Jubiläum

Von Kabelpilotprojekt bis Streaming: 40 Jahre Privatrundfunk

Im Januar 1984 gingen die ersten Privat­sender in Deutsch­land an den Start. Empfangen werden konnten die Programme nur in wenigen tausend Haus­halten.
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In diesen Tagen feiert der private Rund­funk in Deutsch­land seinen 40. Geburtstag. Hinter­grund ist der Start des Kabel­pilot­pro­jekts Ludwigs­hafen/Vorder­pfalz am 1. Januar 1984. Doch eigent­lich sind Privat­radio und Privat-TV in Deutsch­land viel älter. Schon in den 1950er Jahren sendete Tele Saar im damals eigen­stän­digen Saar­land. Radio Luxem­burg star­tete mit Sendungen für Deutsch­land. Der Evan­geli­ums­rund­funk, der 1959 auf Sendung ging, hatte sogar ein Studio in Deutsch­land. Er funkte aber aus Marokko und Monaco, weil die Gesetz­gebung hier­zulande damals nunmal keine privaten audio­visu­ellen Medien vorsah. 40 Jahre privater Rundfunk in Deutschland 40 Jahre privater Rundfunk in Deutschland
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Ab Ende der 1970er Jahre sendeten Programme wie Radio Bavaria Inter­national, Radio Brenner, und Radio C aus Südtirol nach Bayern. In den 1980er Jahren folgten der Ostbel­gische Rund­funk, Radio Benelux oder auch Henri Radio mit Sendungen aus Belgien für Hörer in Nord­rhein-West­falen. Euro Radio, Radio Drops und Radio RVN strahlten aus dem Elsass und aus Loth­ringen nach Südwest­deutsch­land ein. Doch allmäh­lich standen auch private Veran­stalter in den Start­löchern, die direkt aus Deutsch­land senden wollten.

Tests für Privat­funk zunächst nur im Kabel­netz

Anfang der 1980er Jahre änderte sich die Gesetz­gebung. In vier Kabel­pilot­pro­jekten sollten privates Radio und privates Fern­sehen erprobt werden. Zum Start des ersten Projekts in Ludwigs­hafen ging mit PKS auch der erste kommer­zielle TV-Veran­stalter Deutsch­lands an den Start. Aus diesem Kanal ging später Sat.1 hervor, das noch heute zu den reich­wei­ten­stärksten Fern­seh­pro­grammen in Deutsch­land gehört. Mit Radio Wein­straße star­tete auch ein erster privater Hörfunk­kanal.

Eine kleine vier­stel­lige Zahl an Kabel­haus­halten, die damals ange­schlossen waren, konnten den "medi­enpo­liti­schen Urknall" live mitver­folgen, wie der dama­lige rhein­land-pfäl­zische Minis­ter­prä­sident Bern­hard Vogel den Start des Kabel­pilot­pro­jekts Ludwigs­hafen/Vorder­pfalz bezeich­nete. Weitere Kabel­pilot­pro­jekte star­teten in Berlin, Dort­mund und München. Eigent­lich sollte privater Rund­funk im Rahmen dieser Projekte zunächst nur erprobt werden. Doch ziem­lich schnell zeigte sich die Beliebt­heit der neuen Programm­viel­falt, sodass es ausge­schlossen war, das Rad der medi­enpo­liti­schen Geschichte wieder zurück­zudrehen.

