Digitalpolitik: Viel "Stochern im Nebel"
Die Initiative „Digital für alle“ besteht aus 27 Organisationen, zu denen neben dem IT-Verband Bitkom zum Beispiel auch der Verband Kommunaler Unternehmen (VKU), der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) oder der Deutsche LandFrauenverband (dlv) gehören. Auf dem Digitaltag am morgigen Freitag, der von Microsoft, SAP, der Deutschen Telekom und Vodafone gefördert wird, geht es vor allem darum, wie die Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger an der digitalen Entwicklung sichergestellt werden kann.
Bitkom-Präsident Achim Berg kann in den Programmen der Parteien keine umfassende Strategie für die Herausforderungen der Digitalisierung erkennen
Foto: Bitkom
Deutsche sehen Digitalisierung mit gemischten Gefühlen
Im Vorfeld des Digitaltags stellte Bitkom-Präsident Berg eine aktuelle Untersuchung seines Verbands vor, wonach die Deutschen dem digitalen Fortschritt mit gemischten Gefühlen begegnen. So sind etwa 87 Prozent der 1004 Befragten der Meinung, man müsse nicht alles digitalisieren. 70 Prozent äußerten die Angst, dass der Staat mit digitalen Techniken alles über sie weiß und 55 Prozent fürchten um ihre Privatsphäre. Des Weiteren sehen sich die Deutschen selbst sehr kritisch. Ihre Digitalkompetenz bewerten sie im Schulnotensystem lediglich mit einem Befriedigend – das gilt selbst für die vermeintlich technikaffinen Jugendlichen im Alter zwischen 16 und 29 Jahren.
Insbesondere bei den Älteren sieht Berg die Teilhabe gefährdet, was vor allem durch die Corona-Pandemie verstärkt wurde. 41 Prozent der über 75-jährigen sehen sich nicht in der Lage, ein Smartphone oder einen PC richtig zu bedienen. Das zeigt sich im Alltag zum Beispiel beim Einchecken in Restaurants per App. Über alle Altersgruppen hinweg liegt der Anteil bei 24 Prozent. „Es ist unsere gesamtgesellschaftliche Aufgabe, allen Menschen den selbstständigen und souveränen Umgang mit neuen Technologien zu ermöglichen“, fordert Berg.
„Hundsmiserable Administration“
Bitkom-Präsident Achim Berg kann in den Programmen der Parteien keine umfassende Strategie für die Herausforderungen der Digitalisierung erkennen
Foto: Bitkom
Das fängt in der Politik an, die für die Gesellschaft die Weichen in Richtung Digitalisierung stellt. Doch den Parteien wird ein schlechtes Zeugnis für ihre Digitalpolitik ausgestellt. Eine Strategie kann Bitkom-Chef Berg bei keiner Partei erkennen. „Die FDP nimmt das Thema auf“, sagt Berg. „Die Grünen bleiben zu unkonkret.“ Uwe Brandl, erster Vizepräsident des Deutschen Städte- und Gemeindebunds (DStGB) sieht gute Ansätze, vor allem im Breitbandausbau, wenngleich der Ausbau der Infrastrukturen sehr länderspezifisch verlaufe, aber eine umfassende Strategie habe aus seiner Sicht keine der Parteien. „Es gleicht mehr einem Stochern im Nebel“, sagt der DStGB-Vizepräsident. „Wir müssen den Datenschutz liberaler denken.“
Der Digitalpakt Schule ist 5,5 Milliarden Euro schwer, aber bislang wurden nur zehn bis 20 Millionen Euro abgerufen. Schuld ist die ausufernde Bürokratie in Form von 84 Seiten langen Antragsformularen.
Foto: April Bryant auf Pixabay
Eine Hürde sieht Brandl im Föderalismus. Als Beispiel für bürokratische Komplexität nennt Berg den Digitalpakt Schule. Von den 5,5 Milliarden Euro seien bislang nur zwischen zehn und 20 Millionen Euro abgerufen worden. Schuld seien die Anträge, für die Antragssteller 84 Seiten handschriftlich ausfüllen müssten. Brandl spricht in diesem Zusammenhang von einer „hundsmiserablen Administration“.
Für Petra Bentkämper, Präsidentin des Deutschen LandFrauenverbands (dlv) haben die Parteien zwar die Probleme erkannt, die die Digitalisierung mit sich bringt, aber bei den Lösungen sei man noch auf dem Weg. „Wir werden jedenfalls in den Gesprächen vor der Bundestagswahl den Finger in die Wunde legen“, verspricht die dlv-Präsidentin. Wäre gut, wenn das auch andere täten, damit wir die Digitalisierung und nicht die Digitalisierung uns bestimmt.
Analysen der Parteiprogramme von Prof. Dr. Torsten J. Gerpott