Fußball-WM via TV & Streaming: Hier fallen die Tore zuerst
In den 1980er Jahren war die Fußball-TV-Welt noch in Ordnung. Als die Spiele ausschließlich auf analogem Weg zum Fernsehzuschauer übertragen wurden, gab es keine Latenzen. Die Signale kamen exakt gleichzeitig auf verschiedenen Fernsehern an. Selbst die Kombination aus TV-Bild mit der oft deutlich lebendigeren Radio-Reportage war möglich, da es auch zwischen diesen Medien zu keinen Zeitunterschieden kam.
Als erste Kabelnetze über Satellit mit den Fernsehprogrammen versorgt wurden und sich auch der Satellitendirektempfang für Privathaushalte populär wurde, änderte sich die Situation. Plötzlich jubelte der Nachbar schon, obwohl der Ball auf dem eigenen Fernseher noch in der Luft ist, aber erst Sekundenbruchteile später im Tornetz zappelt. Hintergrund: Der Signalweg zum Satelliten und wieder zurück sorgt für eine Verzögerung von rund 250 Millisekunden.
Fußball-WM im TV im Test
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Heutzutage ist analoges Fernsehen Geschichte und das digitale TV-Signal gelangt auf den unterschiedlichsten Wegen zum Zuschauer, etwa über Satellit oder im Kabelnetz, über IPTV oder klassisches Streaming. Wie berichtet, wird auch das terrestrische Digitalfernsehen DVB-T2 HD wieder mehr genutzt als in der Vergangenheit. Dabei ist das Satellitensignal oft das "Mastersignal", das für die anderen Empfangswege abgegriffen und umgesetzt wird.
Bei Live-Sport kommt es auf jede Sekunde an
Doch wie groß ist die Signalverzögerung bei welcher Empfangslösung? Beim heute journal oder dem Tatort mögen Verzögerungen von bis zu 40 Sekunden unerheblich sein. Bei Sportübertragungen sieht das aber anders aus. Schließlich wird dem Zuschauer ein ganzes Stück weit an Spannung genommen, wenn er durch den Jubel der Nachbarn schon über ein Tor Bescheid weiß, das er vielleicht erst eine halbe Minute später sieht.
Wir haben das erste Spiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der FIFA Fußball-WM 2022 am Mittwochnachmittag sowie die Partie von Spanien gegen Costa Rica genutzt, um herauszufinden, wie groß die Verzögerung des Bild- und Tonsignals über welchen Verbreitungsweg ist. Dazu hatten wir neben dem Satelliten-Direktempfang und TV-Kabelfernsehen die ARD-Mediathek und die MagentaTV-App auf einem Apple TV 4K, Zattoo über einen Amazon Fire TV Stick 4K, 1&1 TV über ein Amazon Fire Tablet und waipu.tv über den Microsoft-Edge-Brower zur Verfügung.
Kabel-TV fast in "Echtzeit"
Besonders gering fiel die Latenz beim Empfang über das Kabelnetz von Vodafone aus. In beiden Fällen wurde die Übertragung im ARD-Programm verfolgt. Im Kabelfernsehen war das Signal gegenüber dem Satellitenempfang nur etwa zwei Sekunden zeitverzögert. Die geringste Latenz beim Streaming gab es über die ARD-Mediathek auf dem Apple TV 4K. Hier lag der Stream nur rund fünf Sekunden hinter dem Satellitensignal zurück.
ARD-Empfang über Satellit
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Ebenfalls über das Apple TV 4K haben wir die MagentaTV-App genutzt. Hier griffen wir nicht auf das ARD-Signal, sondern auf die Übertragung zurück, die die TV-Marke der Deutschen Telekom selbst im Angebot hatte. Mit einem zeitlichen Versatz von zehn Sekunden gegenüber dem Satellitendirektempfang war MagentaTV zwar "langsamer" als die ARD-Mediathek. Dennoch war das Ergebnis akzeptabel.