RTLplus sendete aus Luxem­burg für Südwest­deutsch­land

Am 2. Januar 1984 ging ein privater Fern­seh­sender an den Start, der zunächst nicht in den neuen Kabel­netzen, sondern nur über Antenne zu empfangen war. Radio Luxem­burg machte schon Monate vorher viel Werbung für RTLplus, das zunächst über einen VHF-Sender auf Kanal 7 vom luxem­bur­gischen Düde­lingen aus ins Saar­land, nach Rhein­land-Pfalz und zum Teil noch darüber hinaus sendete. Der Ton des Starts, insze­niert als Geburt eines Babys, wurde damals live und werbe­wirksam bei Radio Luxem­burg über­tragen. Studio von Radio 4 in der AKK-Sendezentrale in Ludwigshafen Studio von Radio 4 in der AKK-Sendezentrale in Ludwigshafen
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1985 gingen die ersten privaten Fern­seh­sender über Satellit auf Sendung, sodass sie groß­flä­chig in die Kabel­netze einge­speist werden konnten. Im glei­chen Jahr feierte das Privat­radio terres­tri­sche Premiere. In München wurden drei Sender in Betrieb genommen, über die auf 89,0, 92,4 und 96,3 MHz Programme wie die Musik­welle Süd, Radio Gong 2000 und die schon aus Südtirol bekannten Radio Brenner und Radio C auf Sendung gingen.

Auch Radio Wein­straße konnte 1985 terres­trisch senden und endlich unab­hängig vom Kabel­netz empfangen werden - aller­dings nur für eine Woche als Messe­radio zur Verbrau­cher­messe Consumeta in Ludwigs­hafen. Die Hoff­nung der Radio­pio­niere auf eine dauer­hafte terres­tri­sche Sende­lizenz erfüllte sich indes nicht. Lokal- oder Regio­nal­radios sah die Medi­enge­setz­gebung in Rhein­land-Pfalz nicht vor. Statt­dessen sollte es eine landes­weite Sender­kette mit regio­nalen Fens­ter­pro­grammen geben.

Radio 4 star­tete als erster landes­weiter Privat­sender

Am 30. April 1986 ging Radio 4 als erster landes­weiter Privat­sender Deutsch­lands in Rhein­land-Pfalz auf Sendung - zumin­dest theo­retisch. In der Praxis wurde zunächst nur die Frequenz 103,6 MHz einge­setzt, auf der bereits ein halbes Jahr zuvor Radio Wein­straße gesendet hatte. Kurios: Sender­standort war der Mann­heimer Fern­mel­deturm - in Baden-Würt­tem­berg. Erst im Juli gingen weitere Frequenzen für Radio 4 in Mainz und Koblenz in Betrieb. In der Folge wurde das Sender­netz landes­weit ausge­baut. R.SH-"Angriff" auf den Norddeutschen Rundfunk R.SH-"Angriff" auf den Norddeutschen Rundfunk
Foto: R.SH
In Bayern und auch in Rhein­land-Pfalz gab es mehr Bewerber als Frequenzen. So wurde ein soge­nanntes Frequenz-Split­ting einge­führt. In München sendeten auf 92,4 MHz bis zu acht Programme zu jeweils unter­schied­lichen Zeiten, Radio 4 in Rhein­land-Pfalz stand für die vier Veran­stalter RPR, Pro Radio 4, Links­rhei­nischer Rund­funk und Radio 85, die sich die landes­weite Sender­kette teilten. Wirk­lich hörer­freund­lich war das nicht. Im Laufe der Jahre wurde das Split­ting redu­ziert und in den meisten Fällen bis heute komplett abge­schafft.

Der Norden drehte ab Mitte 1986 auf

In Schleswig-Holstein ging am 1. Juli 1986 der erste "echte" landes­weite Privat­sender on air. "Echt" deshalb, weil R.SH auch wirk­lich fast überall im nörd­lichsten deut­schen Bundes­land zu empfangen war. Auch in Hamburg war und ist das Programm zu empfangen. Inner­halb kürzester Zeit erfreute sich der Sender einer sehr hohen Beliebt­heit. Schließ­lich gab es im Sende­gebiet neben dem Nord­deut­schen Rund­funk kaum (von außen einstrah­lende) Alter­nativen.

