Mehr Hass im Netz durch Musks Twitter-Übernahme?
Twitter wird sich durch Elon Musk verändern
Bild: picture alliance/dpa
Die Ankündigung von Tech-Milliardär Elon Musk,
nach einer Twitter-Übernahme die Inhalte-Einschränkungen zu lockern,
schürt die Angst vor mehr Hass im Netz. Deutsche Digitalpolitiker
äußerten sich besorgt über die möglichen Folgen. Musk bekräftigte,
dass aus seiner Sicht alle Äußerungen im Rahmen von Gesetzen erlaubt
sein sollten. In der Europäischen Union allerdings sieht das gerade
erst beschlossene Gesetz über Digitale Dienste (DSA) eine strengere
Aufsicht über Online-Plattformen vor.
Musk hatte sich mit Twitter auf eine rund 44 Milliarden Dollar schwere Übernahme des Online-Dienstes geeinigt. Der Chef des Elektroauto-Herstellers Tesla hält bisher eine Beteiligung von gut neun Prozent. Die Übernahme hängt davon ab, ob genug Aktionäre ihm ihre Anteile für 54,20 Dollar je Aktie abtreten wollen. Twitter und Musk wollen den Verkauf bis Jahresende abschließen. Sollte eine der Seiten den Deal auflösen, wird eine Strafzahlung von einer Milliarde Dollar fällig, wie aus in der Nacht zum Mittwoch veröffentlichten Unterlagen hervorgeht.
Globale Plattform für Redefreiheit
Musk gibt als Grund für sein Interesse an Twitter an, er wolle eine globale Plattform für Redefreiheit schaffen. Er kritisiert, dass es bei Twitter aktuell zu viele Beschränkungen dafür gebe: "Ich bin gegen Zensur, die weit über das Gesetz hinausgeht."
Über angebliche "Zensur" bei Twitter klagten zuletzt besonders lautstark vor allem zwei Gruppen: Leute, gegen deren Beiträge wegen falscher oder irreführender Informationen zum Coronavirus vorgegangen wurde, sowie Anhänger von Ex-Präsident Donald Trump, die nicht ohne weiteres behaupten können, ihm sei die Wahl 2020 gestohlen worden. Auch andere Online-Plattformen wie Facebook führten solche Beschränkungen ein, um die Gesundheit von Nutzern zu schützen und eine Eskalation politischer Spannungen zu verhindern.
Twitter wird sich durch Elon Musk verändern
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"Wenn Leute wollen, dass es weniger Redefreiheit gibt, werden sie
Regierungen bitten, Gesetze in diese Richtung zu verabschieden",
schrieb Musk am Dienstag bei Twitter. "Entsprechend ist es gegen den
Willen der Menschen, über das Gesetz hinauszugehen."
Für Europa zeigt sich EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton mit
Blick auf das Gesetz über Digitale Dienste (DSA) gelassen. "Jedes
Unternehmen muss in der Europäischen Union Regeln erfüllen, so
einfach ist das", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Wer sich an
diese Regeln nicht halte, dem drohten Strafen von bis zu sechs
Prozent des weltweiten Jahresumsatzes. Probleme bei der Durchsetzung
sehe er auch dann nicht, wenn Twitter in Musks Hand liege.
EU-Kommission: Grenzen für freie Rede
Mit dem DSA müssten Plattformen mit mehr als 45 Millionen Nutzern beispielsweise deutlich mehr Content-Moderatoren einstellen, und zwar in allen EU-Sprachen. Auch müssten sie unverzüglich handeln, wenn illegale Inhalte auf ihren Seiten sind. "Die Plattformen haben die Pflicht, uns zu sagen, wie viel Nutzer sie haben. Und wir haben Möglichkeiten, das zu kontrollieren", sagte Breton.
Twitter kam nach jüngsten Zahlen Ende 2021 auf 217 Millionen täglich aktive Nutzer in den eigenen Apps der Firma oder der Web-Version. Der Dienst veröffentlicht seit einiger Zeit nur die Zahl der Nutzer, die Anzeigen auf der Plattform zu sehen bekommen.
Die für Digitalpolitik zuständige Vizepräsidentin der EU-Kommission Margrethe Vestager hob die Grenzen für freie Rede hervor. "Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut - genau wie die Demokratie. Wenn es in Europa verboten ist, online zu Gewalt oder Terrorismus aufzurufen, dann beschränkt das zwar die Meinungsfreiheit, aber es ist im Sinne der Demokratie", sagte sie der Wochenzeitung "Die Zeit". "Mir ist es letztlich egal, wem die Plattform gehört, solange sich derjenige an die Regeln hält", betonte Vestager. "Problematisch würde es erst, wenn Elon Musk mehrere soziale Netzwerke kaufen sollte."
