscher und Bestseller­autor Manfred Spitzer aus Ulm warnt immer wieder: "Alles, was man den Schülern maschinell abnimmt, haben sie auch nicht mehr im Kopf."

Der Mannheimer Lehrer Joachim Lauritzen erprobt [Link entfernt] in seiner Klasse im dritten Jahr den Unterricht mit iPads. Der Pädagoge findet es gut, dass er etwa englische Grammatik statt mit Arbeits­blättern über digitale Übungs­seiten mit drei Schwierig­keits­graden vermitteln kann. Aller­dings sei das Angebot der Schul­buch­verlage noch recht mager, klagt der Lehrer von der Friedrich-Ebert-Werk­real­schule.

Für Klaus Holoch vom Schul­buch­verlag Cornelsen ist das Folge der "Henne-Ei-Problematik", die mit dazu beiträgt, dass Deutschland hinter anderen europäischen Ländern etwa den skandinavischen oder Groß­britannien hinterherhinkt. Weil die Aus­stattung der Schulen mit Geräten unzureichend sei, übten auch die Verlage Zurückhaltung. Cornelsen will nun den ersten Schritt tun und auf der Didacta ein neues Lehr- und Lernportal für Lehrer und Schüler namens "scook" präsentieren. Er hofft auf ein großes Echo, schließlich werden bis zu 100 000 Besucher erwartet.

Die Hersteller von Bildungs­medien müssen in die Offensive gehen, denn ihre Umsätze schrumpfen. Von den 41 Millionen Euro entfielen im vergangenen Jahr nur drei bis fünf Prozent auf digitale Produkte. Um das Interesse anzuheizen, stellt der Verband Bildungsmedien in einem verlagsübergreifenden Projekt 1 600 Schulbücher digital zur Verfügung.

Was sind nun die Vorteile digitaler Lernangebote? Für Lehrer Lauritzen ist das wichtigste Argument die steigende Motivation der Schüler: "Sie lernen lieber." Der Unterricht sei kurzweiliger, weil die Geräte Recherche, Erstellen und Betrachten von Filmen, Erfassen und Schreiben von Texten, Fotografieren und Präsentieren erlauben.

Aus Sicht von LMZ-Chef Kraft ist die Veranschaulichung das große Plus. "Beim Thema Vulkanismus kann ich auf Seiten zu aktiven Vulkanen verweisen, mit Filmen können Schüler Experimente in Chemie oder Physik in einem ihnen genehmen Tempo nachvollziehen." Als gelungenes Beispiel nennt Lernforscher Münzer einen digitalen Atlas, der den Kindern die Navigation durch Städte und Landschaften auf unterschiedlichen Schwierigkeitsstufen ermöglicht.

Neben der richtigen Hardware fehlt das entsprechende Know-How

Viele Bundesländer wollen die Digitalisierung im Klassenzimmer forcieren. Doch die von der ehemaligen Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) ausgegebene Parole "Laptops für jeden Schüler" wird so rasch nicht umgesetzt werden. Denn wer für die um 500 Euro teuren Geräte aufkommen soll, ist die große Frage. Bislang werden die Lernmittel meist von kommunalen Schulträgern auf freiwilliger Basis beschafft. Hessen ist nach Angaben des Verbands Bildungsmedien das einzige Land, das für die digitale Ausstattung der Schulen aufkommt. Verbandschef Wilmar Diepgrond: "In den anderen Ländern schieben sich Land und Kommunen gegenseitig die Finanzverantwortung zu."

Selbst wenn die Schulen Geräte erhalten, wissen Lehrer oft nichts damit anzufangen. Diepgrond: "Whiteboards werden meist zum Drauf­schreiben genutzt anstatt zur interaktiven Arbeit." Er fügt hinzu: "Wer digitale Medien einführt, muss auch in Fort­bildung investieren."

Hirnforscher Spitzer stieß jüngst beim Deutschen Lehrertag in dasselbe Horn. "Nur wenn man die Computer anschafft, die Lehrer fortbildet, für die richtige Software sorgt und auch sonst alles richtig macht, dann schaden sie nicht." Doch Vorteile könne er trotzdem nicht erkennen. Statt auf digitale Helfer sollten Bildungspolitiker wieder auf die Stärkung von Fächern wie Musik, Theaterspiel oder Sport setzen.

Was Manfred Spitzer allgemein zum Thema Internet zu sagen hat, lesen Sie in unserer gesonderten News.