DSA

EU regelt das Internet neu: Weniger Hass und Gewalt im Netz

Kriegs­pro­paganda, Lügen, Hass und Hetze - all das soll es im Internet bald weniger geben. Die EU hat sich auf ein wegwei­sendes Gesetz verstän­digt. Die letzte Verhand­lungs­runde hatte es nochmal in sich.
Von dpa /

Hass, Hetze, Desin­for­mation: Nicht erst seit der Pandemie ist das Internet viel­fach ein unge­müt­licher Ort. Die Euro­päi­sche Union steuert gegen. Nach einem letzten Verhand­lungs­mara­thon haben sich Unter­händler der EU-Staaten und des Euro­papar­laments am frühen Sams­tag­morgen auf ein Gesetz über digi­tale Dienste (Digital Services Act, DSA) geei­nigt, das gesell­schaft­liche Probleme im Netz angehen soll. Dazu gehören der Verkauf gefälschter Waren und die Nutzung sensi­bler Daten wie reli­giöse Über­zeu­gungen und poli­tische Ansichten für ziel­gerich­tete Werbung. Die wich­tigsten Fragen und Antworten im Über­blick:

Was ist das Gesetz über digi­tale Dienste?

EU-Einigung auf Digital-Gesetz gegen Hass und Hetze EU-Einigung auf Digital-Gesetz gegen Hass und Hetze
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Der DSA ist Teil eines Digital-Pakets, das die EU-Kommis­sion Ende 2020 vorge­schlagen hat. Ziel waren verbind­liche Regeln für das Internet. EU-Kommis­sions­vize Margrethe Vestager verglich die Lage mit der ersten Ampel, die Ordnung auf die Straßen gebracht habe.

Das Gesetz verfolgt ein grund­legendes Prinzip: Was offline illegal ist, soll es auch online sein. Das gilt etwa für Hass­rede und Terror­pro­paganda, aber auch für gefälschte Produkte, die auf Online-Markt­plätzen verkauft werden. Die Platt­formen sollen mehr Verant­wor­tung dafür über­nehmen, was bei ihnen passiert.

Der zweite Teil des Digital-Pakets war das Gesetz über digi­tale Märkte (Digital Markets Act, DMA), bei dem es bereits Ende März eine Eini­gung gab. Der DMA soll die Markt­macht von Tech-Giganten wie Google und Face­book mit stren­geren Regeln beschränken.

Wer muss die neuen Regeln befolgen?

Grund­sätz­lich sollen die neuen Regeln für digi­tale Dienste gelten, die Vermittler sind und Verbrau­chern Zugang beispiels­weise zu Waren und Inhalten ermög­lichen. Das können Online-Markt­plätze wie der von Amazon sein, Soziale Medien wie Face­book, Platt­formen zum Teilen von Inhalten wie Youtube und Such­maschinen wie Google. Große Dienste müssen mehr Regeln befolgen als kleine. Für kleine Unter­nehmen mit weniger als 45 Millionen aktiven Nutzern im Monat wird es Ausnahmen geben.

Was schreibt der DSA genau vor?

Grund­sätz­lich gilt, dass die Unter­nehmen ille­gale Inhalte wie Hass­rede, Gewalt­auf­rufe oder Terror­pro­paganda zügig entfernen müssen, wenn sie darüber infor­miert werden. Nutzer sollen derlei Inhalte einfach melden können. Auch sollen sie die Möglich­keit haben, die Lösch-Entschei­dungen der Platt­formen anzu­fechten und Entschä­digung zu fordern.

Ein Unter­schied soll gemacht werden zwischen ille­galen Inhalten und solchen, die zwar schäd­lich sind, aber unter die Meinungs­frei­heit fallen. Das könnten etwa Lügen über die Wirk­sam­keit von Impf­stoffen sein, die die Gesund­heit von Menschen gefährden. Oder Falsch­behaup­tungen zu Essstö­rungen, die etwa junge Frauen in die Mager­sucht treiben. EU-Digital-Gesetz: Mehr Regeln für große Plattformen EU-Digital-Gesetz: Mehr Regeln für große Plattformen
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Markt­plätze werden dazu verpflichtet, Anbieter zu über­prüfen, damit weniger gefälschte Produkte im Netz landen. Mani­pula­tive "Dark Patterns", die Verbrau­cher zur Kauf­ent­schei­dung drängen, werden verboten. Auch sonst werden derlei irre­füh­rende Benut­zer­ober­flä­chen - etwa bei der Cookie-Auswahl - weit­gehend verboten. Sensible Daten wie reli­giöse Über­zeu­gungen, sexu­elle Vorlieben oder poli­tische Ansichten dürfen nur begrenzt für gezielte Werbung genutzt werden. Minder­jäh­rige sollen grund­sätz­lich keine perso­nali­sierte Werbung mehr bekommen. Soziale Netz­werke müssen ihre Empfeh­lungs­algo­rithmen trans­parenter machen und den Nutzern Wahl­mög­lich­keiten bieten. Bei Verstößen drohen Strafen in Höhe von sechs Prozent des welt­weiten Jahres­umsatzes.