Noch am Silves­tertag 1986 star­teten mit Radio Hamburg und Radio ffn die landes­weiten Privat­sender in Hamburg und Nieder­sachsen. In den Folge­jahren gingen in allen Bundes­län­dern Privat­radios an den Start. Kommer­zielle TV-Veran­stalter wie Sat.1, RTLplus, ProSieben und Tele 5 bekamen regio­nale terres­tri­sche Stütz­fre­quenzen, sodass sie auch abseits der Kabel­netze und - damals noch recht teurer - Satel­liten­emp­fangs­anlagen zu sehen waren. Astra-Satellitenuplink in Betzdorf/Luxemburg Astra-Satellitenuplink in Betzdorf/Luxemburg
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Der erste Versuch, den Rund­funk zu digi­tali­sieren, gab es mit DSR, dem Digi­talen Satel­liten Radio, ab 1989. Mit Star*Sat Radio und Radio Belcanto waren auch private Veran­stalter dabei, die somit die Ära bundes- und euro­paweiter kommer­zieller Hörfunk­kanäle in Deutsch­land einge­läutet haben (wobei Programme wie Star*Sat Radio, Radio Belcanto und Radio Luxem­burg auch zuvor - analog - über Satellit verbreitet wurden).

1989 star­teten erste deut­sche TV-Programme auf Astra

Eben­falls 1989 star­teten mit Sat.1, RTLplus und ProSieben die ersten deut­schen TV-Programme auf Astra. Damit wurde der Satel­liten-Direkt­emp­fang ein Produkt für den Massen­markt. Mussten zuvor sehr große Antennen auf Eutelsat (ECS) oder Intelsat ausge­richtet werden, reichten für den Astra-Empfang schon Para­bol­spiegel mit einem Durch­messer von 60 Zenti­metern.

1995 star­teten die ersten Pilot­pro­jekte für Digital Audio Broad­cas­ting (DAB). Zu diesem Zweck starten öffent­lich-recht­liche und private Veran­stalter eine Reihe neuer Programme. Ein Beispiel ist die Rock Antenne, die als Ableger von Antenne Bayern auf Sendung ging - und bis heute zu den belieb­testen Rock­radios in Deutsch­land gehört. Doch der erste DAB-Start stand unter keinem guten Stern: Das Programm­angebot war klein, die Sende­leis­tungen niedrig, die Radios teuer. Der Erfolg blieb daher aus.

Start­schuss für digi­tales Fern­sehen Mitte 1996

Ganz anders sah es beim digi­talen Fern­sehen über Satellit aus, das im Sommer 1996 mit dem Pay-TV-Paket von DF1 star­tete. Da die Programm­anbieter über viele Jahre parallel noch analog sendeten, dauerte es zwar lange, bis alle Zuschauer auf digital umge­schaltet hatten. Doch das digi­tale Fern­sehen war nicht aufzu­halten. Das gilt neben dem Satel­liten-Direkt­emp­fang auch für die Kabel­netze und die terres­tri­sche Verbrei­tung. DAB+-Sender Gelnhausen DAB+-Sender Gelnhausen
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2011 wurde das digi­tale Anten­nen­radio neu gestartet. Als DAB+, mit besserer Frequenz­aus­stat­tung, mehr Programmen und güns­tigen Empfangs­geräten dauerte es zwar lange, bis sich das Über­tra­gungs­ver­fahren durch­gesetzt hat. Viele Privat­radios haben sich der Tech­nologie zunächst verwehrt. Mitt­ler­weile sind die ehema­ligen Gegner auch dabei. Für Spar­ten­sender wie Schwarz­wald­radio, 80s80s und Beats Radio ist DAB+ sogar die einzige Chance für eine bundes­weite terres­tri­sche Verbrei­tung.