Großes Problem mit Hass und Desinformation?
Deutsche Politiker zeigten sich besorgt. "Meinungsfreiheit und der Schutz vor Beleidigungen und Verleumdungen sind nicht gegeneinander auszuspielen, beides muss von Online-Plattformen sichergestellt werden", sagte die Grünen-Bundestagsabgeordnete Renate Künast dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" (RND). Trotz aller Bemühungen habe Twitter aktuell ein großes Problem mit Hass und Desinformation. Musks Ankündigungen zeigten, wie wichtig der Digital Services Act sei.
Der digitalpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Jens Zimmermann, verwies auf "die große Gefahr, dass Musk die Plattform für seine persönlichen politischen Zwecke und Ambitionen missbrauchen könnte." Sein Kollege aus der FDP-Fraktion, Manuel Höferlin, plädierte dafür, Musks nächste Schritte abzuwarten. Die digitalpolitische Sprecherin der Fraktion "Die Linke", Anke Domscheit-Berg, nannte die geplante Übernahme hochgefährlich. "Da Elon Musk aus seiner eigenen Nähe zu Verschwörungserzählungen und rechten Kreisen keinen Hehl gemacht hat, ist da wenig Gutes zu erwarten." Sie forderte ein von der öffentlichen Hand finanziertes soziales Netzwerk.
Musks Übernahmepläne ließen - wie einst auch etwa beim Kauf von WhatsApp durch Facebook - Diskussionen über Alternativen aufkommen. Dabei fällt oft der Name des in Deutschland entwickelten Netzwerks Mastodon. Allerdings waren in der Vergangenheit bereits mehrere Versuche gescheitert, eine vollumfängliche Twitter-Alternative aufzubauen. So wurde etwa App.net - gedacht als eine Art Twitter mit Abo-Gebühren - 2017 nach fünf Jahren eingestellt. Bei WhatsApp blieb eine große Abwanderung der Nutzer trotz aller Aufregung aus.
US-Richter lässt Musk mit Klage gegen Tweet-Auflagen abblitzen
Elon Musk ist mit dem Versuch gescheitert, Auflagen der US-Börsenaufsicht für einige seiner Tweets vor Gericht zu kippen. Die 2018 vereinbarte Vorgabe sieht vor, dass Musks Tweets, die Einfluss auf Teslas Aktienkurs haben könnten, erst vom Unternehmen freigegeben werden müssen. Musk argumentierte, dass dies seine Redefreiheit einschränke und wollte auch Nachfragen der Börsenaufsicht SEC zu Abläufen bei einem jüngsten aufsehenerregenden Tweet unterbinden. Ein New Yorker Richter wies die Anträge ab.
Die SEC habe volles Recht, die Einhaltung der Regelung zu kontrollieren und habe ihre Vollmachten mit den Anfragen an Musk und Tesla nicht überschritten, entschied er. Beim jüngsten Tweet geht es um Musks Twitter-Umfrage vom vergangenen Herbst, bei der er Nutzer des Dienstes darüber abstimmen ließ, ob er zehn Prozent seiner Tesla-Aktien verkaufen soll. Nachfragen der SEC dazu seien eigentlich zu erwarten gewesen, schrieb der Richter.
Musk hatte sich 2018 nach SEC-Ermittlungen bereiterklärt, Tweets mit Bezug zum Tesla-Geschäft vom Unternehmen prüfen zu lassen. Auslöser war damals sein misslungener Anlauf, den Elektroauto-Hersteller von der Börse zu nehmen. Musk hatte in einem Tweet dazu geschrieben, die Finanzierung sei "gesichert". Später stellte sich jedoch heraus, dass es noch keine endgültigen Zusagen gab. Die SEC warf Musk daraufhin Irreführung von Anlegern vor und erzielte die Einschränkungen. Bis zuletzt blieb unklar, wie strikt die Vorgabe bei Musks Tweets eingehalten wird.
Kritik an Musk nach Online-Attacken auf Twitter-Juristin
Elon Musk ist darüber hinaus in die Kritik geraten, weil seine Tweets zu einer Welle von Online-Attacken auf Twitters Chefjuristin Vijaya Gadde beigetragen haben. Die Situation könnte dem Tech-Milliardär den beabsichtigten Kauf von Twitter erschweren, da er sich in der Übernahme-Vereinbarung verpflichtete, den Online-Dienst oder dessen Vertreter nicht zu "verunglimpfen".