1&1 TV: Knapp 20 Sekunden "hinter" dem Sat-Signal
Auch im direkten Vergleich zwischen Satellitenempfang und 1&1 TV steht der Latenz-Sieger eindeutig fest. Das Live-Signal via Astra kam je nach Messung durchgehend bis zu 20 Sekunden schneller an, im Schnitt konnten wir eine Zeitverzögerung von 17 Sekunden messen. Als Vergleichsgrundlage lief die 1&1 TV-App auf einem Amazon Fire Tablet, zur Verbindung ins Internet diente WLAN an einem 1&1 DSL-50-Anschluss, während die anderen Streaming-Tests an einem VDSL-100-Anschluss von der Telekom vorgenommen wurden.
Latenz-Test Sat-Empfang vs. 1&1 TV
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Beim Fernseher, der für den Vergleich von Sat-Empfang und 1&1 TV zum Einsatz kam, handelte es sich um ein Hisense-Modell mit integriertem DVB-S2-Receiver. In den anderen Tests kamen Smart-TVs von LG, Sony und Samsung zum Einsatz. Während es beim in Kooperation mit Zattoo realisierten 1&1-Angebot in der Gesamtschau keine signifikanten Latenzverbesserungen gegenüber der vergangenen WM gab, konnte zumindest die Bildqualität überzeugen. Das HD-Signal via Satellit unterschied sich merkbar kaum vom IPTV-Signal via 1&1 TV
Erfahrungen mit Zattoo und waipu.tv
Wir haben auch Zattoo ohne 1&1-Branding ausprobiert, allerdings über einen Amazon Fire TV Stick 4K. Hier waren die Erfahrungen denen von 1&1 sehr ähnlich. Die Latenz betrug gegenüber dem Satellitendirektempfang etwa 20 Sekunden. Bild- und Tonqualität waren aber beim Einsatz eines Fernsehers mit 50 Zoll großem Bildschirm mit dem des Satellitendirektempfangs vergleichbar. Auch MagentaTV und die ARD-Mediathek lieferten jeweils eine gute Übertragungsqualität.
Bescheidene Bildqualität bei waipu.tv Free
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Von waipu.tv hatten wir nur den kostenlosen Account zur Verfügung. Der Empfangstest fand über den Microsoft-Edge-Browser an einem iMac von Apple mit 27-Zoll-Display statt. Hier war nicht nur die Latenz mit durchschnittlich 22 Sekunden am höchsten. Auch die Bildqualität war deutlich schlechter als bei allen anderen Empfangswegen. waipu.tv liefert Nutzern des Gratis-Kontos nur SD-Qualität. Diese mag für ein kleines Smartphone-Display noch ausreichend sein. Am großen Computer- oder gar Fernseher-Bildschirm ist die Übertragung hingegen maximal als Notlösung zu gebrauchen.
Fazit: Sat, Kabel und Mediathek haben die Nase vorn
Unsere Tests zeigen, dass Tore auf dem Fernseher von Fußballfans mit Satellitendirektempfang erwartungsgemäß früher fallen als bei allen anderen Empfangswegen. Wer einen Kabelanschluss nutzt, ist mit einer Latenz von nur zwei Sekunden gegenüber dem Sat-Signal aber noch gut dabei. Fernsehzuschauer, die bereits ausschließlich auf Streaming setzen, kommen mit der ARD-Mediathek am besten weg. Die Nutzung ist abseits des ohnehin fälligen Rundfunkbeitrags kostenlos, Bild- und Tonqualität sind sehr gut und die Latenz ist kleiner als bei allen anderen getesteten Streamingdiensten.
Einen guten Eindruck machte im Test auch MagentaTV, das als einziger TV-Veranstalter in Deutschland alle Spiele der diesjährigen Fußball-Weltmeisterschaft live überträgt. Bild- und Tonqualität waren sehr gut und die Latenz war geringer als bei 1&1 TV, Zattoo und waipu.tv. Noch näher an der "Echtzeit" dürfte das "echte" IPTV von der Telekom sein, dessen Vermarktung für Neukunden aber faktisch eingestellt wurde. Wie schon vor einigen Monaten bekannt wurde, konzentriert sich die Telekom auf MagentaTV als OTT-Plattform, die über beliebige Internet-Anschlüsse genutzt werden kann.