Neu ist zudem ein Krisen­mecha­nismus, den die EU-Kommis­sion wegen des russi­schen Angriffs auf die Ukraine nach­träg­lich vorge­schlagen hatte. Dieser soll in Fällen wie Krieg, Pandemie oder Terror die Auswir­kungen von Mani­pula­tion im Netz begrenzen. Die EU-Kommis­sion kann den Mecha­nismus auf Empfeh­lung des Gremiums der natio­nalen DSA-Koor­dina­toren auslösen und dann über Maßnahmen der sehr großen Dienste entscheiden.

Was gilt für beson­ders große Dienste?

Als beson­ders groß gelten Platt­formen und Such­maschinen mit mehr als 45 Millionen Nutzern. Mit Blick auf schäd­liche Inhalte müssen sie künftig einmal jähr­lich eine Risi­kobe­wer­tung vorlegen und Gegen­maß­nahmen vorschlagen. Diese Berichte werden von der EU-Kommis­sion und Außen­ste­henden geprüft. Außerdem sollen Forscher Zugang zu Daten bekommen, die etwa bestimmen, was Nutzer in ihrem News­feed als Nächstes sehen. "Dies wird sich auf aufmerk­sam­keits­basiertes Ranking auswirken, das den Konzernen mit Desin­for­mation, Hass und Hetze die Taschen voll­macht", sagte die Grünen-Abge­ord­nete Alex­andra Geese nach der Eini­gung. Erst­mals habe man eine unab­hän­gige gesell­schaft­liche Kontrolle der Platt­formen.

Wie wirken sich die Regeln auf das deut­sche NetzDG aus?

Deutsch­land war - zum Miss­fallen der EU-Kommis­sion - schon vor Jahren mit dem Netz­werk­durch­set­zungs­gesetz (NetzDG) zur Bekämp­fung von Straf­taten und Hass­rede im Internet vorge­prescht. Das NetzDG dürfte durch den DSA hinfällig werden - auch, wenn das EU-Gesetz etwa bei den Lösch­fristen hinter dem deut­schen Gesetz zurück­bleibt. Insge­samt hat der DSA jedoch einen deut­lich größeren Geltungs­bereich. Das zustän­dige Bundes­ver­kehrs­minis­terium teilte heute mit, dass ein Digi­tale-Dienste-Gesetz erar­beitet werden solle und die bestehenden natio­nalen Gesetze umfäng­lich über­arbeitet werden müssten.

Wie fallen die Reak­tionen aus?

Die Eini­gung wurde über­wie­gend positiv aufge­nommen. Claudia Prettner von Amnesty Inter­national sprach von einem "Wende­punkt in der Geschichte der Inter­net­regu­lie­rung". "Der DSA führt zu einer Online-Welt, in der unsere Menschen­rechte besser geachtet werden, indem die unkon­trol­lierte Macht von Big Tech wirksam gebremst wird." Chris­toph Heubner, Exekutiv-Vize­prä­sident des Inter­natio­nalen Ausch­witz Komi­tees, sagte, der DSA sei für Über­lebende des Holo­caust ein "überaus deut­liches Hoff­nungs­zei­chen", das sich jedoch in der Realität beweisen müsse.

Wie geht es jetzt weiter?

Das Euro­papar­lament und die EU-Staaten müssen den Deal vom Samstag noch einmal formell bestä­tigen. Nach Inkraft­treten ist noch eine Über­gangs­frist von 15 Monaten. Für die sehr großen Platt­formen und Such­maschinen sollen die Regeln nach Angaben der EU-Kommis­sion bereits vier Monate nachdem sie desi­gniert worden sind gelten.

In einer weiteren Meldung geht es um das Thema EuGH: Privat­kopie-Abgabe für Cloud-Dienste?

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