Eine "Zensur" wird dem Dienst in den USA hauptsächlich aus dem rechten Lager und von Corona-Leugnern vorgeworfen. Beide Gruppen sind schon lange mit dem Kurs von Gadde unzufrieden. Musk goss nun Öl ins Feuer.
Erst kritisierte er die Vorgehensweise von Twitter in einer Episode rund um den Sohn des heutigen Präsidenten Joe Biden im Schlussspurt des US-Wahlkampf 2020. Damals hatte es in einem Zeitungsartikel unter anderem geheißen, Bidens Sohn Hunter habe Geschäftspartnern Treffen mit seinem Vater angeboten. Als Quelle wurden Daten angegeben, die angeblich auf einem Notebook von Hunter Biden in einer Werkstatt entdeckt worden waren. Twitter sperrte damals den Account der Zeitung, da es auf der Plattform verboten sei, unrechtmäßig beschaffte Inhalte zu verbreiten. Twitter machte die Entscheidung später rückgängig und der damalige Firmenchef Jack Dorsey entschuldigte sich.
Auslöser für die neue Kontroverse war nun ein Artikel der Website "Politico", demzufolge Gadde sich in einer internen Besprechung besorgt über den möglichen Wandel der Plattform mit Musk als Eigentümer zeigte und nicht die Tränen habe zurückhalten können. Musk schrieb zunächst zu einem Tweet mit Zensurvorwürfen gegen Gadde, die Vorgehensweise von Twitter rund um den Zeitungsartikel sei "eindeutig unglaublich unangemessen gewesen". Er legte später am Mittwoch mit einer Fotomontage mit ihrem Gesicht nach, in der von einer "linken Voreingenommenheit" die Rede war.
Gadde war danach verstärkt Attacken und Beschimpfungen in Tweets ausgesetzt, einige rassistische Beiträge wurden entfernt. Unter anderem der frühere Twitter-Chef Dick Costolo ging daraufhin mit Musk hart ins Gericht. "Mobbing ist nicht Führungsstärke", schrieb er bei Twitter. "Ich sage nur, dass Twitter politisch neutral sein muss", wehrte sich Musk. Der frühere Facebook-Sicherheitschef Alex Stamos kritisierte Musks Verhalten als inakzeptabel und unprofessionell.
Erste Twitter-Quartalszahlen nach Musks Übernahme-Deal
Am Markt wurde spekuliert, ein Grund für das schnelle Nachgeben des Twitter-Verwaltungsrates könne eine schlechte Geschäftsentwicklung in den vergangenen Monaten gewesen sein.
Twitter hat vor der Übernahme-Attacke von Tech-Milliardär Elon Musk den stärksten Zuwachs bei der Nutzerzahl seit Jahren verzeichnet. Der Online-Dienst kam im ersten Quartal auf 229 Millionen täglich aktive Nutzer, die in hauseigenen Apps oder der Web-Version Werbung zu sehen bekommen. Das war ein Plus von gut 14 Millionen binnen drei Monaten, wie aus heute veröffentlichten Zahlen hervorging.
Zugleich musste Twitter einräumen, dass wegen eines Fehlers seit 2019 leicht überhöhte Nutzerzahlen gemeldet wurden. So hatte der Dienst etwa für das Schlussquartal 2021 zuvor die Zahl von rund 217 Millionen täglichen Nutzern genannt, nach der Neuberechnung waren es noch 214,7 Millionen. Twitter nennt seit einiger Zeit nur noch die Zahl der Nutzer, die mit Anzeigen erreicht werden können. Diejenigen, die auf den Dienst etwa über Apps anderer Anbieter zugreifen, bleiben außen vor.
Der Twitter-Quartalsumsatz stieg im Jahresvergleich um 16 Prozent auf 1,2 Milliarden Dollar (1,14 Mrd Euro). Analysten hatten mit etwas mehr gerechnet. Unterm Strich blieb ein Gewinn von 513 Millionen Dollar in der Bilanz. Grund dafür war allerdings ein Sondererlös von 970 Millionen Dollar vor Steuern aus dem Verkauf der Anzeigenfirma MoPub. Im operativen Geschäft hatte es dagegen einen Verlust von rund 123 Millionen Dollar gegeben.
Die Aktie kletterte im vorbörslichen Handel heute zeitweise um 0,5 Prozent an die Marke von 49 Dollar. Der Kurs ist damit weiter deutlich von den 54,20 Dollar entfernt, die Musk pro Aktie bietet. Twitter und Musk gaben sich bis Ende des Jahres Zeit, den Verkauf abzuschließen.
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