quo vadis?

Editorial: Alle zerren an der Telekom

Der Bonner Konzern als arbeitsplatzschaffende Wollmilch-Rendite-Sau
Von Marie-Anne Winter

Einerseits ist die ehemalige Monopolistin im deutschen Telekommunikationsmarkt, die Deutsche Telekom, als behäbige Behörde verschrien. Als schwerfälliger Dinosaurier in der liberalisierten TK-Welt aufstrebender Jung-Unternehmen belächelt, war sie als Arbeitgeber mit altmodisch hohen Arbeitslöhnen und quasi lebenslänglicher Jobgarantie durchaus beliebt. Entsprechend laut ist nun die Kritik an den Umbau-Plänen der Telekom, die Stellen auslagern und Löhne senken will, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Denn das Überleben durch schiere Größe ist angesichts des immer härteren Wettbewerbs im TK-Markt nicht dauerhaft gesichert: Der Telekom, die sich anfangs auf die Gewohnheit der Menschen verlassen konnte, die in Sachen Telefonie bis 1997 ja nichts anderes als den Anschluss bei der Telekom kannten, laufen die Kunden in Scharen davon. Ende 2005 verlor der Konzern monatlich 100 000 Kunden und trotz der intensiven Bemühungen des Unternehmens um attraktivere Produkte und besseren Service hat sich die Abwanderung der Kunden beschleunigt: Allein im ersten Quartal dieses Jahres wurden 600 000 Telefonanschlüsse gekündigt.

Vom Gemeinwohl zur Rendite-Orientierung

Ein Grund für die Schwerfälligkeit der Telekom liegt in ihrer Geschichte: Noch im Jahr 1989 existierte die Telekom nicht als eigenständiges Unternehmen, sondern war zusammen mit der Postbank und dem Postdienst ein Bestandteil der staatlichen Behörde Deutsche Bundespost. Diese war als "bundeseigene Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau" im Grundgesetz verankert und wurde entsprechend von einem Minister geleitet. Die Deutsche Bundespost war vorrangig dem Gemeinwohl verpflichtet. Durch die heftig umstrittenen Postreformen I und II wurde mit der Dreiteilung und Privatisierung der Deutschen Bundespost die komplette Umgestaltung des Konzerns eingeleitet.

Zum 1. Januar 1995 nahm die Deutsche Telekom AG ihre Tätigkeit auf. Am 18. November 1996 erfolgte der erste Börsengang, 26 Prozent des Kapitals gingen an private Eigentümer. In diesem Zuge fand die Neuorientierung von Gemeinwohl auf Kapitalrendite statt, weitere Börsengänge erfolgten am 28. Juni 1999 und am 19. Juni 2000. Die Nachfrage der Anleger war riesig - doch nach dem historischen Höchststand der T-Aktie am 6. März 2000 bei 103,50 Euro stürzte das Papier schier ins Bodenlose und notierte Ende September 2002 bei 8,42 Euro. Zwar gingen die Kurse wieder leicht nach oben, die Anleger sitzen aber nach wie vor auf hohen Verlusten. Eine Erfolgsgeschichte ist das nicht - nach einer kurzen Euphorie über praktizierten "Volkskapitalismus", den die T-Aktie als Vorzeige-Projekt voranbrachte, mutierte der Konzern zum Abschreck-Objekt für Privatisierungsgegner und Aktien-Muffel.

Allerlei Verzweiflungstaten

Inzwischen erfolgten mehrere Umstrukturierungen, von drei auf vier Säulen und wieder zurück, doch das ultimative Erfolgsrezept ist bisher noch nicht dabei gewesen. Vor allem die Umwandlung der früheren Fernmeldeämter in spezialisierten Niederlassungen für Privat- und Geschäftskunden sowie für die Netztechnik brachte unklare Zuständigkeiten und erhebliche Reibungsverluste mit sich. Die Organisationsstruktur wurde in der Folge immer wieder neu ausgerichtet und verschlankt. Die teilweise sehr drastischen Umorganisierungen und Kurswechsel (ein prominentes Beispiel dafür ist die Aus- und Wieder-Eingliederung von der Internet-Sparte T-Online) legen nahe, dass die Folge der Neu- und Umstrukturierungen nicht unbedingt auf kompetenten, der Nachhaltigkeit verpflichteten, wirtschaftlichen und unternehmerischen Überlegungen beruhten, sondern auf kurzlebige Moden und politischen Druck hin erfolgten. Man hat im Gegenteil den Eindruck, dass das unter ungeheurem Erfolgsdruck stehende Management der Telekom immer wieder zu Verzweiflungstaten neigte, um den Abwärtstrend um fast jeden Preis zu stoppen. Das ging nicht nur an Anlegern und Telekom-Kunden spurlos vorüber - auch die Belastung bei den Telekom-Beschäftigten stieg, die sich immer wieder neu orientieren mussten.

Die Situation der Telekom als ehemalige Monopolistin ist objektiv unkomfortabel, weil die Interessen des entstehenden liberalisierten TK-Marktes denen des Konzerns entgegen laufen: Ein zunehmend aggressiver Wettbewerb nagt an den Marktanteilen im Festnetz-Stammgeschäft, die Regulierung sorgt dafür, dass die Telekom ihre noch vorhandene Marktmacht nicht ausspielen kann, um inzwischen vorhandenen Wettbewerb nicht zu gefährden - gleichzeitig soll die Telekom jede Menge Arbeitsplätze zu guten Konditionen bieten und natürlich auch günstige Produkte. Diese muss das Unternehmen bieten, wenn die Abwanderung der Kunden zu anderen Anschlussanbietern gestoppt oder zumindest verlangsamt werden soll.

Denn ohne Kunden lässt sich schwerlich Umsatz und Gewinn erzielen, den die Telekom nicht nur braucht, um ihre Aktionäre zufriedenzustellen, sondern auch, um ihre Angestellten zu bezahlen und natürlich auch um ihr Netz auszubauen und neue Technologien zu entwickeln. Anders gesagt: Die Telekom muss das Kunststück vollbringen, weniger Kunden mehr zu bieten bzw. aus schwindenden Marktanteilen mehr Rendite zu holen. Insofern hat René Obermann kaum eine andere Wahl, als seinen eingeschlagenen Kurs konsequent umzusetzen.

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