Strea­ming-Boom und immer mehr Spar­ten­kanäle

Neben DAB+ und UKW setzen die Programm­anbieter heut­zutage verstärkt auch auf Strea­ming. Vor allem Privat­radios bieten via Internet neben ihrem Haupt­pro­gramm auch eine Reihe von Spar­ten­kanälen an. Bei manchen Stationen ist es auch möglich, über die jewei­lige Smart­phone-App Musik­titel im linearen Programm zu über­springen, wenn sie einem nicht gefallen. Die FFH-Medi­engruppe aus Hessen hat ein Verfahren entwi­ckelt, bei dem Teile des Musik­pro­gramms aus dem linearen Programm durch Songs aus einer anderen Musik­sparte ersetzt werden. Diese Technik wird mitt­ler­weile nicht nur von FFH selbst, sondern auch von zahl­rei­chen anderen Veran­stal­tern aus dem In- und Ausland verwendet. FFH-Plus-Programme mit unterschiedlichen Musikfarben FFH-Plus-Programme mit unterschiedlichen Musikfarben
Foto: FFH-Mediengruppe
Strea­ming steht auch beim Fern­sehen hoch im Kurs. Hier können Spiel­filme und Serien zeit­sou­verän auf Abruf bereit­gestellt werden und es ist Platz für Spar­ten­kanäle und Strea­ming­dienste, für die im Satel­liten­fern­sehen kein Platz wäre oder für die die Kosten für eine Sat-Abstrah­lung zu hoch wären. Mit Podcasts wurde eine neue Medi­enka­tegorie geschaffen, die auch von Privat­sen­dern zur Verbrei­tung ihrer Inhalte genutzt wird.

VAUNET: "Private Medien fest etabliert"

"Heute haben sich die privaten audio­visu­ellen Medien fest etabliert, mehrere Gene­rationen von Medi­ennut­zern sind mit ihren Prot­ago­nisten, Formaten und Inhalten aufge­wachsen", so der Privat­sender-Verband VAUNET zum Jubi­läum. "Eine einma­lige private Anbieter- und Ange­bots­viel­falt erstreckt sich heute von Audio bis Video und von Podcast bis zum Strea­ming. Die Krea­tiv­wirt­schaft ist, mit den privaten Medi­enan­geboten als wich­tiger Teil­branche, einer der bedeu­tendsten Wirt­schafts­zweige in Deutsch­land geworden. Mit hoher Demo­kratie- und Gesell­schafts­rele­vanz sind die privaten Audio- und audio­visu­ellen Medien heute ein Garant für jour­nalis­tische Quali­täts­ange­bote und bilden ein verläss­liches Gegen­gewicht zu Algo­rithmen und Desin­for­mation."

Claus Grewenig, Vorstands­vor­sit­zender des VAUNET und Chief Corpo­rate Affairs Officer RTL Deutsch­land ergänzt: "Wir als Branche sind stolz auf das Erreichte, inso­fern werden wir 2024 feiern und das Thema das ganze Jahr über mit verschie­denen Events und Veröf­fent­lichungen begleiten. Mit ihnen werden wir nicht nur zurück, sondern vor allem auch nach vorn blicken. Das Jahr 2024 wird für unsere Branche das Jahr der poli­tischen Weichen­stel­lungen für das nächste Jahr­zehnt. Das gilt für die Ausge­stal­tung unserer Refi­nan­zie­rungs­mög­lich­keiten durch Verzicht auf Werbe­ver­bote ebenso wie für die Zukunft des dualen Medi­ensys­tems und für das Wett­bewerbs­ver­hältnis zu den ‚Big Tech‘ bei der Umset­zung der neuen euro­päi­schen Platt­form­regu­lie­rung. 2024 wird aufge­gleist, wie die Branche zu ihrem 50. Geburtstag dastehen wird."

Ausblick: So geht es in den nächsten Jahren weiter

Nahezu unstrittig ist derzeit, dass es vorerst kein Abschalt­datum für das analoge UKW-Radio gibt. Die Welt­funk­kon­ferenz WRC-23 hat zudem die Voraus­set­zungen dafür geschaffen, dass das digi­tale terres­tri­sche Fern­sehen DVB-T2 über das Jahr 2030 hinaus weiter verbreitet werden kann. Strea­ming wird dank güns­tigerer Mobil­funk­tarife mit hohem Daten­volumen zuneh­mend auch unter­wegs über das Smart­phone oder Tablet und nicht über den heimi­schen DSL- oder Kabel­anschluss genutzt. Kabel­anschluss? Genau, da schließt sich der Kreis zu den 40 Jahren Privat­funk in Deutsch­land.

Während UKW über Antenne auf nicht abseh­bare Zeit erhalten bleibt, verzichtet Voda­fone auf die analoge Kabel­ein­spei­sung von Hörfunk­pro­grammen jetzt endgültig.

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